Edith Stein ist für mich die Frau des 20.
Jahrhunderts.
"Du senkst voll Liebe
deinen Blick in meinen
und neigst dein Ohr
zu meinen leisen Worten
und füllst mit Frieden
tief das Herz.
Treppe, St. Matthäi Kirche am Kulturforum, Berlin, 2013. |
Doch deine Liebe
findet kein Genügen
in diesem Austausch,
der noch Trennung lässt.
Dein Herz verlangt nach mehr.
Dein Leib durchdringt
geheimnisvoll den meinen,
und deine Seele eint sich
mit der meinen:
Ich bin nicht mehr,
was einst ich war.
Du kommst und gehst,
doch bleibt zurück die Saat,
die du gesät
zu künftger Herrlichkeit,
verborgen in dem Leib
von Staub."1
Wer ist die Frau, die voll solch
inniger Leidenschaft für Christus ist, die in körperlichen Bildern
ihre Gottesliebe beschreibt?
Eine Suchende, eine Fragende, eine sich
Lösende, eine neu Findende, eine Frau voller Weite und Hingabe.
Strukturiert und analytisch war sie,
zugleich tief innerlich und oft im Gebet, emanzipiert und
wertkonservativ, freundlich und klar, vielseitig, gebrochen.
Sie war ganz Wissenschaftlerin aus
Passion, ganz Christin aus Überzeugung, ganz Jüdin aus der
Herkunft, auf die allein sie schließlich von den Nationalsozialisten
reduziert wurde.
"Schon jetzt nehme ich den Tod,
den Gott mir zugedacht hat, in vollkommenster Unterwerfung unter
seinen heiligsten Willen mit Freuden entgegen. Ich bitte den Herrn,
dass er mein Leben und Sterben annehmen möchte zu seiner Ehre und
Verherrlichung, für alle Anliegen ... der Kirche, ... und damit der
Herr von den Seinen aufgenommen werde und sein Reich komme in
Herrlichkeit, für die Rettung Deutschlands und den Frieden der Welt,
schließlich für meine Angehörigen, Lebende und Tote und alle, die
Gott mir gegeben hat: dass keines von ihnen verlorengehe."2
Treppenhaus, Jena-Lobeda, 2014. |
In jungen Jahren bricht sie mit der
jüdischen Religiosität ihrer Familie, da sie ihr nichts sagt, sie
wird Atheistin, sucht und fragt jedoch weiter.
Beim Philosophiestudium entdeckt sie
als damals neue Disziplin die Phänomenologie, durch Edmund Husserl
findet sie einen neuen Zugang zu ihren Lebensfragen, entdeckt Teresa
von Avila und durch sie das Christentum.
Sie lässt sich taufen und wird
Lehrerin, als ihr, Frau und Jüdin, die akademische Karriere verwehrt
bleibt.
1933 tritt sie in den Karmel ein,
studiert und übersetzt Thomas von Aquin und Johannes vom Kreuz,
schreibt an den Papst mit Bitte um ein Eintreten für die Juden in
Deutschland. Aus ihrer neuen Heimat, dem Karmel, wird sie, wegen
ihres Jüdischseins – nicht zuerst wegen ihres Zeugnisses für
Christus – nach Auschwitz verbracht.
Am 9 . August 1942 stirbt sie dort
wahrscheinlich in der Gaskammer.
Ihr Leben steht unter dem Kreuz,
deutlich schon an ihrem selbstgewählten Ordensnamen Teresa Benedicta
a Cruce – Teresa, vom Kreuz Gesegnete.
"Unsere Menschenliebe ist das
Maß unserer Gottesliebe. Aber es ist eine andere als die natürliche
Menschenliebe. Die natürliche Liebe gilt diesem oder jenem, der uns
durch Bande des Blutes verbunden oder durch Verwandtschaft des
Charakters oder gemeinsame Interessen nahesteht. Die anderen sind
'Fremde', die einen 'nichts angehen', einem eventuell sogar durch ihr
Wesen widerwärtig sind, so dass man sie sich möglichst weit vom
Leibe hält. Für die Christen gibt es keinen 'fremden Menschen'. Der
ist jeweils der 'Nächste", den wir von uns haben und der unser
am meisten bedarf; gleichgültig, ob er verwandt ist oder nicht, ob
wir ihn 'mögen' oder nicht, ob er der Hilfe 'moralisch würdig' ist
oder nicht. Die Liebe Christi kennt keine Grenzen, sie hört nimmer
auf, sie schaudert nicht zurück von Hässlichkeit und Schmutz. Er
ist um der Sünder willen gekommen und nicht um der Gerechten willen.
Und wenn die Liebe Christi in uns lebt, dann machen wir es wie
er..."3
Herausfordernd und bleibend aktuell.
Rutsche am leeren Strand, Borkum, 2012. |
1 E.
Stein, In der Kraft des Kreuzes. Hg. v. W. Herbstrith. Freiburg
i.Br., Basel, Wien 1987, 83f.
2 Ebd.,
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