Einem Herrn eine gute Nacht zu wünschen
will gelernt sein. Joseph tut es in Ägypten auf besonders angenehme
Weise mit philosophischem und theologischem Schwergewicht, wie Thomas Mann zu erzählen weiß:
"Siehe, der Tag ist ausgelebt,
er hat seine Augen zugetan, müd seiner selbst, und über alle Welt
kam die Stille. Horch, wie wundersam! Da ist ein Stampfen noch aus
dem Stall, und ein Hund gibt Laut, aber dann ist das Schweigen nur
desto tiefer; besänftigend dringt es dem Menschen auch in die Seele
ein, ihn schläfert's, und über Hof und Stadt, Fruchtland und Wüste
gehen die wachsamen Lampen Gottes auf.
Beginn der Nacht. Kunitzer Brücke, Kunitz, Jena, 2015. |
Die Völker freuen sich, daß es
Abend ward zur rechten Zeit, da sie müde wurden, und daß morgen der
Tag seine Augen wieder aufschlagen wird, wenn sie gelabt sind.
Wahrlich, die Einrichtungen Gottes
sind dankenswert! Denn es bilde der Mensch sich nur ein, es gäbe die
Nacht nicht, und die glühende Straße der Mühsal erstreckte sich
vor ihm ungeteilt, in greller Einförmigeit unabsehbar dahin. Wär'
es nicht zum Entsetzen und zum Verzagen?
Aber Gott hat die Tage gemacht und
einem jeden sein Ziel gesetzt, das wir mit Sicherheit erreichen zu
seiner Stunde: der Hain der Nacht ist es, der uns lädt zu heiliger
Rast, und mit gebreiteten Armen, rückwärts sinkenden Hauptes, mit
offenen Lippen und selig brechenden Augen gehen wir in seinen
köstlichen Schatten ein.
Denke doch nicht, lieber Herr, auf
deinem Bett, daß du ruhen mußt!
Denke vielmehr, daß du ruhen darfst,
und verstehe es als große Gunst, so wird dir Friede werden!
Strecke dich, mein Vater, denn hin,
und der süße Schlaf senke sich auf dich, fülle die Seele ganz dir
mit wonniger Ruh', daß gelöst von Plack und Plage atmest ihm an der
göttliche Brust!"1
Ausruhen vom Tage als große Gunst, das
können auch wir "Immer-Erreichbaren" uns gut gesagt sein
lassen.
In einem ähnlichen Tonfall und als
großen Lobpreis der Nacht formuliert auch Charles Péguy aus der
Perspektive Gottes:
"O Nacht, meine schönste
Erfindung, meine hehrste Schöpfung unter allen.
Mein schönstes Geschöpf. Schöpfung
der großen Hoffnung.
Du gibst der Hoffnung am meisten
Stoff.
Du bist das Werkzeug, du bist der
Bestand, du bist der Wohnsitz der Hoffnung.
Und auch (und also) im Grunde
Geschöpf der größten Liebe.
Denn du wiegst die ganze Schöpfung.
...
Nacht, meine schönste Erfindung, du
bist die Stille, die Stillung, du sänftigst
Die gemarterten Glieder.
Entrenkt von der Arbeit des Tages.
Du stillst, du sänftigst, du
beruhigst
Die gemarterten Herzen,
Die blutenden Leiber, die von Mühsal
geschundenen Glieder, die von Mühsal blutenden Herzen,
Und von Leid und von täglicher
Sorge.
O Nacht, du meine Tochter Nacht,
unter meinen Töchtern
Die frömmste. Die betendste
Meiner Töchter, von meinen
Geschöpfen am meisten in meiner Hand, die hingegebenste,
Du verherrlichst mich im Schlummer
noch mehr als dein Bruder der Tag im Wirken.
Denn der Mensch in seinem Wirken
verherrlicht mich nur durch sein Werk.
Aber im Schlummer verherrliche ich
mich selbst durch die Selbstüberlassung des Menschen."2
In diesem Sinne – eine gute Nacht.
Nachtvertreibung. Alt-Buchhorst, Brandenburg, 2016. |
1 Thomas
Mann, Joseph und seine Brüder. Frankfurt am Main 4. Aufl. 2013,
680.