Sonntag, 22. März 2015

"Superwelt" - Gott spricht im Film von Karl Markovics

Wie kommt Gott in das Drehbuch für einen Kinofilm? - Für den Regisseur von "Superwelt", Karl Markovics, war es klar: "Dazu kann ich nur sagen, dass das vielleicht das einzige Thema ist, an dem wirklich niemand vorbeikommt."
Darüber kann man sich, vor allem in Berlin, trefflich streiten, aber wer sich damit beschäftigt, was es mit Menschen machen kann, in deren Leben Gott plötzlich auftaucht und spricht, der kommt an diesem Spitzenfilm nicht vorbei.
Auf der diesjährigen Berlinale war er schon zu sehen, in Österreich kommt er gerade ins Kino, hoffentlich auch bald in Deutschland.

Ausbruch. Comenius-Garten, Rixdorf, 2015.
Es ist dies einer der besten Filme, die ich im letzten Jahr gesehen habe, denn er wirft in subtiler Weise Fragen auf, die aus der Alltagsbanalität heraus zur Frage nach dem Willen Gottes führen.

Zuerst muss gesagt werden: es ist ein stiller Film, Gott kommt in ihm nicht vor. Weder hören wir im Film seine Stimme, noch sehen wir ihn oder irgendwelche exorbitanten Geschehnisse. Außer eben, dass er das Leben der Supermarktkassiererin Gabi (Ulrike Beimpold) durcheinander wirbelt. Auf diese Weise kommt er also doch vor – aber eben so, wie er im Leben einer jeden Person vorkommen kann.

Gabi ist eine nicht besonders religiöse Frau, ebensowenig wie ihr Mann Hannes (Rainer Wöss), das Einzige, woran sie sich aus dem Religionsunterricht erinnern kann, ist die liturgische Phrase "Herr ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach." Bezeichnend für eine religiöse Erziehung, die auf Gottes Größe und des Menschen Kleinheit pocht und aus der sich viele Menschen lieber fortstehlen. 

Doch dann nimmt Er Kontakt auf. Gabi sitzt nach der Arbeit ausruhend in der Küche und schaltet erst einmal den Kühlschrank aus, denn anscheinend traut sie ihrem Hörvermögen nicht oder kann nicht zuordnen, woher ihr Inneres diese Geräusche empfängt. Es ist ein überragendes Spiel von Ulrike Beimpold, bei dem nie sicher ist, ob sie gerade nur abwesend ist, ob sie innerlich schon angesprochen ist, ob sie versteht, was ihr geschieht oder ob sie gerade verrückt wird. Der Film hält über einige lange ruhige Szenen diese Schwebe, in der die Zuschauer nicht wissen, ob da innen schon etwas passiert, ob Gott nun schon spricht oder nicht. Wahrscheinlich ist dies die angemessenste und realistischste Weise der Darstellung von Gottes Reden im Menschen.

Gabis Tee läuft über. Genauso wie ihr Leben. Eben noch ruhig stehender Alltag, nun gerät etwas ins Fließen. Etwas drängt hinaus über das normale Programm von Waschen, Kochen, Arbeiten, Ferhsehen. Darum ging es dem Regisseur: er wählte keine Krise als Ausgangspunkt, sondern "mich hat interessiert, wie sich so eine Begegnung bei einem Menschen gestaltet, der grundsätzlich keinen großen Leidens- oder Veränderungsdruck verspürt."

Sparkasse Neukölln, 2015.
Nun ist plötzlich alles verschoben. Gabis Prioritäten werden "verrückt". Sie geht nicht mehr zur Arbeit, sondern spaziert durch die Natur, bleibt nachts draußen, läuft barfuß durch Felder und Wiesen. Sie sucht Stille und Alleinsein, um besser zu hören. Es ist ja eine klassische Erfahrung vieler Menschen, die im Lauf der Geschichte Gott unerwartet gefunden oder gesucht oder mehr Nähe zu ihm gesucht haben: Elijas Einsamkeit am Horeb (1Kön 19); die überraschende Erfahrung des Mose in der Wüste (Ex 3), Jesus auf den Bergen Galiläas (Mk 9), Mohammeds Rückzug in die Höhle am Berg Hira, wo ihm der Koran geoffenbart wird.

Sehr feinfühlig zeigt der Film die Palette unterschiedlicher Reaktionen auf diese Verschiebungen – besonders hat es mir das Ablegen der Schuhe angetan, das, in Erinnerung an Moses Ausziehen der Schuhe auf dem heiligen Boden (Ex 3,5) auch bei Straßenexerzitien praktiziert wird, um näher in Kontakt mit der heiligen Wirklichkeit Gottes zu sein.
Ein weiterer Glanzpunkt: Im Feld an einer Bewässerungsanlage steht Gabi und wäscht sich, hier findet sich das uralte Symbol der Reinigung transformiert, als Hannes auf der Suche nach ihr die Gegend abfährt.

Denn die Konflikte lassen nicht auf sich warten. Gabi ist völlig besetzt durch das Sprechen Gottes zu ihr. Sie stößt ihre Familie vor den Kopf, entzieht sich, muss sich rechtfertigen. Das zeigt das grundlegende Dilemma, wenn Gott Menschen wirklich berührt: Er spricht an und nichts anderes geht mehr.

Besonders Hannes glaubt zunehmend an einen Liebhaber. Es kommt zu absurden und wahnsinnig komischen Szenen voller Missverständnisse zwischen den beiden:
Hannes: "Kenne ich ihn?"
Sie: "Vielleicht."
Später schiebt sie nach: "Ich hab nichts angefangen mit ihm, sondern er mit mir."

Der Film lässt auf diese Weise aufscheinen, was das Ernstnehmen der Wirklichkeit eines persönlichen Gottes im Leben Einzelner bedeutet. Da brechen existenzielle Fragen auf über die Unfassbarkeit des Erwähltseins: "Warum ausgerechnet ich?" und "Wofür bin ich da?"
Fragen, die sich Gabi nie zuvor in ihrem Leben gestellt hat. Als sie bemerkt, wie ihr alltägliches Leben ihr mehr und mehr entgleitet, wie sich vor dem Angesicht Gottes alles ändern müsste, kommt ihr Widerspruch auf: "Ich will nicht wissen, warum ich morgens aufstehe. Ich stehe auch so auf." Dem Absoluten mit seinen existenziellen Erschütterungen können nur wenige ganz freie Menschen dauerhaft als offener Fragewunde standhalten.
Für die meisten anderen sind Heim und Haus, Beruf und Besitz die lebenswichtigen Anker in der menschlich-irdischen Wirklichkeit. Hannes drückt seine Wut auf Gabis wahrscheinlichen Jobverlust im Film so aus: "Noch zwei Jahre bis zur Rente und wir hätten unsere Ruhe gehabt."

So markiert der Film auch die Vorbereitung auf das Aufbrechen des neuen Lebens an Ostern und führt zu den lebensverändernden Anfragen, die Gott immerzu an uns stellt. 
Eine heiße Empfehlung also! Neben vielem anderen ist ein wunderbares Plädoyer für Aufmerksamkeit für die Gegenwart zu sehen. Nach dem Film kann man die Welt (wenigstens für die Zeit des Heimwegs vom Kino) als "Superwelt" wahrnehmen, in der Gott anwesend ist und zu uns sprechen will.  

Windmühlenhimmel. Brandenburg, 2014.