Weil gerade Hadsch nach
Mekka ist, hier ein paar Informationen und Anmerkungen aus
christlicher Perspektive.
1 Sinn des Hadsch
allgemein
Im Islam verhilft die Reise
nach Mekka, den Geburtsort Mohammeds, der „geographischer
Mittelpunkt“1
des Islam ist, den Gläubigen zur Erfahrung der „Einheit in
ihrer Universalität“2
und zur „Einheit in der Vielfalt“.3
Darüber hinaus bietet die
Wallfahrt eine Erfahrung der Zugehörigkeit der Muslime zur
„Bruderschaft des Islam“4
und dient der „Stärkung ihres religiösen und persönlichen
Selbstvertrauens“.5
Feierliche Rituale bei An- und Abreise zeugen von Sozialprestige und
aus der Wallfahrt erwachsender religiöser Autorität, die unabhängig
von Bildungsstand oder sozialer Stellung ist.6
Der Entschluss zur Wallfahrt
ist gebunden an die körperlichen und finanziellen Möglichkeiten und
an den Zeitpunkt, da der Hadsch in den Wallfahrtsmonat fallen muss.7
2 Elemente des Hadsch
Kopiervorlagen für den deutschen Pilger. [aus: A.v. Denffer, Wallfahrt nach Mekka. Das Wichtigste über umra und hadsch. München 1987.] |
Wichtige Einzelelemente der
Wallfahrt lassen sich wie folgt summieren:
(a) Der Weihezustand (Ihram)
ab Beginn des Hadsch, der als Läuterung und Egalisierung verstanden
werden kann. Praktisch bedeutet er das Anziehen des weißen Gewandes
(für Männer), den Verzicht auf Geschlechtsverkehr, Streit, Jagd,
Rasur etc.8
(b) Die Umrundung der Kaaba
(Tawaf) und das Küssen des schwarzen Steines vollziehen Männer und
Frauen gemischt. Es ist ein Erlebnis intimster Gebetsgemeinschaft mit
einer ungeheuren Masse von Menschen.
(c) Der Lauf zwischen Safa
und Marwa (Saī) als
Erinnerung und Vergegenwärtigung der Suche Hagars nach Wasser für
ihren Sohn Ismael und das Hoffen auf Allahs Erbarmen in der Not.
(d) Das Tieropfer als
Erinnerung an das „Opfer“ Abrahams in der muslimisch-koranischen
Perspektive, entscheidend werden hier die Ehrfurcht und der Gehorsam
der Pilger herausgestellt, im Blick auf die Spende für die Armen
zeigt sich ein sozial-caritatives Element.
(e) Das symbolische
Steinigen des Teufels mithilfe unterwegs gesammelter Steine, die auf
drei Stelen geworfen werden. Durch diese Handlung soll eine Abscheu
gegenüber dem Bösen ausgedrückt werden.
(f) Ein zentrales Ritual ist das Verweilen am Berg Arafat, eine Zeit, die ganz für Gebet, Meditation und Dasein in der Gegenwart Allahs reserviert ist.
(f) Ein zentrales Ritual ist das Verweilen am Berg Arafat, eine Zeit, die ganz für Gebet, Meditation und Dasein in der Gegenwart Allahs reserviert ist.
Die davor und danach
liegenden Rituale, Handlungen und Haltungen (a-e), die von
Geschäftigkeit und Eile geprägt sein können, werden hier in die
Stille aufgehoben.
Andere Stätten. Jerusalem, 2013. |
Zusammenfassend kann gesagt
werden, dass sich verschiedenste Elemente individuellen und
kollektiven religiösen Handelns in der Wallfahrt mischen:
wiederholende Gebete (v.a. „Da bin ich“ / „Dir zu
Diensten“9)
spielen ebenso eine Rolle wie der Opferritus, die Kontemplation, das
Hören auf Predigten, das Spenden, das Lesen im Koran und das Gehen
zu heiligen Orten. Die klassischen Ausdrucksformen des Religiösen
wie Mythos (Vorbild Mohammeds), Ethos (Spenden und Auflagen des
Ihram) und Ritus (z.B. rituelles Opfern)10
liegen im Falle des Hadsch in expliziter Weise vor.
3 Hadsch und Christentum
Pilgern und Wallfahren haben
in Judentum und Christentum eigene lange Traditionen. Zumal im
Christentum spielt die Wallfahrt, z.B. nach Rom, Jerusalem oder
Santiago, allerdings eine viel geringere Rolle als der Hadsch im
Islam.
Es gibt jedoch einige
Elemente des Hadsch, die mit Blick auf das Christentum eine hohe
Verwandtschaft aufweisen. Der hier schon zitierte K.v. Stosch
nennt pimär: "Das Schuldbekenntnis und der Kampf mit der
Versuchung, die Opferung und die neue Geburt am dritten Tag [nach
der "Steinigung des Teufels", Anm. RP], die
verschiedenen symbolischen Handlungen, die vollzogen werden, aber
auch die Siebenzahl der Umrundungen und der zu wählenden Steine –
alle Symbolik steht in Kontinuität zur biblischen Tradition und
zeigt, dass der Islam hier nicht etwas Neues erfinden will, sondern
bewährte Traditionen der älteren Schwesterreligionen, aber auch der
indigenen Religionen der arabischen Halbinsel aufgreift und in
verdichteter Weise ritualisiert."11
Allerdings
stehen die Strenge der Rituale und ihre akribische Einhaltung im
scharfen Gegensatz zu unserer (westeuropäischen) Weise, unsere
Religion zu leben. Mit der Relativierung ritueller Vorschriften
wächst zwar unsere Autonomie und aufgeklärte Freiheit, dieser
Gewinn wird nach von Stosch aber erkauft "durch einen
Mangel an Stabilität und Klarheit."12
Tatsächlich
findet sich unter Christen (außer sie gleiten ins Sektiererische ab)
selten die Ernsthaftigkeit und damit auch die Erlebnisgewalt
religiösen Tuns.
Das
soll nun nicht heißen, dass wir, wie manche mittelalterliche Pilger,
auf Knien in die heiligen Städte rutschen müssten.
Aber
die Größe und Erhabenheit Gottes werden wir wohl eher erfahren,
wenn wir uns selbst mehr hineingeben in die religiösen Vollzüge,
wie es bei dem großen Aufwand der Fall ist, den muslimische Pilger
für den Hadsch betreiben. Ich hoffe, der Hadsch kann den Pilgern
dieses Jahres ein gotterfülltes Leben ermöglichen – was für
Christen und Muslime ja immer auch ein Leben in größerer
Barmherzigkeit ist.
Felsendom. Jerusalem, 2013. |
1 M.S.
Abdullah, Islam für das Gespräch mit Christen. Gütersloh 1992,
63.
2 Ebd.
3 P.
Heine, Islam zur Einführung. Hamburg 2003, 85.
4 M.S.
Abdullah, a.a.O., 63.
5 P.
Heine, a.a.O., 85.
6 Vgl.
ebd., 87.
7 Vgl.
dazu und auch zum heidnischen Hintergrund von Wallfahrt und Termin:
A. Schimmel, Im Namen Allahs des Allbarmherzigen. Der Islam. München
1999, 90f.
8 Vgl.
zu den Einzelelementen (a-f): P. Heine, a.a.O., 81ff; M.S. Abdullah,
a.a.O, 63f; A. Schimmel, a.a.O., 90ff.
9 So
die Übersetzungen für "labaika" bei P. Heine, a.a.O.,
83 / A. Schimmel, a.a.O., 92.
10 Vgl.
zu den Begrifflichkeiten: G. Theißen, Die Religion der ersten
Christen. Eine Theorie des Urchristentums. Gütersloh 2. Aufl. 2001,
19.
11 K.v.
Stosch, Herausforderung Islam. Christliche Annäherungen. Paderborn
2016, 93.
12 Ebd.,
94.