Nachdem ich schon zwei Mal fremde und
eigene Gedanken zum Thema eines Papstamtes an dieser Stelle
präsentierte, fielen mir gerade einige "Thesen zur Theologie
der Kirche"1
des jüngst verstorbenen evangelischen Systematikers Wolfhart
Pannenberg zu dieser Frage in die Hände, die ich kurz vorstellen
will.
Zunächst kamen hier Papst Johannes
Paul II. und Papst Franziskus sowie die Ökumenische Forschungsgruppe
von Farfa Sabina zu Wort,
später traten einige Gedanken
von Frère Roger und dem orthodox-katholischen Dialogdokument von
2007 hinzu, nun also folgt ein dritter Anlauf aus evangelischer
Sicht.
Gemeinsamer Tanz. Hermannplatz, Neukölln, Berlin, 2015. |
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In den Thesen geht es um die Kirche aus
protestantischer Sicht, eine Akzentuierung, die mir manchmal fremd
anmutet, aber in den meisten Fällen durchaus nachvollziehbar ist. So
kann ich beispielsweise in der Verhältnisbestimmung von Kirche zum
kommenden Reich Gottes dessen Definition als "Herrschaft des
Rechts" (These 4) nachvollziehen, auch wenn die These (wie
alle anderen auch) zwangsläufig so formuliert ist, dass
Erläuterungen und Abgrenzungen nötig wären. Aber Thesen leben nun
einmal von ihrer würzigen Kürze.
Pannenberg sieht beides und weist im
Vorwort auf weitere Schriften hin, die jeweils eine interessante
Vertiefung darstellen können.2
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Ebenso kurz und knackig ist es bei der
Ämterfrage – dem Autor seiht im kirchlichen Amt eine Vermittlung
der Beziehung zu Jesus in je persönliche Unmittelbarkeit zu Gott.
Diese Dialektik zeigt Pannenberg anhand der komplizierten Frage von
Gnade und Sakrament auf: "Der Begriff Gnade bezeichnet daher
das Handeln Gottes in der Vermittlung des Heils durch kirchliche
Überlieferung, sowie zugleich die Priorität Gottes in der
Unmittelbarkeit der individuellen Frömmigkeit, in die die
Überlieferung den einzelnen vermittelt. Der Gnadengedanke
verklammert so den Prozeß kirchlicher Vermittlung der Geschichte
Jesu mit der Unmittelbarkeit des Glaubens an ihn." (These
101)
Mit fremder Hilfe zur eigenständigen
Gottesbeziehung also, durch Vermittlung zur Unmittelbarkeit –
dementsprechend ist es auch die Aufgabe des Amtes, "den
Gliedern der Kirche zur religiösen Mündigkeit zu dienen."
(These 127) Darum stellt Pannenberg den urteilsfähigen Christen als
Vorbild dar, der sich frei zur kirchlich tradierten Überlieferung
verhalten kann, weil er unmittelbar "zur Sache der
Überlieferung, zu Jesus selbst" (These 38), steht.
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Trotz dieser Selbständigkeit betont er
die Wichtigkeit der Ämter, und hier besonders ihre Funktion als
Repräsentanten der Einheit. "Diese Funktion ist nur durch
Integration der immer schon vorgegebenen Pluralität von Perspektiven
und Gruppen zu erfüllen." (These 126) Integration bedeutet
für Pannenberg aber nicht Uniformität, sondern legitime Vielfalt in
Gemeinschaft.
Himmel über St. Canisius, Charlottenburg, Berlin, 2014. |
In der für das zentrale Einheitsamt
bedeutsamsten These wird dies unterstrichen:
"Die Repräsentation der
Gesamtchristenheit durch ein höchstes Amt dient dem Bewusstsein
ihrer Einheit, wenn damit weder eine Uniformität der kirchlichen
Organisation und des liturgischen Lebens, noch auch eine solcher der
Theologie verbunden ist. Jede erzwungene Uniformität schadet der
christlichen Einheit, die sich im Bemühen der verschiedenen
christlichen Gruppen um volleren Ausdruck des sie einenden Glaubens
dokumentiert". (These 121)
Das "Bewusstsein" der
Einheit stellt für Pannenberg also das zentrale Kriterium eines
solchen Amtes dar. Nicht das Verbürgen oder gar das Schaffen einer
solchen Einheit sieht er also als Dienst des Amtes an, sondern das
wirkliche Anerkennen dessen, was an Einheit da ist. Im Hintergrund
steht Pannenbergs Überzeugung, dass das Wesentliche für die
Gemeinschaft mit Jesus "das gläubige Bekenntnis zu Jesus"
ist und "nicht die Übereinstimmung in der Lehre"
(These 33) – eine These, die sicher gut zu abzuklopfen oder
anzufragen ist, ob sich Theologie damit nicht selbst überflüssig
macht.
Wenn heute Papst Franziskus darauf
hinweist, dass die um ihres Glaubens willen getöteten Christen nicht
wegen ihrer Konfession, sondern wegen ihres Christseins gemordet
werden, dann zeigt dies schon ein solches gesamtchristliches
Bewusstsein, dass nämlich in einer "Ökumene des Blutes"
zusammen Zeugnis gegeben wird. (Gleiches findet sich auch, wenn Helmuth James von Moltke und Alfred Delp
zusammen hingerichtet werden.)
Der "vollere Ausdruck"
des gemeinsamen Glaubens wiederum braucht sicher ein vielstimmiges
theologisches Fundament – doch braucht es an dieser Stelle vor
allem eine inhaltliche Qualifikation dessen, was diesen Glauben denn
wesentlich ausmacht, damit es noch dieser Glaube sei. Hier,
scheint mir, reichen Thesen nicht mehr aus, sondern es muss tiefer
gehen, welchem Glauben und damit welchem Einheitsbewusstsein denn
gedient werden soll durch ein solches Amt.
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Die folgenden Thesen sind äußerst
interessant bezüglich der formalen Entfaltung dieses Amtes und
greifen kreativ katholische theologische Traditionen auf.
These 122 bekennt sich zur Vollmacht
des Amtes aus sich selbst und erklärt, dass "ein höchstes
Amt seine Vollmacht 'ex sese, non ex consensu ecclesiae' habe
(Vaticanum I, Denz. 3074), läßt sich im Sinne der Eigenständigkeit
des Verkündigungsamtes gegenüber den Wünschen der Gemeinde [...]
verstehen." Das meint eindeutig keine Demokratisierung, auch
wenn der Autor sich für eine "angemessene Mitwirkung"
(These 106) der Gläubigen bei der Besetzung und Gestaltung der Ämter
stark macht, sondern den Selbststand des Amtes aus den Kriterien der
Botschaft Christi heraus (in den Thesen 115-119 betont er die notae
ecclesiae Apostolizität, Katholizität, Heiligkeit und Einheit als
Kriterien kirchlicher Ämter).
In These 123 betont er als Gegenstück
dazu ein "Recht zur Kritik an der Amtsführung" –
denn nicht aus dem Konsens der Kirche, wohl aber der Kirche
verantwortlich ist dieses Amt.
Umgang. Ökumenische Kapelle der Versöhnung. Berlin-Mitte, 2014. |
Auch die Unfehlbarkeit bestätigt
Pannenberg auf eigene Weise, so wie es später auch von den Thelogen
von Farfa Sabina aufgenommen werden wird: "Die Christenheit
und auch ihre Ämter, sofern ihre Träger im Sinne ihres Amtes
handeln, wird nicht als ganze von er Wahrheit Gottes abirren, die sie
im Glauben ergreift, obwohl einzelne Glieder abfallen und auch
Amtsträger, wo sie ihr Amt nicht seiner Sendung gemäß wahrnehmen,
irren können." (These 124)
Gott also hält seine Kirche in der
Wahrheit. So und nicht anders ist ja auch das Konzilsdekret des I.
Vatikanums zu verstehen, denn die Unfehlbarkeit mit den vielen dort
genannten Einschränkungen kann ja nicht als persönliche Qualität
oder Leistung des Amtsträgers angesehen werden.
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Was sich aus diesen theologischen
Gedanken Pannenbergs ökumenisch machen ließe und was das
kirchenrechtlich bedeuten würde, steht auf einem anderen Blatt.
Wichtig finde ich, dass solche Gedanken als Anstöße in Erinnerung
bleiben. Denn der ökumenische Dialog kann diese Hinweise von den
verschiedensten Konfessionen gebrauchen, wenn er sich mit den eigenen
oder gegenüber den anderen Mitchristen auseinandersetzen will. Für
mich ist es ein Hoffnungszeichen – da denkt einer nicht über die
anderen hinweg, sondern erkennt im Verbindenden den Denkanlass. Ich
bin überzeugt: solche Irritationen und schönen Überraschungen
können dem ökumenischen Prozess auf die Sprünge helfen und Vertrauen wachsen lassen.
Für mich bleiben vor allem: Ämter
sind Dienst an der Mündigkeit und das Wecken des Bewusstseins der
schon gegebenen Einheit.
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Als Nachsatz noch eine kurze
Markierung, warum ich persönlich die Beschäftigung mit dem Thema
Papstamt aus ökumenischer Perspektive überhaupt für wichtig halte:
Die eher katholische Ausrichtung auf das Momentum kirchlicher Einheit
ist mir eigen, auch und gerade wenn ich keine ultramontane Fixierung
an mir feststellen kann. Abseits von einer Zerrgestalt des
Katholischen, wie gedanklicher und praktischer Gleichmacherei unter
einem monarchischen Souverän in Rom, halte ich es für wichtig, dass
die Christenheit wahrgenommen werden kann als eine – in all
ihren unterschiedlichen Facetten, wie sie im Nahen Osten anders als
in Südamerika, den USA oder in Südkorea auftritt. Diese
Wahrnehmbarkeit muss, theologisch gesprochen, auch strukturell
sichtbar werden, sich inkarnieren oder symbolisch in Erscheinung
treten, sie kann nicht nur ideell gemeinte Einheit sein, die vom
Belieben der jeweiligen Gruppierung abhängt. Darum die Option für
ein "Amt" der Einheit, das diese vielleicht nicht
garantieren kann, aber doch stärken – bei aller sinnvollen und
nötigen Vielfalt von weiteren Meinungen in Glaubensfragen.
Strick zur Glocke. St. Anna, Neukölln, Berlin, 2014. |
1 W.
Pannenberg, Thesen zur Theologie der Kirche. München 1970.