Freitag, 13. Juni 2014

Dreifaltigkeit - Die Ränder fassen

Am christlichen Verständnis von Gott halte ich eine Reihe von Dingen für zentral. Ehrlich gesagt ist der Glaube an Gottes Dreifaltigkeit (am Sonntag nach Pfingsten Inhalt katholischer Besinnung) bei mir eher in der zweiten Reihe angesiedelt.
Was dagegen vorn steht: Der eine Gott, der geglaubt wird als ein anwesender und mitgehender Gott. Der überströmende Liebe ist. Ein Befreier. Der nur geglaubt werden kann als unbegreiflich und menschliches Denken sprengend – das Wort "Gott" "überanstrengt uns, es mag uns gereizt machen ob der Ruhestörung in einem Dasein, das den Frieden des Übersichtlichen, Klaren, Geplanten haben will."1 Das ist mir zentral.

Leere Bühne, Lido, Venedig, 2012.
Bezüglich der Erkenntnis Gottes scheint mir die so genannte "analoge" Gotteserkenntnis sehr plausibel. In einer Ausstellung fand ich einen Satz, der das gut beschreiben kann: “Das Sichtbare bezeichnet nur die Ränder eines unendlich Unsichtbaren.“ (Rita Bischof)
Theologisch gegen den Strich lese ich darin: Ein Gott, der in der Welt entdeckt werden kann. Seine Ränder können wir immerhin fassen. Aber zugleich eben nur die Ränder. Analog meint hier: Radikale Unterschiedenheit Gottes von der Welt, aber zugleich lassen sich seine Spuren in ihr finden. Wenn wir die Linien dieser Welt immer weiter ausziehen, können wir Gottes Wesen zwar nicht wissen, aber ahnen.2

Doch was lesen wir redlicherweise aus der Welt heraus – die Hoffnung eines guten Gottes? Eine solche Aussage muss wohl meist gegen die Strukturen der Welt, wie sie nun einmal ist, gelesen werden. Und dann, wichtiger: Lesen wir die Einheit der einen Welt als Hinweis auf den einen Gott?
Wir brauchen, so glaube ich, die Annahme von einer Welt, sei sie auch perspektivisch mehrfach gebrochen und plural. Wir könnten gar nicht vernünftig denken, würde ein umfassender Zusammenhang, der unsere verschiedenartigen Erkenntnisweisen eint, fehlen. Ließen sich unsere unterschiedlichen Wissensgebiete nicht aufeinander beziehen, fiele unser Weltbild auseinander. (Nach meiner Kenntnis ist dies auch der Hintergrund der Probleme, welche die in sich schlüssigen physikalischen Wissensgebiete von Quantentheorie und Relativitätstheorie haben, die derzeit keine universale Welterklärungshypothese bieten können, weil ihre Ergebnisse sich nicht konsequent aufeinander beziehen lassen.)
Theologisch gewendet: wenn Gott, dann der eine, als Grund unserer Welterkenntnis. Verlören wir diese Einheit, dann ist der Mensch, mit Karl Rahner, "nicht mehr vor das Ganze der Wirklichkeit als solcher und nicht mehr vor das eine Ganze seines Daseins als solchen gebracht."3

Doppelt geschlossenes Fenster, Poznan, 2014.
Zugleich ist die Welt aber vielfältig, inhomogen, nicht geschlossen, ungerundet und plural. Verweis auf den EINEN Gott, der in sich auch diese VIELHEIT hat. Die verschieden-schillernd-uneine Welt, die den in sich vielgestaltigen Gott spiegelt.
Ein Gott wie ein erratischer Block würde es uns einfach machen, wir müssten nur Zuflucht zu seiner Eindeutigkeit nehmen und wären viele Probleme der Vielheit los. Der christlich-dreifaltige Gott dagegen kann auch in der mehrdeutig-unübersichtlichen Gegenwart Orientierung bieten ohne das Viele aufzuheben.
Thomas Philipp, Hochschulseelsorger in Bern, hat in seinem Buch, wie heute Glauben dreifaltig möglich sei, eine Antwort versucht: Gott begegnet dem Menschen im "unbegreiflichen Horizont seines Daseins", in "der Erfahrung, im eigenen Innersten unbedingt gerufen zu sein", schließlich in "der Begegnung mit dem menschlichen Gegenüber".4
Natürlich müssten diese Schlagworte weiter ausgemalt werden, aber die Vorstellung von einem Gott, der Über-Alles genauso ist wie In-Mir und ebenso In-Dir mag immerhin eine Ahnung vermitteln, in welche der Glaube an den dreieinen Gott weist.

Auf diese Art wiederum ist mir die Vorstellung des einen dreifaltigen Gottes ganz nahe. Denn so ist er anwesend, liebend, befreiend und doch unbegreiflich.
Im Gebet kommen wir ihm von den Rändern unseres Denkens dann ganz nahe. Abschließend darum die Hymne eines großen Theologen auf diesen Gott:
Der Geist Gottes ist uns ins Herz gegeben. Er erforscht und erfüllt auch die Tiefen unseres Herzens. Er ist in uns überströmend ausgegossen. Er ist Salbung und Siegel des inneren Menschen. Er ist die Erfüllung aller bodenlosen Abgründe unseres Wesens. Er ist die erste Gabe und das Angeld des ewigen Lebens. Er ist das Leben in uns, durch das wir schon hinter den Tod gekommen sind. Er ist das Glück ohne Grenzen, das die Bäche unserer Tränen in unseren letzten Quellen schon zum Versiegen gebracht hat, auch wenn sie das Flachland unserer Alltagserfahrung noch so sehr überschwemmen. Er ist der inwendige Gott, die Heiligkeit des Herzens, sein verborgenes Frohlocken, seine Kraft, die wundersam noch da ist, wo wir am Ende sind mit unserem Witz und unserer Kraft. Er ist in uns, so dass wir eigentlich im Innersten schon wissen, obwohl wir blinde Toren sind, denn Er weiß, und Er ist unser; Er ist es, der in uns liebt, verschwenderisch liebt, frohlockend liebt, liebt, nicht selbstisch begehrt; und diese Liebe ist unser, denn Er ist die ewige Liebe Gottes, und Er ist unser, Er ist unsere Liebe, obwohl wir kalte, enge, kleinliche Herzen haben! Er ist die ewige Jugend in der verzweiflungsvollen Senilität unserer Zeit und unserer Herzen. Er ist das Lachen, das hinter unserem Weinen schon leise aufklingt, Er ist die Zuversicht, die trägt"5
 
Sonne im Wald, bei Birkenwerder, Brandenburg, 2014.

1   K. Rahner, Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums. Freiburg i.Br. 1984, 60.
2   Das mag für christliches Denken eine sehr typisch katholische Denkweise sein: Vgl. H. Joas, Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums. Freiburg i.Br. 2012, 51. Joas nimmt dort Bezug auf den US-Amerikaner David Tracy, der zwischen einer "analogischen" (katholischen) und einer "dialektischen" (evangelischen) Weise der Gotteserkenntnis und daraus folgenden "imaginations", Weltbildern, unterscheidet.
3   K. Rahner, a.a.O., 57.
4   T. Philipp, Wie heute glauben? Christsein im 21. Jahrhundert. Freiburg i.Br. 2010, 30ff.
5   K. Rahner, Von der Not und dem Segen des Gebetes. Freiburg i.Br. 1958, 34f.