Der Duden bringt es mit nüchternen
Worten auf den physischen Kern: "eine Haltung einnehmen, bei
der das Körpergewicht bei abgewinkelten Beinen auf einem oder beiden
Knien ruht".1
Das kann durchaus schmerzhaft sein,
wurde ja zuweilen auch als Strafe verwendet oder zur Verdemütigung –
die kniende Haltung derer, die anschließend enthauptet werden
sollten, spricht Bände.
Es gibt aber auch den inneren Wunsch zu
knien. Nicht aus körperlichen Gründen, wie zum Beispiel aus
Ermattung oder im Heulkrampf, sondern aus geistigen.
Denkmal der Helden des Ghettos, Warschau, 2013. |
Diese müssen gar nicht zwangsläufig
religiöser Natur sein, sondern können auch emotionale Ergriffenheit
und das Gefühl von Hilflosigkeit zum Ausdruck bringen. Am
bekanntesten ist wohl der spontane Kniefall Willy Brandts in
Warschau, als er vor dem Denkmal für die Gefallenen des
Ghetto-Aufstandes niedersinkt. Später wird er dies kommentieren: "Am
Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen
Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt."2
Angesichts so vieler Toter keine Worte
zu finden und vor diesem Zeugnis des Mordwahns die Knie vor den
Opfern zu beugen stellt für mich eine Geste der Ehrfurcht vor dem
Leben dar.
Biblisch findet sich das Knien in
verschiedenen Formen: "Da ist zuerst die Prostratio – das
Sich-zu-Boden-Strecken vor der überwältigenden Macht Gottes; da ist
besonders im Neuen Testament das Zu-Füße-Fallen und endlich das
Knien. Im einzelnen sind freilich auch sprachlich die drei Haltungen
nicht immer deutlich voneinander getrennt. Sie können sich
verbinden, ineinander übergehen."3
In erster Linie taucht das Knien /
Niederwerfen im Neuen Testament auf als Bittgestus, vornehmlich wenn
Menschen in großer Not etwas erflehen (vgl. Mt 15,25; Mk 7,25). Doch
auch als Zeichen des Dankes (Lk 17,16) und der Ehrfurcht (Mt 14,33;
Mt 17,6) wird es genannt. Auch Jesus selbst wirft sich im Garten
Getsemani auf die Knie, um Gottes Beistand vor der Verhaftung zu
erflehen (Mt 26,39).
Vor der als Retter erhofften Gestalt zu
knien, um Dank oder Bitte, Erschrecken oder Ehrfurcht zum Ausdruck zu
bringen, scheint den biblischen Autoren selbstverständlich. Es wird
offensichtlich als eine angemessene Haltung angesichts der
epiphanischen Erscheinung verstanden.
Graffito, Rixdorf, Berlin, 2014. |
Der Theologe und Philosoph Romano
Guardini hat in seiner Sammlung von Haltungen im christlichen
Gottesdienst die Intention des Kniens so beschrieben: "man
möchte seine Gestalt niedriger machen, damit sie nicht so anmaßend
dastehe".4
Schließlich wird im körperlichen Gestus ein mentaler Akt vollzogen:
das aktiv-bereite und bisweilen hoheitsvolle Stehen passt nicht zur
Begegnung von Mensch und Gott. "Die Seele des Kniens aber
ist, dass auch inwendig das Herz sich in tiefer Ehrfurcht vor Gott
neige."5
Diese Anbetungsgesinnung und Betonung
der eigenen Kleinheit, nicht nur Gott, sondern auch sich selbst
gegenüber ist zutiefst gewöhnungsbedürftig. Als mündiger und
aufgeklärter Mensch muss ich mich doch nicht vor irgendjemandem oder
irgendetwas neigen. Der Mensch ist der Maßstab und Quelle
individuellen Wertes, der nicht verlierbar ist und kein Kratzbuckeln
vor Machthabern oder Gönnern braucht. Christlich: Hat Gott uns nicht
aufgerichtet, so dass wir aufrecht erlöst vor ihm stehen können?
Wovor aber knien wir tatsächlich?
Wovor rutschen wir, wenn nicht körperlich und wortwörtlich, dann
mental auf den Knien voller Bitten, innerer Ergebung oder
Erlösungshoffnung? Ist die soziale Anerkennung, das materielle
Besitzen, der kurvige Körperbau nicht oft genug niederer Beweggrund
"zum Niederknien" – und kommen im subtileren Niederwerfen
vor zeitgeprägten (und oft genug durchaus wertvollen, aber eben
nicht anbetungswürdigen) Werten der political correctness wie
Transparenz, Toleranz, Nachhaltigkeit, Selbstbestimmung etc. nicht
die gleichen Mechanismen zum Ausdruck?
Möglicherweise ist es jedoch
Wehen des Vorhangs, Rixdorf, Berlin, 2014. |
Hier zeigt sich nämlich eine Brücke.
Das Christentum tradiert die vorgenannten Schriften über Jesus von
Nazareth, den Heiler und Sündenvergeber, weil er sich kleingemacht
hat. Er hat sich nach den Worten des Hymnus' im Philipperbrief (Phil
2,6-11) "entäußert" und "wurde wie ein
Sklave und den Menschen gleich". (v7) Weil er selbst bis zum
Tod am Kreuz den Weg nach unten ging und sich aus Liebe für die
Menschen hingegeben hat, ist auch mir nachvollziehbar, dass "alle
im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen"
(v10) vor ihm.6
Nicht vor irgendwem knien wir also, sondern vor dem, der uns alles
geschenkt hat. Das Knien wird legitim vor dem unfassbaren Dunkel der bedingungslosen Liebe.
Davon zeugt und das zeigt die
Eucharistiefeier, in der dieses Geschehen vergegenwärtigt wird.
Hier zeigen sie sich alle: die
unschuldige Liebe, die Hingabe, das Versöhnen über jedes Maß
hinaus, die unerwartbare Schenkung, die Heilung, das Entsetzen vor
dem gewaltvollen Tod, die Hilflosigkeit, die emotionale
Überwältigung, die wortlose Freude...
Guardini schließt seine Erörterungen
zum liturgischen Knien darum passenderweise: "jedesmal wird
es deiner Seele guttun."7
3 J.
Ratzinger, Der Geist der Liturgie. Eine Einführung. 6. Aufl.
Freiburg i.Br. 2002, 160.
4 R.
Guardini, Von heiligen Zeichen. Leipzig 1952, 12.
5 Ebd.
6 Vgl.
zu diesen Gedanken auch J. Ratzinger, a.a.O., 165f.