Freitag, 28. August 2020

"Trotzdem!" lesen! Eine Rezension zu Christiane Florins neuem Buch

Vielleicht steht Christiane Florin bis zu einem gewissen Punkt für einen Großteil westdeutscher Katholiken um die 50: Aufgewachsen in einem katholischen Umfeld und darin leidlich engagiert, wird der Blick auf die Kirche mit der Zeit immer kritischer.
Doch bei Florin ist es noch mehr: Sie befasst sich in unterschiedlicher Weise beruflich mit Religion und Glaube und nicht zuletzt mit der Kirche; erst bei Christ & Welt, seit vier Jahren im Deutschlandfunk bei "Religion und Gesellschaft".
Nach dem Buch "Weiberaufstand" von 2017 (und einer dazugehörigen Website) hat sie nun ein neues Buch mit einem breiteren Fokus vorgelegt: "Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben"1

Und dieses Buch trifft ins Mark.

Buch vor Büchern.
Neukölln, 2020.
Sehr pointiert und bisweilen polemisch, manchmal flapsig im Ton und zugleich hart in der Sache geht sie (der Titel legt es nah) aus einer meist persönlichen Sicht an verschiedene "heiße Eisen" der katholischen Kirche heran. Dass sie Journalistin ist und gelernt hat, griffig zu formulieren, beweist jede Seite – als Theologin gibt sie sich weder aus noch ist die theologische Diskussion ihr erstes Ziel.
Sie tritt mit ihrem eigenen Rüstzeug als studierte Politikwissenschaftlerin und gleichzeitig als katholische Frau an die zutage liegenden Probleme der katholischen Kirche heran.

"Der verschämte Umgang mit Macht ist das Unverschämte in der katholischen Kirche. Ein Papst ist qua Amt Herrscher. ... Erklärt sich der Papst [wie Papst Benedikt XVI. bei Amtsantritt] zum 'einfachen Arbeiter', so verschleiert er die besondere Verantwortung, die mit einem hohen Amt verbunden sein müsste." (86)

Ausgangspunkt des Buches ist die schleppende oder gar nicht innerlich vollzogene Aufarbeitung der Missbrauchsfälle der kirchlichen Hierarchen seit 2010. Die Vertuschung der Verbrechen und die Unwilligkeit der Bischöfe und anderer leitender Kleriker, persönliche Verantwortung zu übernehmen, sind ein Skandal, den Florin unumwunden benennt. Auch die oft verwischte Machtfrage in der Kirche, der Umgang mit Sexualität, die beschämende Stellung der Frau in der Kirche werden angesprochen. Strukturelle und historische Ursachen von Gewalt, Benachteiligung und Diskriminierung führt Florin prägnant vor und spart nicht mit deutlichen Worten.
Ja, die Autorin ist schonungslos in Darstellung und Urteil. Das ist Vor- und Nachteil des Buches zugleich. Es macht das Ausmaß und die Tragweite des Leidens an dieser Kirche bewusster, fokussiert aber so sehr auf den in unserer Gesellschaft entstandenen Glaubwürdigkeitsverlust, dass andere Themen daneben keine Rolle mehr spielen (können).

"Die Zeugnisse der [durch sexuelle Gewalt von Kirchenleuten] Schwerverletzten enthalten für mich mehr Wahrheit als alle Sexualität-ist-Hingabe-Texte der Glaubenskongregation zusammen." (115)

Vielleicht geht mir als heterosexuellem und verheiratetem Mann manche Untat und Untätigkeit, manches Thema, nicht nah genug. Oder ich ordne als Theologe bestimmte kirchliche Aussagen von vornherein relativierend in mein eigenes, eher liberales Denken ein.
Florin tut das augenscheinlich nicht, vielleicht ist sie nicht fähig dazu. Das führt im Lauf der Lektüre dazu, dass sich mir, je weiter ich las, desto mehr die Frage stellte, warum und wie die Autorin weiterhin Teil dieser Kirche sein kann.
Mehr Dunkel oder mehr Licht?
St. Ansgar, Berlin-Tiergarten, 2018.
Sie selbst versucht im letzten Kapitel Antworten auf diese Frage, die sich ihr selbst natürlich auch schon stellte. Und diese Antworten sind das Gegenteil ihrer vorherigen klaren Kante – eher tastend und abwägend, zweifelnd und suchend. Nach dem Sturm in den anderen Kapiteln kann das nicht in allem befriedigen, aber es scheint mir die realistischste und wahrhaftigste Weise zu sein, sich "trotzdem" irgendwie noch zu dieser Kirche und zu Jesus zu bekennen.

"Trotzdem katholisch sein heißt für mich: tatsächlich erschüttert bleiben. Keinen Stein auf dem anderen lassen. Einen Stein des Herrschaftsgebäudes nach dem anderen umdrehen. Trotzig katholisch sein heißt: misstrauisch und machtsensibel bleiben." (75f)

Das alles ist sehr eingängig zu lesen und doch keine leichte Kost. Ob es für Nichtkatholiken interessant sein könnte, vermag ich nicht zu sagen. Ich persönlich kenne viele der Gedankengänge und Argumente sehr gut und habe das Lesen als sehr anregend empfunden. Dazu gehörte auch die Anstrengung, mich mit meiner eigenen Rolle als kirchlicher Mitarbeiter, im Gefängnis gar als leibhaftiges "Gesicht" meiner Kirche auseinander zu setzen. Nicht zuletzt muss ich mich fragen, wie loyal ich dieser Kirche sein kann und will. Welchen Anteil ich als Kirchenmitglied an der Schuld "meiner" Kirche habe.

Auch deshalb mein Resümee: "Trotzdem!" ist ein reichhaltiges und anspruchsvolles Buch, das man nicht einfach mal nebenbei lesen kann. Zwei kleinere Schwachstellen hat es: Das schlampige Lektorat, das eine Reihe von Flüchtigkeitsfehlern stehen ließ und die Unterbelichtung der Theologie als Wissenschaft gegenüber dem Lehramt, denn in der Theologie sind Pluralität, Diskurs und Widerspruch durchaus vorhanden. Aber das nimmt dem Buch nichts Wesentliches.
Vielmehr: Es kann den eigenen Glauben herausfordern und die eigene Kirchenzugehörigkeit in Frage stellen. Es treibt fromme Floskeln aus. Es gibt nur wenige Anregungen, wie der eigene Glauben noch lebbar wird. Dafür muss man sich andere Bücher suchen. Aber für einen kritischen Blick auf den persönlichen Glauben ist es genau das richtige Buch.

"Wenn ich durch die Auseinandersetzung überhaupt etwas von der Botschaft [des Evangeliums] begriffen habe, dann das: Sie ist größer als das Klein-Klein der Geschlechtsverkehrsordnung, sie ist anspruchsvoller als der Imperativ der Wahrheitsbesitzer." (172)

Mehr Licht?
St. Ansgar, Berlin-Tiergarten, 2018.


1   C. Florin, Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben. München 2020.

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