Samstag, 21. Juni 2014

CSD und Aloisius von Gonzaga

Was für ein Zusammentreffen! Die größte und prominenteste öffentliche Bekundung lesbisch-schwuler Lebenskultur, die in Berlin dieses Jahr zum Sommeranfang gleich drei Umzüge hervorbringt, fällt auf den Gedenktag des Jesuitenheiligen Aloisius von Gonzaga (1556-1591).

Während einerseits laut und bunt die Lebenslust gefeiert und Toleranz für sexuelle Selbstbestimmung gefordert werden, wird andererseits ein junger Mann verehrt, der auf kitischigen Bildern des 19. Jahrhunderts "lebensuntüchtig, süßlich, von keiner Leidenschaft bewegt und frömmlerisch"1 dargestellt ist.
Das Bild des Aloisius ist geprägt durch die damaligen Vorstellungen von Keuschheit: "ein bleicher und hohlwangiger, schwächlicher und weltentrückter,feminin wirkender Jüngling, der mit verklärt-entzücktem Blick auf ein Kreuz oder die Jungfrau schaut."2 Ein stark verzerrtes Bild.
Straßenszene mit Schaufel, Neukölln, Berlin, 2014.
Angemessener wäre wohl das eines herben italienischen Edelmannes, der die Zustände am Hofe der Medicis verabscheut und das ihm von seinem Vater angebotene "abwechslungsreiche Leben zwischen Banketten und Maskenbällen, Treibjagden, Tierhetzen und Balletten"3 abwehrt, um sein Erbe ausschlagend und gegen die heftigen Widerstände des Vaters mit siebzehn Jahren in den Jesuitenorden einzutreten. Nach dem Noviziat studiert er und stirbt nach gerade mal fünf Jahren im Orden, nachdem er sich bei der aufopferungsvollen Krankenpflege mit der Pest infiziert hat.

Weltverzicht und Hingabe an die Kranken hier – Sinnenlust und Hingabe an das Leben da: sehen so die Widerparts von Kirche und Welt heute aus?

Oder muss nicht vielmehr betont werden, dass auch der Christopher Street Day vielschichtiger ist als seine Wahrnehmung als Zurschaustellung homosexueller Sexualität – nämlich auch politisches Statement und Kampf um Anerkennung eines eigenen Lebensweges gegen gesellschaftliche Normen? Hier wie da eine emanzipative Bewegung!
Und dass die inhaltliche Nähe der Schwulenszene zu Aloisius als dem Patron der AIDS-Kranken größer sein könnte als die mediale Berichterstattung glauben macht?

Vielleicht ist auch der Begriff der "Liebe" eine Brücke zwischen diesen als so verschieden wahrgenommenen Phänomenen – das öffentliche Bekenntnis zur eigenen partnerschaftlichen und sexuellen Orientierung – und die Bereitschaft, "selbstverständlich und selbstlos für den Nächsten"4 zu wirken.

Wie man es letztlich auch bewerten mag – ich finde dieses Zusammentreffen sehr faszinierend!

Ausgerichtete Scheinwerfer, Theaterplatz, Weimar, 2014


1   V. Seibel SJ, Aloisius von Gonzaga (1556-1591). Trost und Hilfe für die Kranken und Sterbenden. In: G. Hock (Hg.), Freunde im Herrn. Heilige und selige Jesuiten. Würzburg 2011, 42f [Ignatianische Impulse 49]; hier: 42.

2   D. Terstriep SJ, Selig, die reinen Herzens sind. In: Jesuiten. 3/2009, 2f; hier: 2.



4   Vgl. V. Seibel, a.a.O., 43.