Die Kirche ist für die meisten
Christen kein besonders interessantes Thema ihrer Frömmigkeit oder
ihres persönlichen Glaubens. Dabei war die Kirche als theologische
Größe das entscheidende Thema des Zweiten Vatikanischen Konzils
(1962-1965), so dass es zu gewaltigen theologischen
Akzentverschiebungen der Sicht auf die Kirche und noch mächtigeren
mentalen Umbrüchen in Denken und Frömmigkeit kam.
Zusammenfinden. Sparkasse Neukölln, 2015. |
Im Rückgriff auf die Alte Kirche wurde
dabei auch das äußerst faszinierende Verständnis der Kirche von
der Eucharistie her neu aufgenommen.
Wichtige Voraussetzung dafür: die
theologische Entwicklung des Communio-Gedankens,2
also der vertiefenden Besinnung auf die Frage der Gemeinschaft. Dies
wird in verschiedenen Ekklesiologien auf unterschiedliche Weisen
durchgeführt.
Die eucharistische Ekklesiologie führt
dafür verschiedene Kirchenbilder zusammen. Ausgangspunkt ist die
Gemeinschaft (Communio) der Gläubigen am Leib Christi. Die doppelte
Bedeutung von "Leib Christi" als ekklesialer Wirklichkeit
und als göttliche Gegenwart in den eucharistischen Gestalten von
Brot und Wein fordert ein differenziertes Verständnis von
"Communio".
Zur biblischen Basis:
Im Hintergrund steht das paulinische
Verständnis der Kirche als einer solidarischen Gemeinschaft von aus
verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Kommenden, die
zusammengerufen sind zur einen neuen Kirche Gottes. In 1Kor 12
spricht Paulus von der Mannigfaltigkeit der Berufungen und
Fähigkeiten innerhalb einer Gemeinde und vergleicht diese Vielfalt
mit den Gliedern eines Leibes, die alle zum Wohl des Ganzen wirken
(sollen).
Dieses Bild des kirchlichen Leibes
setzt Paulus auch voraus, wenn er kurz zuvor die Bedeutung der
Eucharistie erläutert:
"Ist der Kelch des Segens, über
den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das
Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist
es. Darum sind wir viele ein
Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot." (1Kor
10,16f)
Ein Brot – ein Leib. Eucharistischer
und ekklesialer Leib Christi finden hier eine differenzierte Form der
Identität: "Teilhabe am sakramentalen σώμα
[Soma/Leib] ... bedeutet Integration in das ekklesiologische σώμα."3
Zum einen Leib der kirchlichen
Gemeinschaft gelangen die Gläubigen mithin durch ihre Teilnahme
am eucharistischen Mahl, denn dieses Mahl bedeutet Teilhabe am
eucharistischen Christus, durch das die Gläubigen zur Gemeinschaft
der Heiligen und am Heiligen werden.4
Demgemäß werden die Glieder der Kirche in dieser "Kommunion", wie das Teilnehmen am Mahl ja passenderweise auch heißt, ausgezeichnet durch ein spezifisches Verhältnis zum Heilsträger Christus, aber auch zueinander. Spirituell gesprochen: Analog zum doppelten Liebesgebot Jesu, welches die radikale Liebestat einfordert, wird hier die Liebesgemeinschaft mit Gott und den Nächsten betont, verstanden als von Gott ausgehend und vom Menschen gefordert.
Das Konzil drückt es in Lumen Gentium 3 so aus, dass "durch das Sakrament des eucharistischen Brotes die Einheit der Gläubigen, die einen Leib in Christus bilden, dargestellt und verwirklicht"5 wird. Einer Kirche, die die Eucharistie als ihren Quell- und Höhepunkt bestimmt,6 steht ein solches Denken auch gut an.
Verstreut gehängt. Galerie im Körnerpark, Neukölln, Berlin, 2014. |
In den Zeugnissen der frühen Kirche
kommt es zu verschiedenen Modifizierungen und Fortentwicklungen des
neutestamentlichen Gedankens, von denen ich einige noch kurz nennen
will.
Die Didache (um 100 n.Chr.) schaut
nicht mehr wie Paulus auf eine konkrete Gemeinde, sondern bezieht die
eucharistische Dimension der zerstreuten Kirche auf ihre
eschatologische Einheit im zukünftigen Reich Gottes. Diese
Perspektive zeigt sich besonders in der liturgischen Brotbitte:
"Wie dieses gebrochene Brot auf
den Bergen zerstreut war und zusammengebracht eins wurde, so möge
deine Gemeinde von den Enden der Erde zusammengebracht werden in dein
Reich."7
Der Parallelisierung des Erntevorgangs
mit der Vereinigung der Kirche aus der Zerstreuung liegt hier sicher
ein endzeitliches Denken zugrunde, aber der Blick auf die
einheitsstiftende Kraft der Eucharistie lässt sich auch für eine
weltweite Kirche in einer globalisierten Welt neu gewinnen.
In der nachkonziliaren liturgischen
Reflexion taucht dieses Motiv in einem Lied von Marie-Luise Thurmayr
wieder auf:
"Wir, die wir alle essen von
dem Mahle
und die wir trinken aus der heilgen
Schale,
sind Christi Leib, sind seines
Leibes Glieder,
Schwestern und Brüder.
Aus vielen Körnern ist ein
Brot geworden:
so führ auch uns, o Herr, aus allen
Orten,
zu einer
Kirche durch Dein Wort zusammen
in Jesu Namen."8
Die erbetene künftige Einheit der
Kirche aus der Vielfalt stellt eine mögliche Weiterentwicklung dar.
Einen sehr spezifischen Akzent erhält die ganz vom Einheitsgedanken
durchformte Ekklesiologie des Ignatius von Antiochien (†
um 117) durch den Hinweis auf die Eucharistie. Der deportierte
Bischof weist vielfach auf die Bedeutung der Einheit der Gemeinde mit
dem geweihten Amtsträger hin, die sich vor allem in der gemeinsamen
eucharistischen Feier manifestiert. Die Eucharistiefeier mit dem
Bischof ist das Ereignis, an dem Einheit spürbar wird.
Ignatius
fordert die Gemeinde deshalb auf: "seid
darauf bedacht, nur an einer
Eucharistie teilzunehmen, denn es gibt nur ein
Fleisch unseres Herrn Jesus Christus und nur einen
Kelch zu Einigung mit seinem Blute, nur einen
Altar wie einen
Bischof zusammen mit den Presbytern und den Diakonen."9
Filz. Krankenhauskapelle, Krankenhaus St. Elisabeth, Halle /S., 2014. |
Hier
kommen durch die starke synthetische Kraft des Ignatius schon in der
frühen Kirche christologisch-soteriologische und
amtstheologisch-ekklesiologische Aspekte zu einer kompakten Theologie
der Eucharistie mit einem Fokus auf das kirchliche Amt als
Einheitsgarant zusammen.
Einen wieder anderen Schwerpunkt setzt
Johannes Chrysostomos einige Jahrhunderte später. Er sieht im
Kirchewerden durch die Eucharistie ein Schwinden der Unterschiede
zwischen den Christen:
„Was ist denn das Brot wirklich?
Es ist der Leib Christi. Was werden die, welche ihn empfangen? Sie
werden Leib Christi; aber nicht viele Leiber, sondern ein einziger
Leib. In der Tat ist das Brot ganz eins, obgleich es aus vielen
Körnern besteht, die sich in ihm befinden, auch wenn man sie nicht
sieht und ihre Verschiedenheit zugunsten ihrer gegenseitigen
vollkommenen Verschmelzung verschwindet. Ebenso sind auch wir auf die
gleiche Weise untereinander geeint und alle miteinander mit
Christus.“10
Daraus folgt für ihn eine soziale
Verantwortung für die Mitchristen, die aus der gemeinsamen Teilnahme
am Herrenmahl erwächst und sich als Liebe zu den anderen Gliedern
des einen Leibes manifestieren muss.
Ähnlich argumentiert 2006 Benedikt
XVI. in seiner Enzyklika "Deus Caritas Est", wenn er
schreibt: "Die Kommunion zieht mich aus mir heraus zu ihm hin
und damit zugleich in die Einheit mit allen Christen. Wir werden 'ein
Leib', eine ineinander verschmolzene Existenz. Gottesliebe und
Nächstenliebe sind nun wirklich vereint: Der fleischgewordene Gott
zieht uns alle an sich. ... Nur von dieser
christologisch-sakramentalen Grundlage her kann man die Lehre Jesu
von der Liebe recht verstehen. ... Die übliche Entgegensetzung von
Kult und Ethos fällt hier einfach dahin: Im 'Kult' selber, in der
eucharistischen Gemeinschaft ist das Geliebtwerden und Weiterlieben
enthalten. Eucharistie, die nicht praktisches Liebeshandeln wird, ist
in sich selbst fragmentiert..."11
So ließe sich fortfahren,
kommentieren, vertiefen. Besonders die orthodoxe Theologie hat diese
Perspektive, durch die Kirche und Eucharistie eng miteinander
verbunden werden, konsequent weitergeführt.
Was mich dabei bewegt: in die
persönliche Andacht nicht nur die Beziehung zu Christus aufzunehmen,
sondern auch die Gemeinschaft mit all den anderen, die da in einer
ähnlichen Weise (und dabei natürlich auch je wieder ganz
individuell verschieden) in die Gemeinschaft mit ihm und mit mir
kommen. Auch das bedeutet schließlich "zur Kommunion gehen".
1 Vgl.
Lumen Gentium, 1.9ff. In: K. Rahner, H. Vorgrimler (Hg.), Kleines
Konzilskompendium. 28. Aufl. Freiburg i.Br., Basel, Wien 2000.
2 Vgl.
Johannes Paul II., Enzyklika "Ecclesia de Eucharistia"
über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche. Bonn 2003. Hg.
v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des
Apostolischen Stuhles Nr. 159), Nr. 34; W. Kasper, Wege der Einheit.
Perspektiven für die Ökumene. Freiburg i.Br. 2005, 72ff. 135ff.
3 W.
Schrage, Der erste Brief an die Korinther. 2. Teilband 1Kor
6,12-11,16. Solothurn, Düsseldorf, Neukirchen-Vluyn 1995, 440.
4 Vgl.
J. Freitag, Eucharistische Ekklesiologie. I.
Systematisch-theologisch. In: LThK 3. 3. Aufl. Freiburg, Basel, Wien
1995, 969.
5 Lumen
Gentium 3. A.a.O.
6 Vgl.
Sacrosanctum Concilium, 10. In: K. Rahner, H. Vorgrimler (Hg.),
Kleines Konzilskompendium. 28. Aufl. Freiburg i.Br., Basel, Wien
2000.
7 Die Didache oder Lehre der zwölf Apostel, 9,4. In: Das Glaubenszeugnis der frühen Kirche. Texte der Christenheit aus den ersten 3 Jahrhunderten. Ausgewählt und eingeleitet von F. P. Sonntag. Leipzig 1981, 11-23.
7 Die Didache oder Lehre der zwölf Apostel, 9,4. In: Das Glaubenszeugnis der frühen Kirche. Texte der Christenheit aus den ersten 3 Jahrhunderten. Ausgewählt und eingeleitet von F. P. Sonntag. Leipzig 1981, 11-23.
8 Gotteslob.
Katholisches Gebet- und Gesangsbuch. Ausgabe für die (Erz-)Diözesen
Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz und Magdeburg. Nr. 484.,
Strophen 3 und 4.
9 Brief
des Ignatius an die Philipper, 4. In: Das Glaubenszeugnis der
frühen Kirche, a.a.O., 24-64.
10
Johannes Chrysostomus, In Epistolam I ad Corinthos homiliae, 24,2;
zit.n.: Johannes Paul II., Enzyklika "Ecclesia de Eucharistia",
a.a.O., Nr. 23.
11 Benedikt
XVI., Enzyklika "Deus Caritas Est" über die christliche
Liebe. Bonn 2006. Hg.v. Sekretariat d. Deutschen Bischofskonferenz
(Verlautbarungen des Apotolischen Stuhles Nr. 171), 14.