Samstag, 8. August 2020

Der sinkende Fels in der Nacht. Drei Auslegungen zum Sonntagsevangelium

Kurzgefasst die wesentlichen Inhalte des aktuellen Sonntagsevangeliums (Mt 14,22-33):
Die Jünger sind in der Nacht allein im Boot auf dem See. Jesus kommt über das wilde Wasser und sagt: "Habt Vertrauen, fürchtet euch nicht!" (Mt 14,27) Petrus wagt es und will über das Wasser zu Jesus gehen. Doch er bekommt Angst und sinkt, als er um Hilfe ruft, hilft ihm Jesus.

Und drei Lesevorschläge:

Als eine Geschichte der Freundschaft lässt sich das Sonntagsevangelium lesen.
Seit Jesus die Brüder Petrus und Andreas am Anfang seines öffentlichen Auftretens gerufen hat (Mt 4,18ff), wuchs ihre Beziehung immer tiefer und enger. Petrus lernte Jesus kennen, Jesus lernte Petrus kennen. Jesus zeigt sich vornehmlich als Prediger, als selbstbewusst über dem Sabbat Stehender, als Wunderheiler. Und Petrus geht mit, er steht meist dabei und lernt. Später wird er sich noch mehr exponieren, vorerst ist er einer unter den anderen Jüngern.
Und hier tritt er zum ersten Mal im Matthäusevangelium stärker hervor.
Besonders in Männergruppen gibt es ja immer einige, die ein bisschen auftrumpfen müssen. Auch Petrus scheint auf dem See eine besondere Nähe zu Jesus herstellen zu wollen und verlässt vor den Augen der anderen Jünger das sichere Boot, um dem Freund auf dem Wasser entgegen zu gehen.

Umspült.
Polnische Ostseeküste, 2019.
Seiner plötzlich aufkommenden Angst begegnet Jesus "sofort" mit ausgestreckter Hand (v31).
Solche Freunde wünscht man sich, wenn es eng wird. Oder wenn man sich vergaloppiert und sanft wieder eingefangen werden muss. Genau das tut Jesus mit dem ungestümen Petrus ja.
Die Besonderheit des Freundes Jesus besteht nun darin, dass er auch in außergewöhnlichen Situationen das Heft des Handelns in der Hand behält und und Macht hat, den Anderen nicht ersaufen zu lassen. Diese Autorität Jesu war schon in den Streitgesprächen und der Auslegung der Tora für die Jünger erkennbar, nun wird sie für Petrus zur Rettung.
Für meine eigene Freundschaft mit Jesus ziehe ich daraus, dass ich auf ihn vertrauen kann, auch wenn ich selbst es mal übertreibe.

Als eine Geschichte des Zweifels lässt sich dieses Evangelium lesen.
Petrus wird später im Matthäusevangelium als der Fels bezeichnet, auf dem die Kirche gebaut ist (Mt 16,18). Sein Bekenntnis, sein Glaube, seine Offenheit für die Einsicht in Jesu Sendung sind es, die zur Basis für diese Aussage Jesu werden.
Doch in unserer Geschichte hat neben dem Vertrauen auf den Freund auch der Zweifel einen festen Platz. Konkret heißt es, als Petrus aus dem Boot gestiegen war: "Als er aber den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst." (v30)
Der sympathische Übermut des Petrus schlägt nun um in Angst vor der eigenen Courage. Der Fels sinkt. Seine Erfahrungen mit Jesus, sein Glaube, sein Vertrauen – alles ist plötzlich dahin.
War das also wirklich bewundernswertes Vertrauen – oder ärgerliche Selbstüberschätzung?
Der Text weist darauf hin, dass die Verschiebung seines Fokus den Petrus aus dem Takt gebracht hat. Sein Blick war eben nicht mehr auf Jesus gerichtet, sondern auf die grausamen Naturgewalten.
Auch uns kann das so gehen, gerade in Zeiten von Corona.
Ich ziehe für mich heraus, dass ich mich gerade in meinem Zweifeln mehr auf Gott ausrichten will.

Als eine Geschichte der Nacht lässt sich unser Evangelium schließlich lesen.
Die Nacht verändert die Wahrnehmung. Die Nacht verändert die Beziehungen. Die Nacht verändert nicht zuletzt die Temperaturen und bringt Abkühlung nach der Hitze des Tages.
Manche Dinge scheinen in der Nacht unwirklich, Gefühle intensivieren sich, vieles lässt sich in der Nacht unbemerkt tun, geschützt durch das Dunkel. In der Nacht wächst die Ungewissheit.
Und in der Nacht sind die Jünger nun unterwegs. Das Evangelium nennt die letzte der Nachtwachen als die Zeit, in der Jesus kommt (v25). Das Schlimmste sollte also schon vorbei sein. Der Tag bricht ja gleich an – und dann kommt der Schreck doch noch einmal über die Jünger, so dass "sie schrien vor Angst." (v26)
Das lässt sich so lesen, dass Jesus wirklich wie der Morgen (oder sogar als der neue Morgen) zu ihnen kommt. Er bringt Licht und Klarheit. Die Jünger aber sind noch innerlich gefangen in der Nacht. Auch Petrus steckt, während er untergeht, in der Nacht des Glaubens – ohne die Erfahrung von Stärkung, von Schrecken umgeben. Doch "sofort" wird er gerettet (v31). Er sieht wieder Licht, könnte man sagen.
Ich lese darin für mich eine Aufforderung, achtsam zu sein für die Zeit, in der ich mich befinde und das Kommen Jesu auch in meinem Herzen ankommen zu lassen. Damit er meine Nacht erleuchten kann.

Morgen über den Wassern?!
Abenddämmerung in Nauen, 2019.

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