Der Gedanke vom Mit-Leiden mit Christus
als dem Gekreuzigten prägte Edith Stein so sehr, dass sie als
Ordensnamen Teresia Benedicta a Cruce wählte, also "Theresia,
die vom Kreuz gesegnete". Darin drückte sich einerseits ihre
Verehrung für Teresa von Avila aus, deren Autobiographie sie 1921
zum entscheidenden Schritt in den christlichen Glauben bewegte,
andererseits bezieht sie sich mit diesem Namen auf Johannes vom
Kreuz, dessen Werk sie in ihrer "Kreuzeswissenschaft"
systematisch durchdeklinierte.
Schließlich aber wird ihr Name auch
sprechend und ganz und gar praktisch durch ihr eigenes Sterben am 9.
August 1942 in Auschwitz.
Doch klargestellt werden muss auch:
Edith Stein, die Christin gewordene Jüdin, die Philosophin und
Karmelitin, wird ermordet, weil sie Jüdin war, nicht weil man ihr
Christsein bestrafen wollte. Insofern ist sie eines der vielen Opfer
des Rassenantisemitismus der Nationalsozialisten, der auf das
Bekenntnis nicht achtete, sondern nur auf die biologische Herkunft.
Ihr Platz in der Mitte. Rixdorf, Berlin, 2016. |
Doch diesem rassischen Denken gegenüber
steht das theologische Selbstverständnis Edith Steins, die sich
selbst als solidarisch mit dem Volk ihrer Herkunft verstand und
zugleich das christliche Verständnis stellvertretender Sühne
adaptierte. So schreibt Papst Johannes Paul II. 1999, anlässlich der
Ernennung zur Mitpatronin Europas:
"Sie machte sich insbesondere
das Leiden des jüdischen Volkes zu eigen, je mehr sich dieses in
jener grausamen nazistischen Verfolgung zuspitzte, die neben anderen
schwerwiegenden Äußerungen des Totalitarismus einer der dunkelsten
Schandflecke Europas in unserem Jahrhundert bleibt. Da ahnte sie, daß
in der systematischen Ausrottung der Juden ihrem Volk das Kreuz
Christi aufgebürdet wurde. Als persönliche Teilhabe an diesem Kreuz
erlebte sie ihre eigene Deportation und Hinrichtung in dem zu
trauriger Berühmtheit gelangten Vernichtungslager
Auschwitz-Birkenau."1
Die Formulierung ist mit Bedacht
gewählt – sie selbst deutete ihr Schicksal theologisch; was uns
aber nicht berechtigt, diese christologische Deutung auch auf alle
anderen Opfer der Massenvernichtung der Nazis anzuwenden. Eine
Vereinnahmung jüdischer Opfer durch christliche
Stellvertretungstheologie verbietet sich von selbst.2
Die christliche Selbstdeutung ihres
eigenen Todes auf das Kreuz Christi hin in Verbindung mit ihrem
freiwilligen Gehen aber ist dann eben auch Edith Stein nicht
abzusprechen. Letzteres offenbart sich besonders in den Worten zu
ihrer in den Karmel geflüchteten Schwester Rosa kurz vor der
Deportation: "Komm, wir gehen für unser Volk."3
Darin offenbaren sich ihre innere Verbundenheit mit der eigenen
Herkunft und ein (sicher nicht unproblematisches4)
christliches Sühnedenken.
Dementsprechend summiert G.M. Schmitt
in einem Beitrag über Edith Stein als Jüdin und Christin die
Meinung vieler katholischer Theologen:
"Wenn Edith Stein sich mit dem
Leidensweg ihres Volkes solidarisch zeigte, und wenn sie in freier
Hingabebereitschaft der Liebe Christi wegen ihrem persönlichen
Sterben den Charakter des Für-Seins Gottes für die Menschen
einprägte, dann könne wohl der Sinn des christlichen Martyriums
erfüllt sein. Auch wenn die Henker von diesen Zusammenhängen nichts
ahnten, ändere sich an dieser Sinngebung nichts."5
Vergossen. Grünheide, 2016. |
Derart lässt sich Edith Steins Leben
und Sterben durchaus als christliches Zeugnis für den Glauben an das
Leben und Sterben Jesu und ein Hineingehen in sein Schicksal deuten.
Doch was, von einem vielleicht
aufrichtigen und leidensbereiten Vorbildcharakter abgesehen, geht uns
das an, wenn unsere Spiritualität und Sehnsucht vielleicht nicht auf
eine solch konkrete Kreuzesnachfolge hin ausgerichtet ist?
Der Schweizer Theologe Hans Urs von
Balthasar erläutert zur Aussendungsrede Jesu in Mt 10,16-39, dass
die Warnung vor den Wölfen, in welcher Gestalt sie in den
Jahrhunderten auch immer gegenüber den Christen auftreten, "nicht
eine Eventualität meint, sondern das Unvermeidliche",6
weil Glauben heißt: "mit dem ganzen Dasein danken dafür,
daß man sein ganzes Dasein dem historischen Jesus verdankt. Und da
ich ihm mein Dasein nur deshalb verdanke, weil er sein Dasein für
das meine preisgegeben hat, ist dieser Dank auch nicht anders
auszusprechen als mit dem ganzen Dasein."7
Darum ist Glaube im christlichen Sinn
immer schon "Vorwegnahme meiner Lebenshingabe an Christus"8
und das tatsächliche Martyrium als Bekenntnis dieses Glaubens mit
dem eigenen Leben nur dessen Entfaltung in den existenziellen
"Ernstfall" hinein.
Kniee ich vor diesem sich am Kreuz hin-
und preisgebenden Gott nieder, drücke ich damit mein demütiges
Vertrauen zu seiner Liebe und Liebesgröße aus. Von Balthasar
formuliert den nächsten Schritt trinitätstheologisch rückgebunden:
"Aus der geöffneten Trinität, die zugänglich wird im
geöffneten gebrochenen Herzen am Kreuz, strömt das Urgeheimnis der
unvordenklichen ewigen Liebe hervor, und von dorther, davon
überwältigt, öffnet der Christ sein Herz (grenzenlos bis zum Tod)
dem Bruder."9
Dieses liebevolle Offenwerden für die
Nächsten angesichts der schmerzhaften Offenheit Gottes war auch für
Edith Stein zentrales Element ihrer mystischen Gottesbeziehung. Aus
dieser Gottesbeziehung konnte sie den Weg in den Tod von Auschwitz
als Jüdin und Christin gehen.
Hingegeben. Rixdorf, Berlin, 2015. |
1 Johannes
Paul II., Apostolisches Schreiben als „Motu Proprio“ erlassen
zur Ausrufung der hl. Birgitta von Schweden der hl. Katharina von
Siena und der hl. Teresia Benedicta a Cruce zu Mitpatroninnen
Europas, 01.10.1999, 9. Zu finden unter:
http://w2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/motu_proprio/documents/hf_jp-ii_motu-proprio_01101999_co-patronesses-europe.html.
2 Vgl.
dazu G.M. Schmitt, Edith Stein – Jüdin und Christin. In: GuL
1/1999, 24-38, 29f.34. Zu finden unter:
http://gul.echter.de/component/docman/doc_download/3630-72-1999-1-024-038-schmitt-0.html.
3 Edith
Stein, zit. n. ebd., 29.
4 Vgl.
sehr erhellend ebd., 32ff.
5 Ebd.,
35.
6 H.U.v.
Balthasar, Cordula oder der Ernstfall. Einsiedeln 1966, 11.
7 Ebd.,
17.
8 Ebd.,
19.
9 Ebd.,
106.