Samstag, 28. März 2015

Heulkrampf und Trösteramt – 14 Thesen im Zugehen auf die Heilige Woche

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Wenn Christen auf der ganzen Welt in diesen Tagen des Leidens Jesu und seines Todes am Kreuz gedenken, können viele von ihnen diese Passion aus ganz persönlichen Gründen mitvollziehen und sich mit ihrer Lebenssituation wiederfinden im Schmerz Jesu und in der Trauer der Jünger.
Den Tränenstrom löschen. Dahlem, Berlin, 2014.
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Colin Powell hatte sich in der Begründung des Irakkrieges um Kopf und Kragen geredet. George Packer erzählt vom Leben dieses vormaligen Ausnahmepolitikers und schließt mit Aussagen zu diesem Krieg: "Der Krieg begann, und der Präsident sagte, er schlafe wie ein Baby. Ich schlafe auch wie ein Baby, sagte der Minister, alle zwei Stunden wache ich auf uns habe einen Heulkrampf."1

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Der elterliche Blick auf das Leiden des eigenen Kindes weckt tiefe, teils krisenhafte Emotionen. Sei das Weinen und Schreien nun nachvollziehbar oder ohne äußerlich erkennbaren Anlass, seien die Eltern abgestumpft, überfordert oder ermattet – es ist ihre liebevolle Zuwendung, die zwar nicht immer die ersehnte Tröstung bewirkt, trotzdem aber und gerade dann die einzig sinnvolle Reaktion darstellt.

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Leidet der Vater im Himmel mit seinem Sohn Jesus Christus? Scheinbar tut er nichts, scheinbar lässt er geschehen, scheinbar ist er weit entfernt. Mel Gibson wagt in "Die Passion Christi" eine starke Deutung, wenn er das Ende der Kreuzigung aus der "Gottes"-Perspektive filmt und dabei einen Regentropfen sich wie eine Träne vom Auge der Kamera lösen lässt, woraufhin dieser Tropfen, alles erschütternd, auf die Erde fällt.

5
Am Ende der Tage schließlich wird dieser Gott, so verheißt es der Prophet Jesaja, alle Tränen von den Gesichtern abwischen, den Tod für immer beseitigen (Jes 25,8) und ein Festmahl feiern für alle Völker ausrichten (Jes 25,6).

6
Die Auferstehung Jesu wird nach Ignatius von Loyola zu einem Vorgriff auf Gottes versprochenen Trost. Denn wenn der Betende die Erscheinung des auferstandenen Jesus vor den Seinen betrachtet, dann soll er sich danach auf sich selbst zurückbesinnen, "Nutzen ziehen" aus dem Geschauten oder Gehörten und anschließend "das Amt zu trösten anschauen, das Christus unser Herr bringt, und dabei vergleichen, wie Freunde einander zu trösten pflegen."2

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Doch was bedeutet dieser göttliche Trost? – "Macht Gott glücklich? Macht er glücklich im Sinn eines sehnsuchts- und leidfreien Glücks? Eines sich selbst genügenden und sich selbst gehörenden Glücks? Schenkt der biblisch inspirierte Glaube gelassene Selbstversöhntheit? Ein Wissen um uns sebst, ohne etwas beunruhigend zu vermissen? Ich zweifle."3

8
Der hier fragende und zweifelnde Johann Baptist Metz befindet, dass "Gott um Gott zu bitten"4 sei, mit der Bitte "sis mihi Deus"5 – "Sei mein Gott". Das verbürgt noch nicht in sich selbst Trost, lässt aber "die gefährliche Erinnerung an die Botschaft und den Weg Jesu wagen"6 und befähigt zur Compassion, für die sich im Anschluss an Mt 25 "die Autorität Gottes in der Autorität der Leidenden"7 manifestiert: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,38)

Tröster? Westend, Berlin, 2014.
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Gott lässt sich also im menschlichen Leid und in menschlicher Klage finden, "Er hat sein ewiges Wort Fleisch werden lassen, daß es in diesem ersterbenden Klagechor mitweine: Herr, laß Dein Reich kommen, das Reich, in dem alle Träume versiegen und Du das Weinen der Armen und den Notschrei aller menschlichen Qual erhörst. Das ewige Wort des göttlichen Jubels ist zeitlicher Schrei der menschlichen Not geworden und hat so unter uns gewohnt."8

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Doch Christus ist auch als unser Tröster gekommen, es ist nach Ignatius sogar sein "Amt", also die ihm übertragene Aufgabe, sein ausgeübter Dienst, seine Stellung im Gefüge der Welt, seine Bestimmung, diesen "göttlichen Jubel" anklingen zu lassen in unserem Leben.

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Denn der Auferstandene kommt den mit Trauer Beladenen nahe, wie er es in der Bergpredigt angekündigt hatte: "Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden" (Mt 5,4). Die Jünger scheinen ebensowenig wie die Frauen mit seinem Wiederkommen zu rechnen, ihre Offenheit für das Trostgeschenk musste erst mühevoll errungen werden, wie die Geschichten der Emmausjünger und des zweifelnden Thomas zeigen.

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Ich persönlich hoffe, dass auch diejenigen, die Kriege anzetteln, Gottes leidende Gegenwart in den Leidenden entdecken können, damit im Angesicht dieses doppelten Leidens ihre Trauer angesichts dieser Schuld erwacht, dass sie dann aber auch, wenn sie nachts weinend erwachen, irgendwann ihren Trost finden.

13
Denn in unseren Wüsten aus Leid und Schuld, Schmerz und Trauer, Tränen und Klagen entstehen neue Wege (vgl. Jes 43,19), das Kreuz öffnet unsere Augen für den leidenden Nächsten, im Ostergeheimnis erfahren wir Gottes liebevolle Nähe, in Feuer und Wasser wird uns das Leben erneuert.

14
Denn die Zukunftserwartungen der Offenbarung ragen schon in unsere Zeit: "Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu." (Off 21,4f)

Alles neu. Atelierhaus Prenzlauer Promenade, Pankow, Berlin, 2015.

1   Zit. n. G. Packer, Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Frankfurt a.M. 2014, 188.
2   Ignatius v. Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978, No. 224, vgl. No. 194.
3   J.B. Metz, Memoria Passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in pluralistischer Gesellschaft. 3. durchgesehene und korrigierte Auflage, Freiburg i.Br. 2006, 103.
4   Ebd., u.ö.
5   Ebd., 96.
6   Ebd., 105.
7   Ebd., 106.
8   K. Rahner, Von der Not und dem Segen des Gebetes. Freiburg i.Br. 1958, 86f.