Gerade bin ich aus Krakau zurückgekommen.
Der Weltjugendtag war bei unserer Ankunft zwar schon vorbei, aber die Atmosphäre der Stadt war durch noch umherziehende Pilgergruppen, Tanzgesänge des Neokatechumenats und vor allem die allgegenwärtige Beschilderung noch noch stark geprägt von diesem Ereignis.
Schon im letzten Jahr hatte ich einige
Reflexionen zur aktuellen innenpolitischen Rolle der Kirche
geschrieben, jetzt möchte ich noch einen weiteren kurzen Blick auf
die besondere Rolle der katholischen Kirche in Polen werfen.
Das Kreuz vom Abbau noch unberührt. Blonia, Kraków, 2016. |
Zu solchen Meinungsäußerungen des
Papstes gibt es eine nicht zu leugnende Distanz der polnischen
Bischöfe und PolitikerInnen. Seine politischen, kirchlichen und
theologischen Akzente passen nicht in die konservativ agierende
Politik und in das nationale Abgrenzungsbedürfnis vieler Katholiken.
Das gilt vor allem dann, wenn es um politische und kirchenpolitische
Identitätsmarker wie die Frage der Aufnahme (muslimischer)
Flüchtlinge in Polen geht oder um die leichten Verschiebungen der
Ehe- und Sexualmoral in "Amoris Laetitia" hin zu einem
differenzierteren, auf das individuelle Gewissen achtenden Umgang mit
moralischen Konfliktsituationen.
Auf die Aufforderung des Papstes hin, sich für Flüchtlinge zu engagieren und sie aufzunehmen, stimmen polnische PolitikerInnen pflichtschuldig zu und betonen gleichzeitig, dass man im Nahen Osten den Menschen helfe, nicht zu fliehen. An anderer Stelle wird dann wieder bestätigt, dass man an die Aufnahme von Flüchtlingen in Polen weiterhin nicht denke. Eine größere Heuchelei und Wortverdrehung als diese Doppelzüngigkeit der durchweg katholischen Akteure ist schlecht zu denken.
Auf die Aufforderung des Papstes hin, sich für Flüchtlinge zu engagieren und sie aufzunehmen, stimmen polnische PolitikerInnen pflichtschuldig zu und betonen gleichzeitig, dass man im Nahen Osten den Menschen helfe, nicht zu fliehen. An anderer Stelle wird dann wieder bestätigt, dass man an die Aufnahme von Flüchtlingen in Polen weiterhin nicht denke. Eine größere Heuchelei und Wortverdrehung als diese Doppelzüngigkeit der durchweg katholischen Akteure ist schlecht zu denken.
Dagegen ist zu betonen: Wer auch nur einen flüchtigen Blick in die
polnische Geschichte wirft, kann ohne Weiteres verstehen, dass
nationale Integrität und staatliche Souveränität einen besonders
hohen Wert darstellen. Allein das Verschwinden Polens von der europäischen Landkarte im Zuge der polnischen Teilungen im 18.
Jahrhundert, der Zangengriff von Hitler und Stalin im Zweiten
Weltkrieg sowie der sowjetisch oktroyierte Kommunismus nach 1945
lassen erkennen, dass die Furcht um den Verlust der staatlichen
Kontrolle oft sehr reale Wurzeln hatte. Nicht zuletzt die Verhängung
des Kriegsrechts 1981 wurde von General Jaruzelski immer wieder damit
begründet, dass nur so ein Einsatz des sowjetischen Militärs zur
Niederschlagung der Streikenden abzuwenden gewesen sei.
Ich kann darum in gewissen Grenzen
nachvollziehen, dass Abtretungen staatlicher Souveränität an die
Europäische Union, wozu möglicherweise auch Quoten zur europaweiten Verteilung von Flüchtlingen gehören mögen, nicht einfach zu vermitteln sind und Widerstände
hervorrufen können, wie sie, das ist nun kritisch anzumerken, von
der jetzigen Regierung emotional und populistisch zu nationalen
Identitätfragen hochgekocht werden.
Verbleibende Zeltflecken. Na Skalce, Kraków, 2016. |
Im Hintergrund dieser Identitätsfragen auch hier wieder die Geschichte:
Die katholische Kirche war in allen Umbrüchen eine der stärksten Bastionen des
Polentums - ihre patriotischen Aktivitäten mussten oftmals fehlende staatliche Souveränität ersetzen. So war die Kirche, zumal nach 1945 eine Art oppositioneller polnisch ausgerichteter Staat im kommunistischen Staate. Mit Blick
auf das halbe Jahrhundert unter dem Kommunismus kann man dem
liberalen Intellektuellen Adam Michnik beipflichten, der noch 1990
konstatiert: "Die Kirche hat es großartig verstanden, sich
gegen den atheistischen Kommunismus zu wehren, sich ihre Souveränität
in einem totalitären Staat zu bewahren. Diese Kirche versteht sich
aber nicht auf das Zusammenleben innerhalb einer pluralistischen
Gesellschaft. Denn im Pluralismus zu leben, heißt auch zur
Selbstbeschränkung fähig, sich des Zusammenlebens mit anderen
bewußt und zur gemeinsamen Gestaltung dieses Zusammenlebens imstande
zu sein. Die jüngsten Erfahrungen stimmen nicht sonderlich
positiv."1
Die aktuellen Erfahrungen sind
nicht dazu angetan, diese letzte Feststellung grundsätzlich umzuwerfen.
Außerdem hat die so genannte "Lustracja", also die
Durchleuchtung vieler Biographien auch kirchlicher Amtsträger,
inzwischen Dokumente der Geheimdienste zutage gefördert, die auf
eine stärkere Zusammenarbeit einiger Kirchenmänner mit den
Kommunisten schließen lassen, als das lange Zeit für möglich
gehalten wurde (beispielhaft sei der 2007 ernannte Warschauer
Erzbischof Wielgus genannt, der noch vor der Amtseinführung
abdankte).
Das Bild der Kirche als Bollwerk gegen
den Kommunismus hat also Risse bekommen. Dagegen hilft auch nicht ein nationaler Märtyrer wie Jerzy Popieluszko oder die
ständige Betonung der großen Liebe zu Papst Johannes Paul II. und
seiner sicher nicht unbedeutenden Rolle im Umbruch von 1990 nicht
viel weiter.
Fahne des Weltjugendtages, unbeschattet. Kosciol Sw. Katarzyny, Kraków, 2016. |
Die Kirche muss nicht mehr Staat machen und sollte es auch nicht tun. Unwidersprochen hat sie viele Verdienste auch in der nach und nach reifenden Unterstützung der Solidarność-Bewegung und als Motivatorin im Hintergrund. Doch der große Feind ist verschwunden und es ist möglich, ein kirchliches Leben ohne neue identitätsstiftende Feindbilder (wie den Liberalismus) aufzubauen. Doch das ist nicht einfach. Würde die Kirche sich heute im Sinne der katholischen Soziallehre mehr für die Rechte der Angestellten und Arbeiter einbringen, stünde sie näher bei ihrer Sendung, als wenn sie sich weiterhin als Opposition gegen scheinbar unpatriotisches Denken gebärdet (wie sie es zum Glück nur noch in Teilen tut).
Wenn der Papst nun in Polen die
Jugendlichen aus aller Herren Länder auffordert, nicht auf den Sofas
zu verharren, sondern aufzustehen, ihr Leben mit Christus zu führen
und es in die eigene Hand zu nehmen, dann kann ich nur hoffen, dass
die Polen unter diesen Jugendlichen in diesem Geist (und gestärkt
von den Erfahrungen des Weltjugendtags) mehr und mehr in einer
internationalen Welt ankommen, die sich nicht abschottet, sondern
Brücken baut.
Dass die junge Generation der Polen nicht aus Angst,
sondern aus positivem Selbststand, nicht aus Abgrenzung, sondern wohlwollender Offenheit lebt - und dabei gut katholisch bleiben kann.
Und dass dies auch in
den Kirchenspitzen ankommt.
Oder mit den Worten des polnischen
Dichters Zbigniew Herbert, die auch von Papst Franziskus stammen
könnten:
"Steh auf und geh geradeaus.
Fühl dich frei.
Bleib treu und geh."2
1 A.
Michnik, Der lange Abschied vom Kommunismus. Reinbeck bei Hamburg
1992, 82f.
2 Z.
Herbert, Das Land, nach dem ich mich sehne. Lyrik und Prosa.
Frankfurt a.M. 1987, 268. Zit. n. T. Mazowiecki, Partei nehmen für die Hoffnung. Über Moral in der Politik. Freiburg i.Br. 1990, 152.