2016 scheint ein Jahr zu werden, das
Trost besonders nötig hat – sei es wegen terroristischer
Gewaltakte, sei es wegen sexueller oder rassistischer Übergriffe.
Politischerseits braucht es gewiss mehr
als Trost, aber gesellschaftlich und individuell scheint die
Jahreslosung wie für den Beginn dieses Jahres 2016 ausgesucht:
"Gott spricht: Ich will euch
trösten, wie einen seine Mutter tröstet." (Jes 66,13)1
Muttertrost. Charlottenburg, Berlin, 2014. |
Wie ein Kommentar dazu liest sich Navid
Kermanis Erinnerung in seinen bemerkenswerten Reflexionen über das
Christentum. Er schreibt, dass er auf die Frage, was für ihn Rettung
bedeuten würde, zuerst eine Reihe von einschlägigen Erlebnissen in
Betracht zog:
"Aber dann sprach ich über
meine früheste Erinnerung überhaupt: den medizinisch gewiß
harmlosen, für mich jedoch ganz ungewohnten, schockierenden
Ohrenschmerz, wegen dem ich schreie, und meine Mutter - es muß Nacht
gewesen sein, Nacht oder Abend, weil ich das tiefe Blau der Vorhänge
vor Augen habe - meine Mutter holt mich aus dem Gitterbett und nimmt
mich in ihre Arme, dieses Gefühl des umfassenden Trostes, das den
Schmerz nicht verscheuchte, aber nicht mehr als das schlechthin
Unheimliche erscheinen ließ, dieses Gefühl, mit dem Schmerz nicht
mehr allein zu sein, - wie lange mag ich geschrieen haben, bis meine
Mutter mich aufhob? - , die Sicherheit, von der Mutter gewiegt zu
werden, im konkreten, pysischen Sinne geherzt: Es ist jemand für
dich da, dieser Umschlag von der bodenlosen Einsamkeit und
Verlorenheit in die Geborgenheit ..."2
Trost, so scheint es hier, ist nicht in
erster Linie eine religiöse oder gar christliche Kategorie (auch
wenn es dort viel vom Trost zu finden gibt) sondern zunächst eine
ganz menschliche. Inzwischen kenne ich den Trost auch von der anderen
Seite, als Vater, sozusagen im "Amt des Trösters" – und
ich kann seine faktische Wirkung regelmäßig erfahren.
Doch auch Gottes Trost soll ebendies
bewirken, dass wir "mit dem Schmerz nicht mehr allein sein"
müssen.
Denn Gott will uns heil und froh sehen
– und er bewirkt dies, indem er Gemeinschaft mit sich anbietet.
Für Christen tut er diesen Schritt auf
uns zu durch seine Menschwerdung. Nach Ostern können wir erkennen,
dass wir auch mit dem Schmerz des Sterbens und der Ohnmacht des Todes
nicht allein gelassen sind. Er nimmt den Schmerz nicht einfach von
uns, aber er hält uns mütterlich und entreißt uns "der
bodenlosen Einsamkeit und Verlorenheit".
Wie gut, dass wir als Christen gerade
in diesen Tagen von einem Muslim erinnert werden können, was unser
christliches Gottesbild alles bereit hält.
Wie gut, dass da Gottes heilsame Nähe
ist, die tröstet.
In Gottes Hand. Jan-Amos-Comenius-Statue, Comenius-Garten, Rixdorf, Berlin, 2015. |
1 Zum
biblischen und historischen Kontext, zu Wortknobeleien und
Übersetzungen, zu Auswahlkriteren der Jahreslosungen und sonst
Interessantem siehe hier.
2 N.
Kermani, Ungläubiges Staunen. Über das Christentum. 8.,
durchgesehene Auflage, München 2016, 92.