Donnerstag, 31. August 2017

Mekka und wir

Weil gerade Hadsch nach Mekka ist, hier ein paar Informationen und Anmerkungen aus christlicher Perspektive.

1 Sinn des Hadsch allgemein
Im Islam verhilft die Reise nach Mekka, den Geburtsort Mohammeds, der „geographischer Mittelpunkt1 des Islam ist, den Gläubigen zur Erfahrung der „Einheit in ihrer Universalität2 und zur „Einheit in der Vielfalt“.3
Darüber hinaus bietet die Wallfahrt eine Erfahrung der Zugehörigkeit der Muslime zur „Bruderschaft des Islam4 und dient der „Stärkung ihres religiösen und persönlichen Selbstvertrauens“.5 Feierliche Rituale bei An- und Abreise zeugen von Sozialprestige und aus der Wallfahrt erwachsender religiöser Autorität, die unabhängig von Bildungsstand oder sozialer Stellung ist.6
Der Entschluss zur Wallfahrt ist gebunden an die körperlichen und finanziellen Möglichkeiten und an den Zeitpunkt, da der Hadsch in den Wallfahrtsmonat fallen muss.7

2 Elemente des Hadsch
Kopiervorlagen für den deutschen Pilger.
[aus: A.v. Denffer, Wallfahrt nach Mekka.
Das Wichtigste über umra und hadsch. München 1987.]
Wichtige Einzelelemente der Wallfahrt lassen sich wie folgt summieren:
(a) Der Weihezustand (Ihram) ab Beginn des Hadsch, der als Läuterung und Egalisierung verstanden werden kann. Praktisch bedeutet er das Anziehen des weißen Gewandes (für Männer), den Verzicht auf Geschlechtsverkehr, Streit, Jagd, Rasur etc.8
(b) Die Umrundung der Kaaba (Tawaf) und das Küssen des schwarzen Steines vollziehen Männer und Frauen gemischt. Es ist ein Erlebnis intimster Gebetsgemeinschaft mit einer ungeheuren Masse von Menschen.
(c) Der Lauf zwischen Safa und Marwa (Saī) als Erinnerung und Vergegenwärtigung der Suche Hagars nach Wasser für ihren Sohn Ismael und das Hoffen auf Allahs Erbarmen in der Not.
(d) Das Tieropfer als Erinnerung an das „Opfer“ Abrahams in der muslimisch-koranischen Perspektive, entscheidend werden hier die Ehrfurcht und der Gehorsam der Pilger herausgestellt, im Blick auf die Spende für die Armen zeigt sich ein sozial-caritatives Element.
(e) Das symbolische Steinigen des Teufels mithilfe unterwegs gesammelter Steine, die auf drei Stelen geworfen werden. Durch diese Handlung soll eine Abscheu gegenüber dem Bösen ausgedrückt werden.
(f) Ein zentrales Ritual ist das Verweilen am Berg Arafat, eine Zeit, die ganz für Gebet, Meditation und Dasein in der Gegenwart Allahs reserviert ist.
Die davor und danach liegenden Rituale, Handlungen und Haltungen (a-e), die von Geschäftigkeit und Eile geprägt sein können, werden hier in die Stille aufgehoben.

Andere Stätten. Jerusalem, 2013.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich verschiedenste Elemente individuellen und kollektiven religiösen Handelns in der Wallfahrt mischen: wiederholende Gebete (v.a. „Da bin ich“ / „Dir zu Diensten9) spielen ebenso eine Rolle wie der Opferritus, die Kontemplation, das Hören auf Predigten, das Spenden, das Lesen im Koran und das Gehen zu heiligen Orten. Die klassischen Ausdrucksformen des Religiösen wie Mythos (Vorbild Mohammeds), Ethos (Spenden und Auflagen des Ihram) und Ritus (z.B. rituelles Opfern)10 liegen im Falle des Hadsch in expliziter Weise vor.

3 Hadsch und Christentum
Pilgern und Wallfahren haben in Judentum und Christentum eigene lange Traditionen. Zumal im Christentum spielt die Wallfahrt, z.B. nach Rom, Jerusalem oder Santiago, allerdings eine viel geringere Rolle als der Hadsch im Islam.
Es gibt jedoch einige Elemente des Hadsch, die mit Blick auf das Christentum eine hohe Verwandtschaft aufweisen. Der hier schon zitierte K.v. Stosch nennt pimär: "Das Schuldbekenntnis und der Kampf mit der Versuchung, die Opferung und die neue Geburt am dritten Tag [nach der "Steinigung des Teufels", Anm. RP], die verschiedenen symbolischen Handlungen, die vollzogen werden, aber auch die Siebenzahl der Umrundungen und der zu wählenden Steine – alle Symbolik steht in Kontinuität zur biblischen Tradition und zeigt, dass der Islam hier nicht etwas Neues erfinden will, sondern bewährte Traditionen der älteren Schwesterreligionen, aber auch der indigenen Religionen der arabischen Halbinsel aufgreift und in verdichteter Weise ritualisiert."11
Allerdings stehen die Strenge der Rituale und ihre akribische Einhaltung im scharfen Gegensatz zu unserer (westeuropäischen) Weise, unsere Religion zu leben. Mit der Relativierung ritueller Vorschriften wächst zwar unsere Autonomie und aufgeklärte Freiheit, dieser Gewinn wird nach von Stosch aber erkauft "durch einen Mangel an Stabilität und Klarheit."12
Tatsächlich findet sich unter Christen (außer sie gleiten ins Sektiererische ab) selten die Ernsthaftigkeit und damit auch die Erlebnisgewalt religiösen Tuns.
Das soll nun nicht heißen, dass wir, wie manche mittelalterliche Pilger, auf Knien in die heiligen Städte rutschen müssten.
Aber die Größe und Erhabenheit Gottes werden wir wohl eher erfahren, wenn wir uns selbst mehr hineingeben in die religiösen Vollzüge, wie es bei dem großen Aufwand der Fall ist, den muslimische Pilger für den Hadsch betreiben. Ich hoffe, der Hadsch kann den Pilgern dieses Jahres ein gotterfülltes Leben ermöglichen – was für Christen und Muslime ja immer auch ein Leben in größerer Barmherzigkeit ist.

Felsendom. Jerusalem, 2013.


1   M.S. Abdullah, Islam für das Gespräch mit Christen. Gütersloh 1992, 63.
2   Ebd.
3   P. Heine, Islam zur Einführung. Hamburg 2003, 85.
4   M.S. Abdullah, a.a.O., 63.
5   P. Heine, a.a.O., 85.
6   Vgl. ebd., 87.
7   Vgl. dazu und auch zum heidnischen Hintergrund von Wallfahrt und Termin: A. Schimmel, Im Namen Allahs des Allbarmherzigen. Der Islam. München 1999, 90f.
8   Vgl. zu den Einzelelementen (a-f): P. Heine, a.a.O., 81ff; M.S. Abdullah, a.a.O, 63f; A. Schimmel, a.a.O., 90ff.
9   So die Übersetzungen für "labaika" bei P. Heine, a.a.O., 83 / A. Schimmel, a.a.O., 92.
10   Vgl. zu den Begrifflichkeiten: G. Theißen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums. Gütersloh 2. Aufl. 2001, 19.
11   K.v. Stosch, Herausforderung Islam. Christliche Annäherungen. Paderborn 2016, 93.
12   Ebd., 94.