Donnerstag, 26. März 2015

Ein Brot – ein Leib. Annäherungen an die Eucharistische Ekklesiologie

Die Kirche ist für die meisten Christen kein besonders interessantes Thema ihrer Frömmigkeit oder ihres persönlichen Glaubens. Dabei war die Kirche als theologische Größe das entscheidende Thema des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), so dass es zu gewaltigen theologischen Akzentverschiebungen der Sicht auf die Kirche und noch mächtigeren mentalen Umbrüchen in Denken und Frömmigkeit kam.
Das Konzil stellte mehrere überlieferte Kirchenbilder mehr oder weniger elegant verbunden nebeneinander. So begreift die Kirche sich selbst seitdem nicht mehr vorrangig (aber auch) als hierarchische Institution (wider den äußeren Anschein der Debattenlage). Auch das lange Zeit hierarchisch aufgeladene Bild vom Leib Christi (vgl. 1Kor 12,12ff) wird weniger stark akzentuiert. Vielmehr stellt die Selbstbeschreibung nun einerseits die Kirche als Sakrament (d.h. als "Zeichen und Werkzeug" Gottes zum Heil aller Menschen) und andererseits als pilgerndes Volk Gottes in die Mitte.1

 
Zusammenfinden. Sparkasse Neukölln, 2015.
Im Rückgriff auf die Alte Kirche wurde dabei auch das äußerst faszinierende Verständnis der Kirche von der Eucharistie her neu aufgenommen.

Wichtige Voraussetzung dafür: die theologische Entwicklung des Communio-Gedankens,2 also der vertiefenden Besinnung auf die Frage der Gemeinschaft. Dies wird in verschiedenen Ekklesiologien auf unterschiedliche Weisen durchgeführt.
Die eucharistische Ekklesiologie führt dafür verschiedene Kirchenbilder zusammen. Ausgangspunkt ist die Gemeinschaft (Communio) der Gläubigen am Leib Christi. Die doppelte Bedeutung von "Leib Christi" als ekklesialer Wirklichkeit und als göttliche Gegenwart in den eucharistischen Gestalten von Brot und Wein fordert ein differenziertes Verständnis von "Communio".


Zur biblischen Basis:
Im Hintergrund steht das paulinische Verständnis der Kirche als einer solidarischen Gemeinschaft von aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Kommenden, die zusammengerufen sind zur einen neuen Kirche Gottes. In 1Kor 12 spricht Paulus von der Mannigfaltigkeit der Berufungen und Fähigkeiten innerhalb einer Gemeinde und vergleicht diese Vielfalt mit den Gliedern eines Leibes, die alle zum Wohl des Ganzen wirken (sollen).

Dieses Bild des kirchlichen Leibes setzt Paulus auch voraus, wenn er kurz zuvor die Bedeutung der Eucharistie erläutert:
"Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot." (1Kor 10,16f)


Ein Brot – ein Leib. Eucharistischer und ekklesialer Leib Christi finden hier eine differenzierte Form der Identität: "Teilhabe am sakramentalen σώμα [Soma/Leib] ... bedeutet Integration in das ekklesiologische σώμα."3
Zum einen Leib der kirchlichen Gemeinschaft gelangen die Gläubigen mithin durch ihre Teilnahme am eucharistischen Mahl, denn dieses Mahl bedeutet Teilhabe am eucharistischen Christus, durch das die Gläubigen zur Gemeinschaft der Heiligen und am Heiligen werden.4


Demgemäß werden die Glieder der Kirche in dieser "Kommunion", wie das Teilnehmen am Mahl ja passenderweise auch heißt, ausgezeichnet durch ein spezifisches Verhältnis zum Heilsträger Christus, aber auch zueinander. Spirituell gesprochen: Analog zum doppelten Liebesgebot Jesu, welches die radikale Liebestat einfordert, wird hier die Liebesgemeinschaft mit Gott und den Nächsten betont, verstanden als von Gott ausgehend und vom Menschen gefordert.



Das Konzil drückt es in Lumen Gentium 3 so aus, dass "durch das Sakrament des eucharistischen Brotes die Einheit der Gläubigen, die einen Leib in Christus bilden, dargestellt und verwirklicht"5 wird. Einer Kirche, die die Eucharistie als ihren Quell- und Höhepunkt bestimmt,6 steht ein solches Denken auch gut an.

Verstreut gehängt. Galerie im Körnerpark,
Neukölln, Berlin, 2014.
In den Zeugnissen der frühen Kirche kommt es zu verschiedenen Modifizierungen und Fortentwicklungen des neutestamentlichen Gedankens, von denen ich einige noch kurz nennen will.
Die Didache (um 100 n.Chr.) schaut nicht mehr wie Paulus auf eine konkrete Gemeinde, sondern bezieht die eucharistische Dimension der zerstreuten Kirche auf ihre eschatologische Einheit im zukünftigen Reich Gottes. Diese Perspektive zeigt sich besonders in der liturgischen Brotbitte:

"Wie dieses gebrochene Brot auf den Bergen zerstreut war und zusammengebracht eins wurde, so möge deine Gemeinde von den Enden der Erde zusammengebracht werden in dein Reich."7

Der Parallelisierung des Erntevorgangs mit der Vereinigung der Kirche aus der Zerstreuung liegt hier sicher ein endzeitliches Denken zugrunde, aber der Blick auf die einheitsstiftende Kraft der Eucharistie lässt sich auch für eine weltweite Kirche in einer globalisierten Welt neu gewinnen.
In der nachkonziliaren liturgischen Reflexion taucht dieses Motiv in einem Lied von Marie-Luise Thurmayr wieder auf:

"Wir, die wir alle essen von dem Mahle
und die wir trinken aus der heilgen Schale,
sind Christi Leib, sind seines Leibes Glieder,
Schwestern und Brüder.

Aus vielen Körnern ist ein Brot geworden:
so führ auch uns, o Herr, aus allen Orten,
zu einer Kirche durch Dein Wort zusammen
in Jesu Namen."8

Die erbetene künftige Einheit der Kirche aus der Vielfalt stellt eine mögliche Weiterentwicklung dar. Einen sehr spezifischen Akzent erhält die ganz vom Einheitsgedanken durchformte Ekklesiologie des Ignatius von Antiochien ( um 117) durch den Hinweis auf die Eucharistie. Der deportierte Bischof weist vielfach auf die Bedeutung der Einheit der Gemeinde mit dem geweihten Amtsträger hin, die sich vor allem in der gemeinsamen eucharistischen Feier manifestiert. Die Eucharistiefeier mit dem Bischof ist das Ereignis, an dem Einheit spürbar wird.
Ignatius fordert die Gemeinde deshalb auf: "seid darauf bedacht, nur an einer Eucharistie teilzunehmen, denn es gibt nur ein Fleisch unseres Herrn Jesus Christus und nur einen Kelch zu Einigung mit seinem Blute, nur einen Altar wie einen Bischof zusammen mit den Presbytern und den Diakonen."9

Filz. Krankenhauskapelle, Krankenhaus St. Elisabeth,
Halle /S., 2014.
Hier kommen durch die starke synthetische Kraft des Ignatius schon in der frühen Kirche christologisch-soteriologische und amtstheologisch-ekklesiologische Aspekte zu einer kompakten Theologie der Eucharistie mit einem Fokus auf das kirchliche Amt als Einheitsgarant zusammen.

Einen wieder anderen Schwerpunkt setzt Johannes Chrysostomos einige Jahrhunderte später. Er sieht im Kirchewerden durch die Eucharistie ein Schwinden der Unterschiede zwischen den Christen:

Was ist denn das Brot wirklich? Es ist der Leib Christi. Was werden die, welche ihn empfangen? Sie werden Leib Christi; aber nicht viele Leiber, sondern ein einziger Leib. In der Tat ist das Brot ganz eins, obgleich es aus vielen Körnern besteht, die sich in ihm befinden, auch wenn man sie nicht sieht und ihre Verschiedenheit zugunsten ihrer gegenseitigen vollkommenen Verschmelzung verschwindet. Ebenso sind auch wir auf die gleiche Weise untereinander geeint und alle miteinander mit Christus.“10

Daraus folgt für ihn eine soziale Verantwortung für die Mitchristen, die aus der gemeinsamen Teilnahme am Herrenmahl erwächst und sich als Liebe zu den anderen Gliedern des einen Leibes manifestieren muss.
Ähnlich argumentiert 2006 Benedikt XVI. in seiner Enzyklika "Deus Caritas Est", wenn er schreibt: "Die Kommunion zieht mich aus mir heraus zu ihm hin und damit zugleich in die Einheit mit allen Christen. Wir werden 'ein Leib', eine ineinander verschmolzene Existenz. Gottesliebe und Nächstenliebe sind nun wirklich vereint: Der fleischgewordene Gott zieht uns alle an sich. ... Nur von dieser christologisch-sakramentalen Grundlage her kann man die Lehre Jesu von der Liebe recht verstehen. ... Die übliche Entgegensetzung von Kult und Ethos fällt hier einfach dahin: Im 'Kult' selber, in der eucharistischen Gemeinschaft ist das Geliebtwerden und Weiterlieben enthalten. Eucharistie, die nicht praktisches Liebeshandeln wird, ist in sich selbst fragmentiert..."11

So ließe sich fortfahren, kommentieren, vertiefen. Besonders die orthodoxe Theologie hat diese Perspektive, durch die Kirche und Eucharistie eng miteinander verbunden werden, konsequent weitergeführt.

Was mich dabei bewegt: in die persönliche Andacht nicht nur die Beziehung zu Christus aufzunehmen, sondern auch die Gemeinschaft mit all den anderen, die da in einer ähnlichen Weise (und dabei natürlich auch je wieder ganz individuell verschieden) in die Gemeinschaft mit ihm und mit mir kommen. Auch das bedeutet schließlich "zur Kommunion gehen".







1   Vgl. Lumen Gentium, 1.9ff. In: K. Rahner, H. Vorgrimler (Hg.), Kleines Konzilskompendium. 28. Aufl. Freiburg i.Br., Basel, Wien 2000.
2   Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika "Ecclesia de Eucharistia" über die Eucharistie in ihrer Beziehung zur Kirche. Bonn 2003. Hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles Nr. 159), Nr. 34; W. Kasper, Wege der Einheit. Perspektiven für die Ökumene. Freiburg i.Br. 2005, 72ff. 135ff.
3   W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther. 2. Teilband 1Kor 6,12-11,16. Solothurn, Düsseldorf, Neukirchen-Vluyn 1995, 440.
4   Vgl. J. Freitag, Eucharistische Ekklesiologie. I. Systematisch-theologisch. In: LThK 3. 3. Aufl. Freiburg, Basel, Wien 1995, 969.
5   Lumen Gentium 3. A.a.O.
6   Vgl. Sacrosanctum Concilium, 10. In: K. Rahner, H. Vorgrimler (Hg.), Kleines Konzilskompendium. 28. Aufl. Freiburg i.Br., Basel, Wien 2000.
7
   Die Didache oder Lehre der zwölf Apostel, 9,4. In: Das Glaubenszeugnis der frühen Kirche. Texte der Christenheit aus den ersten 3 Jahrhunderten. Ausgewählt und eingeleitet von F. P. Sonntag. Leipzig 1981, 11-23.
8   Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangsbuch. Ausgabe für die (Erz-)Diözesen Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz und Magdeburg. Nr. 484., Strophen 3 und 4.
9   Brief des Ignatius an die Philipper, 4. In: Das Glaubenszeugnis der frühen Kirche, a.a.O., 24-64.
10   Johannes Chrysostomus, In Epistolam I ad Corinthos homiliae, 24,2; zit.n.: Johannes Paul II., Enzyklika "Ecclesia de Eucharistia", a.a.O., Nr. 23.
11   Benedikt XVI., Enzyklika "Deus Caritas Est" über die christliche Liebe. Bonn 2006. Hg.v. Sekretariat d. Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apotolischen Stuhles Nr. 171), 14.