Montag, 10. August 2015

Revolutionäre und Schismatiker in Polen? - Oder: Sich beim Präsidenten für die Kirche entschuldigen

Ich befinde mich seit einiger Zeit in Warschau, wo im Mai die Präsidentenwahl stattgefunden hat. In einer Stichwahl hat sich Andrzej Duda von der konservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) gegen den bisherigen Amtsinhaber Bronislaw Komorowski von der eher liberalen „Bürgerplattform“ (PO) durchgesetzt. Das politische Klima wirkte zuvor, aber auch danach oft aufgeheizt und angespannt.

Weitere Perspektive.
Blick auf die "Altstadt" von Warschau, 2015.
Komorowski, seinerseits bekennender und praktizierender Katholik, wurde in den vergangenen Wochen von Teilen des polnischen Episkopats und katholischer Aktivisten hart angegangen, weil er in den letzten Tagen seiner Amtszeit ein Gesetz unterzeichnet hat, durch das die In-Vitro-Fertilisation, also die künstliche Befruchtung außerhalb des menschlichen Körpers, in Polen legalisiert wird.

(Zu dieser Methode und ihrem Ziel kann man selbstverständlich unterschiedlicher Meinungen haben: ob jemand der Hoffnung auf ein Ende der Kinderlosigkeit einen entscheidenden Wert zugesteht oder die befruchteten Eizellen als beginnendes menschliches Leben ansieht und die nicht eingesetzten Eizellen als entscheidenden Hinderungsgrund für die Wahl dieser Methode betrachtet muss diskutiert werden. Die katholische Kirche sieht aus dem genannten Verständnis heraus und aus anderen Gründen die In-Vitro-Fertilisation nicht als moralisch legitime Option an.)

Komorowski selbst betont: „Ich bin nicht Präsident des Gewissens der Menschen.“ ("Nie jestem prezydentem ludzkich sumień") und erklärt, dass er die rechtlichen Möglichkeiten schaffen wolle, die nun aber niemand entgegen dem eigenen Gewissen nutzen müsse.

Im öffentlichen Diskurs kam es nun nicht nur zu Briefwechseln zwischen mit dem Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz im Kontext der Unterzeichnung des Gesetzes durch den Präsidenten, sondern darüber hinaus zur sich ins Absurde verselbstständigenden Debatte, ob Komorowski nun überhaupt noch zur Kommunion zugelassen werden dürfe oder vielleicht sogar kommuniziert sei. Ohne dass hier theologisch oder kirchenrechtlich etwas entschieden war, sprach sich ein Bischof dafür aus, Komorowski solle die Kommunion besser nicht empfangen, während man den Präsidenten beim reaktionär-antisemitischen Radio Maryja gleich mit Hitler verglich.

Verdunkelt das Kreuz die Sonne?
Swiatynia Opatrznosci Bozej,
Wilanow, Warschau, 2015.
Die sich überschlagenden Emotionen kennt man bei Themen der Sexual- und Fortpflanzungsethik auch im deutschen Kontext, aber normalerweise kocht sich die Debatte nicht in meinungsbildenden Medien, sondern bei den üblichen Verdächtigen v.a. im Netz hoch und abseitige Meinungen werden in der Regel nicht seitens prominenter offizieller kirchlicher Vertreter geäußert. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Im Kontext der Amtsübergabe hat der scheidende Präsident in der vergangenen Woche an einer abschließenden Eucharistiefeier feiern lassen.
Im Rahmen dieser liturgischen Feier entschuldigten sich einige Priester „für viele Ungerechtigkeiten, sogar einige sehr niederträchtige“ die „durch Leute, die wir Leute der Kirche nennen“ begangen wurden, vor allem für „Worte, die verletzen, besonders solche, die Ihren Glauben, Ihr Gewissen, Ihre Treue zur Kirche betrafen.“
Dabei wiesen die Verantwortlichen darauf hin, dass sie keine Bischöfe seien, sondern Priester, „die sich trotzdem in ihrem Maße mitverantwortlich fühlen für die Ungerechtigkeiten“, die dem Präsidenten zugefügt werden.
Einer dieser Priester, Kazimierz Sowa, äußerte sich in einem Interview zu diesem außergewöhnlichen Schritt, der prompt die erwartbare harsche Kritik hervorrief und eine Kampfhaltung gegen die Bischöfe unterstellte. „Wir haben uns weder gegen die Bischöfe noch gegen die Kirche gestellt. Wenn jemand darauf hinweist, dass etwas schlechtes im öffentlichen Raum geschieht, ist er kein Revolutionär oder Schismatiker. Wir haben das getan, damit der attackierte Präsident sich nicht durch die Kirche zurückgewiesen fühlt.“
Die selbsternannten Glaubenshüter würden sich eher wie der auf äußerste moralische Reinheit fixierte spätmittelalterliche Prediger Savonarola aufführen als wie echte Katholiken.

Diese Beobachtung und der Gang der Debatte mit den äußerst hitzigen Kommentaren und überzogenen Reaktionen scheint mir in Vielem symptomatisch für die Lage der polnischen katholischen Kirche. Durch die langsam schwindende Machtbasis verhärtet sich die Front auf Seiten derer, die Angst um den Verlust von politischem Einfluss haben. Weniger die höheren Amtsträger selbst als vielmehr ihre selbsternannten (und nicht gebändigten) Vertreter verlieren bei der Fixierung auf die hohen Werte neben den Regeln des Anstands auch die Verhältnismäßigkeiten aus dem Blick.
Ausschluss oder Einschluss?
Vor dem Muzeum Narodowe, Warschau, 2015.
Dann beherrschen Beschimpfungen, ideologischer Reinheitswahn und das Bestreiten des Katholisch-Seins die Debatte. Statt der so nötigen Differenzierung und Entspannung wird Hau-drauf-Stärke gezeigt, weil augenscheinlich das Gefühl vorherrscht, dass ein Miteinander und Versöhnung mit zu vielen nicht (mehr) möglich sei.

Bleibt zu hoffen, dass sich mehr Menschen öffentlich schämen und distanzieren, wenn so geredet und gehandelt – oder von oben gutgeheißen wird. Denn das erscheint mir das Gegenteil der christlichen Botschaft zu sein.
Vielleicht setzt sich auch in solcherlei kirchlichen Diskursen irgendwann (schmerzhaft?) die Einsicht durch, dass wahre Stärke sich auch in (politischer) Schwäche zeigen kann (vgl. 2Kor 12,10). 

In Deutschland kann sich angesichts dieser polarisierenden Politisierung der Kirche vielleicht die Einsicht durchsetzen, was für ein Segen die relative politische Bedeutungslosigkeit der Kirche sein kann.

Paulus das letzte Wort: „Alles geschehe so, dass es aufbaut.“ (1Kor 14,26)