Freitag, 8. August 2014

„ich bin ja hier“ - Ein neuer alter Satz von Saša Stanišić

ich bin ja hier“ – so lautet der letzte Satz in Saša Stanišić' Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert1, der anrührend-komischen Geschichte einer Kindheit im zerfallenden Jugoslawien und damit im beginnenden Krieg. Beim Lesen des Romans war ich zunächst in Sorge, ob der locker-flockige eigenwillige Beginn sich stilistisch so durchziehen würde. Im Verlauf bleibt auch ein starker Stilwille erkennbar, auch die lockere Sprache besteht weiter, aber sie fängt zunehmend sensibler die Kriegserfahrungen aus Kinderaugen ein.

Rostiger Pfosten, Neukölln, Berlin, 2014.
Durch Kindheitserinnerungen und Familiengeschichten hindurch wird das Zerbrechen einer Jugend geschildert. Schließlich reist der nach Deutschland entflohene Protagonist zehn Jahre später wieder in seine Heimat und spürt seinen Erinnerungen nach. Außerdem sucht er die junge Frau, mit der er als Kind in einem Keller Schutz gesucht hatte. Nach dem Familienbesuch am Grab des Lieblingsopas dann erreicht ihn durch schlechte Leitung der Anruf mit ihrer Stimme.

Was er dann sagen kann, ist eben dies: „ich bin ja hier“.
Eine kristallklare Aussage und doch bleibt nebulös, wo „hier“ denn nun ist. Beruhigend wirkt der Satz, man spürt eine abschließend Erleichterung über das endlich zustande gekommene Gespräch, zugleich bereitet sich damit der nächste Schritt aus dem Buch heraus vor.

Assoziativ fügen sich mir zum „Hiersein“ zwei christliche Kontexte hinzu.
Ich bin hier“ ist grundlegende Zusage des Gottes Israels - „Ich bin hier“ auch die gläubige Antwort des Menschen.

Ich bin hier“ spricht Gott dem Mose aus dem brennenden Dornbusch heraus zu (vgl. Ex 3,14); er steht zu seinem Volk und ist ihm nahe, was auch immer durch die Geschichte hindurch geschieht. Anwesend zu sein, heißt tröstend, aufhelfend, ausrichtend da sein, Anschub zu geben, zu lieben.

Ich bin hier“ sind die Worte eines Weihekandidaten im römisch-katholischen Ritus der Priesterweihe, wenn er aufgerufen wird hervorzutreten. Nicht wie Adam sich verstecken, dass einer rufen muss „Wo bist du?“ (vgl. Gen 3,8f), sondern bereitwillig vor Gott stehen. Auch nicht im Gegenwärtigen oder Zukünftigen verschwinden, in Gedanken entfliegen, sondern gegenwärtig sein.

Denn in der Gegenwart ist, so ein Gedanke vieler Religionen, Gott anzutreffen. Hier findet der Mensch den Gott, den er sucht. „Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele“ fasst Nicolas Malebranche dies zusammen.

Es ist nötig, da zu sein. „Ich bin ja hier“, solidarisch und verbunden, Vertrauen spendend, gerade und auch wenn die Zeit vorbei ist, „als alles gut war2 wie das Buch im Buch es nennt.


Hallendecke, Muzeum Narodowe, Poznan, 2014.

 
1   S. Stanišić, Wie der Soldat das Grammofon repariert. München 2006, 315.


2   Ebd., 159ff.