Am 12. August 1955, also heute vor 61 Jahren, starb Thomas Mann in Zürich. Gegen den Ungeist des Nationalsozialismus hat er sich nicht nur in vielen privaten Briefen und öffentlichen Radioansprachen gewandt - sondern auch in seinem großen Josephsroman, der seit 1933 in vier Teilen erschien.
Mann wollte darin einen biblisch inspirierten Gegenentwurf zum geistlosen Rassismus, der in jener Zeit in Deutschland wütete, bieten.
Selten genug wird der Roman diesbezüglich eindeutig - aber vor einer der heikelsten Szenen, nämlich der versuchten Verführung Josephs durch die Frau des Potiphar, geschildert im dritten Band "Joseph in Ägypten", der 1936 erschien, geschieht es.
Diese Stelle möchte ich an seinem Todestag kurz anführen.
Diese Stelle möchte ich an seinem Todestag kurz anführen.
Nur ein Licht. Stella Maris, Binz, Rügen, 2016. |
Die unbewusst schon den Joseph verehrende Gattin Potiphars/Peteprês wendet sich in der betreffenden Szene an ihren Mann, um den zum Hausmeier und Mundschenk aufgestiegenen Joseph, den sie bereits als Gefahr für sich und ihr emotionales Gleichgewicht erkannt hat, noch vom Hofe jagen zu lassen. Dabei stellt Mann nicht nur die komplexen und widersprüchlichen Gefühle heraus, sondern lässt sie über ausschweifende (mannsche) Umwege eine Reihe von religiösen und rassistischen Argumenten nutzen.
Die religiösen Angriffe auf Joseph sind letztlich traditionalistisch und von politisch-sozialem Dünkel überlagert:
"Amun hasst die Lockerung durch das Fremde, das die Bande zerrüttet, und die Missachtung urfrommer Volksordnung, weil sie die Länder entnervt und das Reich des Zepters beraubt." (756)
Schon an dieser Stelle lässt sich der Bezug auf die Zeit Thomas Manns leicht herstellen - der Antisemitismus, der Juden die Unterwanderung und Schwächung der Deutschen vorwarf und im Gewand germanischen Heidentums die "alte" Ordnung vom Recht des Stärkeren wieder aufleben lassen wollte, wäre leicht erkennbar.
Stärker und eindeutiger jedoch sind die rassistischen Vorwürfe, in denen sie auch die von Potiphar gepriesenen natürlichen Vorzüge und Gaben des unentbehrlich gewordenen Josephs angreift:
"... wie sollte ein aufgelesener Fremdling unentbehrlich sein im Lande der Menschen und in Peteprê's Haus, das ein Segenshaus war, ehe denn dieser Käufling darin zu wachsen begann? Nie hätte geschehen dürfen, dass er darin wuchs. War denn der Knabe gekauft, aufs Feld gehörte er und in die Fron, statt dass man ihn auf dem Hofe hielt und ihm gar deinen Becher vertraute sowie dein Ohr in der Bücherhalle, um einnehmender Gaben willen. Die Gaben sind nicht der Mensch; von ihnen muss man ihn unterscheiden. Desto schlimmer nur, wenn ein Niedriger Gaben hat, dass sie am Ende gar seine natürliche Niedrigkeit könnten vergessen lassen." (763)
"... wie sollte ein aufgelesener Fremdling unentbehrlich sein im Lande der Menschen und in Peteprê's Haus, das ein Segenshaus war, ehe denn dieser Käufling darin zu wachsen begann? Nie hätte geschehen dürfen, dass er darin wuchs. War denn der Knabe gekauft, aufs Feld gehörte er und in die Fron, statt dass man ihn auf dem Hofe hielt und ihm gar deinen Becher vertraute sowie dein Ohr in der Bücherhalle, um einnehmender Gaben willen. Die Gaben sind nicht der Mensch; von ihnen muss man ihn unterscheiden. Desto schlimmer nur, wenn ein Niedriger Gaben hat, dass sie am Ende gar seine natürliche Niedrigkeit könnten vergessen lassen." (763)
Da steht er, der antisemitische Rassismus der Nazis in Reinkultur. Blut und Rasse triumphieren über alles andere. Und alles andere kann nur Täuschung genannt werden, wenn das Blut nicht stimmt.
Letztlich läuft die ganze nationalsozialistische Kulturpolitik auf jenen letzten Satz zu.
Von diesem Angelpunkt wird auch die innere Logik nachvollziehbar (wenngleich nicht wirklich verständlich), die viele Gebildete verführte, sich von jüdischstämmigen Literaten, Musikern Künstlern, Journalisten ... abzuwenden. Schließlich kamen ihnen in dieser Sicht ihre Talente gar nicht zu und waren eher als Unfall zu verstehen.
Letztlich läuft die ganze nationalsozialistische Kulturpolitik auf jenen letzten Satz zu.
Von diesem Angelpunkt wird auch die innere Logik nachvollziehbar (wenngleich nicht wirklich verständlich), die viele Gebildete verführte, sich von jüdischstämmigen Literaten, Musikern Künstlern, Journalisten ... abzuwenden. Schließlich kamen ihnen in dieser Sicht ihre Talente gar nicht zu und waren eher als Unfall zu verstehen.
Dagegen steht nun die Antwort des Potiphar einige Seiten später, durch die am ehesten Manns eigene Meinung durchschimmern dürfte:
"Nenne ihn einen Barbaren und Sklaven - nach dem Buchstaben tust du's mit Recht, aber ist dir das Recht genug, wenn's nicht dazu ein Recht ist im Geiste? Ist es wohl Landessitte und echte Art, den Mann danach zu schätzen, ob er frei oder unfrei, einheimisch oder fremd, und nicht vielmehr danach, ob dunkel sein Geist und ohne Schule oder erleuchtet vom Wort und geadelt von seinen Zauberkräften?" (767)
"Nenne ihn einen Barbaren und Sklaven - nach dem Buchstaben tust du's mit Recht, aber ist dir das Recht genug, wenn's nicht dazu ein Recht ist im Geiste? Ist es wohl Landessitte und echte Art, den Mann danach zu schätzen, ob er frei oder unfrei, einheimisch oder fremd, und nicht vielmehr danach, ob dunkel sein Geist und ohne Schule oder erleuchtet vom Wort und geadelt von seinen Zauberkräften?" (767)
Dieses Kriterium scheint mir entscheidend und auch in unseren erhitzten Debatten wieder nützlich: nicht Hautfarbe und Herkunft, Religion und Nationalität sollten darüber entscheiden, wie wir einem Menschen begegnen und was wir ihm anvertrauen, sondern seine Offenheit und sein inneres Licht. Der Geist macht's.
In diesem Sinn kann Thomas Mann auch nach 80 Jahren noch hilfreich und aktuell sein.
Zählt Herkunft oder Inneres? Binz, Rügen, 2016 |