Samstag, 30. Januar 2016

JosephsReligion 7 – Oden an die Nacht von Thomas Mann und Charles Péguy

Einem Herrn eine gute Nacht zu wünschen will gelernt sein. Joseph tut es in Ägypten auf besonders angenehme Weise mit philosophischem und theologischem Schwergewicht, wie Thomas Mann zu erzählen weiß:

"Siehe, der Tag ist ausgelebt, er hat seine Augen zugetan, müd seiner selbst, und über alle Welt kam die Stille. Horch, wie wundersam! Da ist ein Stampfen noch aus dem Stall, und ein Hund gibt Laut, aber dann ist das Schweigen nur desto tiefer; besänftigend dringt es dem Menschen auch in die Seele ein, ihn schläfert's, und über Hof und Stadt, Fruchtland und Wüste gehen die wachsamen Lampen Gottes auf.
Beginn der Nacht. Kunitzer Brücke, Kunitz, Jena, 2015.
Die Völker freuen sich, daß es Abend ward zur rechten Zeit, da sie müde wurden, und daß morgen der Tag seine Augen wieder aufschlagen wird, wenn sie gelabt sind.
Wahrlich, die Einrichtungen Gottes sind dankenswert! Denn es bilde der Mensch sich nur ein, es gäbe die Nacht nicht, und die glühende Straße der Mühsal erstreckte sich vor ihm ungeteilt, in greller Einförmigeit unabsehbar dahin. Wär' es nicht zum Entsetzen und zum Verzagen?
Aber Gott hat die Tage gemacht und einem jeden sein Ziel gesetzt, das wir mit Sicherheit erreichen zu seiner Stunde: der Hain der Nacht ist es, der uns lädt zu heiliger Rast, und mit gebreiteten Armen, rückwärts sinkenden Hauptes, mit offenen Lippen und selig brechenden Augen gehen wir in seinen köstlichen Schatten ein.
Denke doch nicht, lieber Herr, auf deinem Bett, daß du ruhen mußt! Denke vielmehr, daß du ruhen darfst, und verstehe es als große Gunst, so wird dir Friede werden!
Strecke dich, mein Vater, denn hin, und der süße Schlaf senke sich auf dich, fülle die Seele ganz dir mit wonniger Ruh', daß gelöst von Plack und Plage atmest ihm an der göttliche Brust!"1

Ausruhen vom Tage als große Gunst, das können auch wir "Immer-Erreichbaren" uns gut gesagt sein lassen.
In einem ähnlichen Tonfall und als großen Lobpreis der Nacht formuliert auch Charles Péguy aus der Perspektive Gottes:

"O Nacht, meine schönste Erfindung, meine hehrste Schöpfung unter allen.
Mein schönstes Geschöpf. Schöpfung der großen Hoffnung.
Du gibst der Hoffnung am meisten Stoff.
Du bist das Werkzeug, du bist der Bestand, du bist der Wohnsitz der Hoffnung.
Und auch (und also) im Grunde Geschöpf der größten Liebe.
Denn du wiegst die ganze Schöpfung.
...
Nacht, meine schönste Erfindung, du bist die Stille, die Stillung, du sänftigst
Die gemarterten Glieder.
Entrenkt von der Arbeit des Tages.
Du stillst, du sänftigst, du beruhigst
Die gemarterten Herzen,
Die blutenden Leiber, die von Mühsal geschundenen Glieder, die von Mühsal blutenden Herzen,
Und von Leid und von täglicher Sorge.
O Nacht, du meine Tochter Nacht, unter meinen Töchtern
Die frömmste. Die betendste
Meiner Töchter, von meinen Geschöpfen am meisten in meiner Hand, die hingegebenste,
Du verherrlichst mich im Schlummer noch mehr als dein Bruder der Tag im Wirken.
Denn der Mensch in seinem Wirken verherrlicht mich nur durch sein Werk.
Aber im Schlummer verherrliche ich mich selbst durch die Selbstüberlassung des Menschen."2

In diesem Sinne – eine gute Nacht.

Nachtvertreibung. Alt-Buchhorst, Brandenburg, 2016.

1   Thomas Mann, Joseph und seine Brüder. Frankfurt am Main 4. Aufl. 2013, 680.


2   Charles Péguy, Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung. 4. Aufl. Einsiedeln 2007, 163.164.