Vielleicht steht Christiane Florin bis
zu einem gewissen Punkt für einen Großteil westdeutscher Katholiken
um die 50: Aufgewachsen in einem katholischen Umfeld und darin
leidlich engagiert, wird der Blick auf die Kirche mit der Zeit immer
kritischer.
Doch bei Florin ist es noch mehr: Sie
befasst sich in unterschiedlicher Weise beruflich mit Religion und
Glaube und nicht zuletzt mit der Kirche; erst bei Christ
& Welt, seit vier Jahren im Deutschlandfunk bei "Religion
und Gesellschaft".
Nach dem Buch "Weiberaufstand"
von 2017 (und einer dazugehörigen Website)
hat sie nun ein neues Buch mit einem breiteren Fokus vorgelegt:
"Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben"1
Und dieses Buch trifft ins Mark.
Buch vor Büchern. Neukölln, 2020. |
Sehr pointiert und bisweilen polemisch,
manchmal flapsig im Ton und zugleich hart in der Sache geht sie (der
Titel legt es nah) aus einer meist persönlichen Sicht an
verschiedene "heiße Eisen" der katholischen Kirche heran.
Dass sie Journalistin ist und gelernt hat, griffig zu formulieren,
beweist jede Seite – als Theologin gibt sie sich weder aus noch ist
die theologische Diskussion ihr erstes Ziel.
Sie tritt mit ihrem
eigenen Rüstzeug als studierte Politikwissenschaftlerin und
gleichzeitig als katholische Frau an die zutage liegenden Probleme
der katholischen Kirche heran.
"Der verschämte Umgang mit
Macht ist das Unverschämte in der katholischen Kirche. Ein Papst ist
qua Amt Herrscher. ... Erklärt sich der Papst [wie Papst Benedikt
XVI. bei Amtsantritt] zum 'einfachen Arbeiter', so verschleiert er
die besondere Verantwortung, die mit einem hohen Amt verbunden sein
müsste." (86)
Ausgangspunkt des Buches ist die
schleppende oder gar nicht innerlich vollzogene Aufarbeitung der
Missbrauchsfälle der kirchlichen Hierarchen seit 2010. Die
Vertuschung der Verbrechen und die Unwilligkeit der Bischöfe und
anderer leitender Kleriker, persönliche Verantwortung zu übernehmen,
sind ein Skandal, den Florin unumwunden benennt. Auch die oft
verwischte Machtfrage in der Kirche, der Umgang mit Sexualität, die
beschämende Stellung der Frau in der Kirche werden angesprochen.
Strukturelle und historische Ursachen von Gewalt, Benachteiligung und
Diskriminierung führt Florin prägnant vor und spart nicht mit
deutlichen Worten.
Ja, die Autorin ist schonungslos in
Darstellung und Urteil. Das ist Vor- und Nachteil des Buches
zugleich. Es macht das Ausmaß und die Tragweite des Leidens an
dieser Kirche bewusster, fokussiert aber so sehr auf den in unserer
Gesellschaft entstandenen Glaubwürdigkeitsverlust, dass andere
Themen daneben keine Rolle mehr spielen (können).
"Die Zeugnisse der [durch
sexuelle Gewalt von Kirchenleuten] Schwerverletzten enthalten für
mich mehr Wahrheit als alle Sexualität-ist-Hingabe-Texte der
Glaubenskongregation zusammen." (115)
Vielleicht geht mir als heterosexuellem
und verheiratetem Mann manche Untat und Untätigkeit, manches Thema,
nicht nah genug. Oder ich ordne als Theologe bestimmte kirchliche
Aussagen von vornherein relativierend in mein eigenes, eher liberales
Denken ein.
Florin tut das
augenscheinlich nicht, vielleicht ist sie nicht fähig dazu. Das
führt im Lauf der Lektüre dazu, dass sich mir, je weiter ich
las, desto mehr die Frage stellte, warum und wie die Autorin
weiterhin Teil dieser Kirche sein kann.
Mehr Dunkel oder mehr Licht? St. Ansgar, Berlin-Tiergarten, 2018. |
Sie selbst versucht im letzten Kapitel
Antworten auf diese Frage, die sich ihr selbst natürlich auch schon
stellte. Und diese Antworten sind das Gegenteil ihrer vorherigen
klaren Kante – eher tastend und abwägend, zweifelnd und suchend.
Nach dem Sturm in den anderen Kapiteln kann das nicht in allem
befriedigen, aber es scheint mir die realistischste und wahrhaftigste
Weise zu sein, sich "trotzdem" irgendwie noch zu dieser
Kirche und zu Jesus zu bekennen.
"Trotzdem katholisch sein heißt
für mich: tatsächlich erschüttert bleiben. Keinen Stein auf dem
anderen lassen. Einen Stein des Herrschaftsgebäudes nach dem anderen
umdrehen. Trotzig katholisch sein heißt: misstrauisch und
machtsensibel bleiben." (75f)
Das alles ist sehr eingängig zu lesen
und doch keine leichte Kost. Ob es für Nichtkatholiken interessant
sein könnte, vermag ich nicht zu sagen. Ich persönlich kenne viele
der Gedankengänge und Argumente sehr gut und habe das Lesen als sehr
anregend empfunden. Dazu gehörte auch die Anstrengung, mich mit
meiner eigenen Rolle als kirchlicher Mitarbeiter, im Gefängnis gar
als leibhaftiges "Gesicht" meiner Kirche auseinander zu
setzen. Nicht zuletzt muss ich mich fragen, wie loyal ich dieser
Kirche sein kann und will. Welchen Anteil ich als Kirchenmitglied an
der Schuld "meiner" Kirche habe.
Auch deshalb mein
Resümee: "Trotzdem!" ist ein reichhaltiges und
anspruchsvolles Buch, das man nicht einfach mal nebenbei lesen kann.
Zwei kleinere Schwachstellen hat es: Das schlampige Lektorat, das eine Reihe von Flüchtigkeitsfehlern stehen ließ und die Unterbelichtung der Theologie als Wissenschaft gegenüber dem Lehramt, denn in der Theologie sind Pluralität, Diskurs und Widerspruch durchaus vorhanden. Aber das nimmt dem Buch nichts Wesentliches.
Vielmehr: Es kann den eigenen Glauben herausfordern und die eigene Kirchenzugehörigkeit in Frage stellen. Es treibt fromme Floskeln aus. Es gibt nur wenige Anregungen, wie der eigene Glauben noch lebbar wird. Dafür muss man sich andere Bücher suchen. Aber für einen kritischen Blick auf den persönlichen Glauben ist es genau das richtige Buch.
Vielmehr: Es kann den eigenen Glauben herausfordern und die eigene Kirchenzugehörigkeit in Frage stellen. Es treibt fromme Floskeln aus. Es gibt nur wenige Anregungen, wie der eigene Glauben noch lebbar wird. Dafür muss man sich andere Bücher suchen. Aber für einen kritischen Blick auf den persönlichen Glauben ist es genau das richtige Buch.
"Wenn ich
durch die Auseinandersetzung überhaupt etwas von der Botschaft [des
Evangeliums] begriffen habe, dann das: Sie ist größer als das
Klein-Klein der Geschlechtsverkehrsordnung, sie ist anspruchsvoller
als der Imperativ der Wahrheitsbesitzer." (172)
Mehr Licht? St. Ansgar, Berlin-Tiergarten, 2018. |
1 C.
Florin, Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben. München
2020.
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