Es ist nun einmal so: Das
Weihnachtsfest ist lange her und auch für Christen schon fast
vergessen. Dabei wäre jetzt Zeit, die Konsequenz der Menschwerdung Gottes
zu bedenken und deshalb die Entwicklung des göttlichen Wortes im
jahrelangen Lebensweg Jesu vom krabbelnden Kind bis zur Mannesreife
zu verfolgen.
Doch alles eilt schon weiter – während
Er weiter unter uns gegenwärtig ist.
Als gegendrehende Bewegung zum
Weitereilen hier ein paar Gedanken zum breiteren Kontext des Themas,
wie das göttliche Wort in der Welt anwesend ist – je nach Wahl
eher theologisch oder literarisch aufgetischt.
1. Thomas Manns Josephsroman
Die Geschichte des Jakobssohnes Joseph,
wie sie von Thomas Mann ausgesponnen wird, nehme ich hier
in längeren Abständen immer wieder auf – und Thomas Mann
seinerseits theologisiert darin über die unterschiedlichsten Dinge,
unbekümmert über historisch-kritische oder auch nur textimmanent
logische Spitzfindigkeit. Ihn interessiert der religiöse Gehalt, der
sich mehr oder minder subtil in die Josephsgeschichte hinein- oder
aus ihr herauslesen lässt.
Schatten und Bilder. Haus der Kunst - Louise Bourgeois, Strukturen des Daseins: Die Zellen - München, 2015. |
So denkt der Autor auch in Richtung
Trinitätstheologie, die er anhand des initialen Gesprächs zwischen
Joseph und seinem ägyptischen Herrn Potiphar anklingen lässt. In
einer furiosen Wendung dreht Joseph ein landwirtschaftliches
Fachgespräch über die Befruchtung männlicher und weiblicher Bäume
und die zugehörige Funktion des Windes hin zu religiöser Dichte:
"Denn es ist ein Hauch Gottes
Geist und der Wind ist Geist ... also ist die Welt von Befruchtung
voll und Hervorbringung ohne Geschlecht und von Zeugung des
Geisthauchs. Vater und Schöpfer der Welt ist Gott und aller
entstandenen Dinge, nicht weil sie durch Samen hervorgebracht werden,
sondern es legte der Unerzeugte durch andere Kraft in den Stoff eine
fruchtbare Ursache, welche ihn wandelt und ändert ins Mannigfache.
Denn in Gottes Gedanken waren die vielgestaltigen Dinge zuerst, und
das Wort, getragen vom Geisthauch, ist ihr Erzeuger."1
Die Un- oder Übergeschlechtlichkeit
des alttestamentlichen Gottes, der, entgegen den damaligen
Vorstellungen von Gottheiten, erstaunlicherweise nicht durch Zeugung
schafft und auch nur einer ist, könnte ägyptischen Frommen
aufstoßen. Doch ihren Vorstellungen von vielerlei Göttern kommt
Joseph mit dem Folgenden ein wenig entgegen – und bekennt sich
dabei zugleich konsequent zu seinem – einen – Gott:
"Gott ist nur einmal, ... aber
des Göttlichen ist viel in der Welt und der spendenden Tugend, die
weder männlich noch weiblich, sondern erhaben ist übers Geschlecht
und hat nichts zu schaffen mit der Zerissenheit."2
Theologisch durchdacht werden kann
diese Frage nach dem einen Gott und seinen Wirkungen unter den
Menschen beispielsweise wie folgt.
2. Essenz für eine Theologie der
Religionen
Nach der Logostheologie der frühen
Kirche, die vornehmlich auf dem Johannesprolog beruht, wirkt Gott in
seinem Wort auch vor und außerhalb
des biblisch bezeugten Offenbarungsgeschehens. Selbst der Geist
Gottes, der ja schon am Anfang "über den Wassern"
(Gen 1,2) schwebte, weht auch vor seiner "offiziellen"
Ausgießung zu Pfingsten. Gottes Wort und Gottes Geist, Inkarnation
und Geistesgegenwart, beides bildet einen fruchtbaren
Anknüpfungspunkt unter anderem für eine Theologie der Religionen:
Einerseits stellt Christus als menschgewordener Gott die Mitte der
Offenbarung dar und andererseits lässt sich das Wirken des Geistes
überall dort aufdecken, wo Wahrheit zu finden ist. Nach Jacques
Dupuis "herrscht eine vollkommene Komplementarität zwischen
beiden in der einen göttlichen Heilsökonomie: Nur der Sohn ist
Mensch geworden, doch die Frucht dieser erlösenden Inkarnation ist
das Ausgießen des Geistes, wie es im Pfingstereignis symbolisiert
wird. Das Christusereignis steht im Zentrum der Entfaltung der
göttlichen Ökonomie in der Geschichte, doch das punktuelle
Christusereignis wird durch alle Zeiten und Räume durch das Tun des
Geistes aktulisiert und wirksam."3
So wie Joseph im Roman beides zu
vereinen sucht – ein Gott, aber vielerlei göttliches Wirken in der
Welt – so will auch Dupuis die Dinge zusammenhalten – den
"Anspruch gegen den Pluralismus an der Inkarnation im
orthodoxen christlichen Sinne festzuhalten und dennoch gegen den
Inklusivismus genuin Neues und auch Heilsrelevantes im
interreligiösen Dialog zu lernen".4
Diesen Spagat zu schaffen und das Neue
und vor allem Heilsrelevante der Menschwerdung zu betonen ohne
zugleich Gläubige anderer Religionen vor den Kopf zu stoßen, lässt
zunächst Fragen der Vermittlung offen, worauf beispielsweise Klaus
von Stosch im Sinne einer Komparativen Theologie hinweist:
Wer hier nur Kaffee sieht... Tasse, Weimar, 2016. |
"Damit seine Intervention
konsistent wird, müsste Dupuis an einem der beiden Pole Konzessionen
machen. Entweder er konzediert die Möglichkeit der Gleichwertigkeit
anderer Religionen, indem er das Christusereignis relativiert. Oder
er muss die Möglichkeit einer Ergänzungsbedürftigkeit der
Offenbarung in Jesus Christus zurücknehmen."5
Dagegen frage ich mich, ob Gottes
Heilsangebot in Jesus Christus dem Wirken des göttlichen Geistes in
anderen Religionen entgegenstehen muss, ob also beispielsweise die
Tiefe gegenstandsloser Meditation im Zen-Buddhismus oder die reiche
Fülle an Ausdrucksformen religiöser Andacht im Hinduismus oder der
Glaube an die übergroße Größe Gottes im Islam nicht auch eine
anders tiefe Selbstauslegung Gottes vor den Menschen sein kann, auf
eine Weise, wie er sich im jüdisch-christlichen Horizont nicht
konkret ausgelegt hat. (Von der Bereicherung eigener Theologie und
Frömmigkeit durch die Beschäftigung mit religiösem Denken und
religiöser Andacht anderer Traditionen ganz zu schweigen.)
Dementsprechend will Jacques Dupuis
christliche Gläubige dazu anregen, "ihren Blick auf die
ganze Dimension der menschlichen Geschichte und des Kosmos
auszuweiten. Denn auch wenn das Christusereignis eine unersetzliche
Funktion in Gottes Plan für die Menschheit hat, darf es doch niemals
isoliert betrachtet werden, sondern immer nur innerhalb der
vielfältigen Modalitäten, in denen sich Gott durch das Wort und den
Geist mitteilt und offenbart. Das Überfließen des innergöttlichen
Lebens nach außen ist letztlich die Wurzel und Ursache dafür, dass
es in der menschlichen Geschichte konvergente
Wege gibt, die zu einem gemeinsamen Ziel hinführen: zum
absoluten Mysterium der Gottheit, das alle Wege zu sich zieht,
genauso wie es zuerst diese ins Sein gerufen hat."6
3. Thomas Hürlimann
Zum Abschluss noch einmal ein
lächelndes Durchatmen mit der literarischen Karikatur solcher Wort-
und Geisttheologie. Thomas Hürlimanns Stiftsbibliothekar Jakobus
Katz nimmt in der Novelle "Fräulein Stark" die
nächtlichen Samenergüsse seines pubertierenden Neffen zum Anlass,
eine verdruckst-verquere Form der nominalistischen
Wort-Gottes-Akrobatik darzulegen:
"Das Wort, das am Anfang steht,
musste diesen Anfang und damit sich selbst überwinden, sonst wäre
es ja nie zur Welt und zu uns gekommen. Daraus schließen wir: Wörter
sind etwas Wirkliches, etwas Lebendiges. Sie haben Kraft, sie wollen
leben, wirken wollen sie und sich fortzeugen. Deshalb flossen sie vor
Urzeiten aus Gott, dem Urwort ins All hinaus, sammelten sich in
Büchern, gelangten in Seelen-Apotheken, wurden dort abgeschrieben
und weitergetragen und in den Katalogschubladen geordnet, aber die
Kraft, sich fortzuzeugen und weiterzuwirken haben sie behalten,
weshalb ihnen die alten Griechen, übrigens das klügste Volk, das es
jemals gab, einen treffenden, für dich und deine Altersgenossen
höchst bedeutsamen Namen gegeben haben, nämlich logoi spermatikoi,
lateinisch rationes seminales, oder auf gut deutsch (er schluckte):
Vernunftspermien. Bref: Was raus muß, muß raus ...
Du brauchst dir gar nichts
vorzuwerfen. Das Wort drängt ins Fleisch, das gilt sogar für Gott
..."7
Bauen und Bauen am Kleistpark. Schöneberg, Berlin, 2015. |
1 Thomas
Mann, Joseph und seine Brüder. Frankfurt am Main 4. Aufl. 2013,
654.
2 Ebd.,
655.
3 J.
Dupuis, Unterwegs zu einer christlichen Theologie des religiösen
Pluralismus. Innsbruck 2010, 295f.
4 K.
v. Stosch, Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der
Religionen. 1. Aufl., Paderborn 2012, 121.
5 Ebd.
6 J.
Dupuis, a.a.O., 298.
7 T.
Hürlimann, Fräulein Stark. 3. Aufl. Zürich 2001, 142.