Dienstag, 3. Februar 2015

Evangelische Gedanken zum kirchlichen Einheitsamt von Wolfhart Pannenberg

Nachdem ich schon zwei Mal fremde und eigene Gedanken zum Thema eines Papstamtes an dieser Stelle präsentierte, fielen mir gerade einige "Thesen zur Theologie der Kirche"1 des jüngst verstorbenen evangelischen Systematikers Wolfhart Pannenberg zu dieser Frage in die Hände, die ich kurz vorstellen will.

Zunächst kamen hier Papst Johannes Paul II. und Papst Franziskus sowie die Ökumenische Forschungsgruppe von Farfa Sabina zu Wort, später traten einige Gedanken von Frère Roger und dem orthodox-katholischen Dialogdokument von 2007 hinzu, nun also folgt ein dritter Anlauf aus evangelischer Sicht.

Gemeinsamer Tanz. Hermannplatz,
Neukölln, Berlin, 2015.
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In den Thesen geht es um die Kirche aus protestantischer Sicht, eine Akzentuierung, die mir manchmal fremd anmutet, aber in den meisten Fällen durchaus nachvollziehbar ist. So kann ich beispielsweise in der Verhältnisbestimmung von Kirche zum kommenden Reich Gottes dessen Definition als "Herrschaft des Rechts" (These 4) nachvollziehen, auch wenn die These (wie alle anderen auch) zwangsläufig so formuliert ist, dass Erläuterungen und Abgrenzungen nötig wären. Aber Thesen leben nun einmal von ihrer würzigen Kürze.
Pannenberg sieht beides und weist im Vorwort auf weitere Schriften hin, die jeweils eine interessante Vertiefung darstellen können.2

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Ebenso kurz und knackig ist es bei der Ämterfrage – dem Autor seiht im kirchlichen Amt eine Vermittlung der Beziehung zu Jesus in je persönliche Unmittelbarkeit zu Gott. Diese Dialektik zeigt Pannenberg anhand der komplizierten Frage von Gnade und Sakrament auf: "Der Begriff Gnade bezeichnet daher das Handeln Gottes in der Vermittlung des Heils durch kirchliche Überlieferung, sowie zugleich die Priorität Gottes in der Unmittelbarkeit der individuellen Frömmigkeit, in die die Überlieferung den einzelnen vermittelt. Der Gnadengedanke verklammert so den Prozeß kirchlicher Vermittlung der Geschichte Jesu mit der Unmittelbarkeit des Glaubens an ihn." (These 101)
Mit fremder Hilfe zur eigenständigen Gottesbeziehung also, durch Vermittlung zur Unmittelbarkeit – dementsprechend ist es auch die Aufgabe des Amtes, "den Gliedern der Kirche zur religiösen Mündigkeit zu dienen." (These 127) Darum stellt Pannenberg den urteilsfähigen Christen als Vorbild dar, der sich frei zur kirchlich tradierten Überlieferung verhalten kann, weil er unmittelbar "zur Sache der Überlieferung, zu Jesus selbst" (These 38), steht.

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Trotz dieser Selbständigkeit betont er die Wichtigkeit der Ämter, und hier besonders ihre Funktion als Repräsentanten der Einheit. "Diese Funktion ist nur durch Integration der immer schon vorgegebenen Pluralität von Perspektiven und Gruppen zu erfüllen." (These 126) Integration bedeutet für Pannenberg aber nicht Uniformität, sondern legitime Vielfalt in Gemeinschaft.
Himmel über St. Canisius,
Charlottenburg, Berlin, 2014.
In der für das zentrale Einheitsamt bedeutsamsten These wird dies unterstrichen:
"Die Repräsentation der Gesamtchristenheit durch ein höchstes Amt dient dem Bewusstsein ihrer Einheit, wenn damit weder eine Uniformität der kirchlichen Organisation und des liturgischen Lebens, noch auch eine solcher der Theologie verbunden ist. Jede erzwungene Uniformität schadet der christlichen Einheit, die sich im Bemühen der verschiedenen christlichen Gruppen um volleren Ausdruck des sie einenden Glaubens dokumentiert". (These 121)
Das "Bewusstsein" der Einheit stellt für Pannenberg also das zentrale Kriterium eines solchen Amtes dar. Nicht das Verbürgen oder gar das Schaffen einer solchen Einheit sieht er also als Dienst des Amtes an, sondern das wirkliche Anerkennen dessen, was an Einheit da ist. Im Hintergrund steht Pannenbergs Überzeugung, dass das Wesentliche für die Gemeinschaft mit Jesus "das gläubige Bekenntnis zu Jesus" ist und "nicht die Übereinstimmung in der Lehre" (These 33) – eine These, die sicher gut zu abzuklopfen oder anzufragen ist, ob sich Theologie damit nicht selbst überflüssig macht.
Wenn heute Papst Franziskus darauf hinweist, dass die um ihres Glaubens willen getöteten Christen nicht wegen ihrer Konfession, sondern wegen ihres Christseins gemordet werden, dann zeigt dies schon ein solches gesamtchristliches Bewusstsein, dass nämlich in einer "Ökumene des Blutes" zusammen Zeugnis gegeben wird. (Gleiches findet sich auch, wenn Helmuth James von Moltke und Alfred Delp zusammen hingerichtet werden.)
Der "vollere Ausdruck" des gemeinsamen Glaubens wiederum braucht sicher ein vielstimmiges theologisches Fundament – doch braucht es an dieser Stelle vor allem eine inhaltliche Qualifikation dessen, was diesen Glauben denn wesentlich ausmacht, damit es noch dieser Glaube sei. Hier, scheint mir, reichen Thesen nicht mehr aus, sondern es muss tiefer gehen, welchem Glauben und damit welchem Einheitsbewusstsein denn gedient werden soll durch ein solches Amt.

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Die folgenden Thesen sind äußerst interessant bezüglich der formalen Entfaltung dieses Amtes und greifen kreativ katholische theologische Traditionen auf.
These 122 bekennt sich zur Vollmacht des Amtes aus sich selbst und erklärt, dass "ein höchstes Amt seine Vollmacht 'ex sese, non ex consensu ecclesiae' habe (Vaticanum I, Denz. 3074), läßt sich im Sinne der Eigenständigkeit des Verkündigungsamtes gegenüber den Wünschen der Gemeinde [...] verstehen." Das meint eindeutig keine Demokratisierung, auch wenn der Autor sich für eine "angemessene Mitwirkung" (These 106) der Gläubigen bei der Besetzung und Gestaltung der Ämter stark macht, sondern den Selbststand des Amtes aus den Kriterien der Botschaft Christi heraus (in den Thesen 115-119 betont er die notae ecclesiae Apostolizität, Katholizität, Heiligkeit und Einheit als Kriterien kirchlicher Ämter).
In These 123 betont er als Gegenstück dazu ein "Recht zur Kritik an der Amtsführung" – denn nicht aus dem Konsens der Kirche, wohl aber der Kirche verantwortlich ist dieses Amt.
Umgang. Ökumenische Kapelle der Versöhnung.
Berlin-Mitte, 2014.
Auch die Unfehlbarkeit bestätigt Pannenberg auf eigene Weise, so wie es später auch von den Thelogen von Farfa Sabina aufgenommen werden wird: "Die Christenheit und auch ihre Ämter, sofern ihre Träger im Sinne ihres Amtes handeln, wird nicht als ganze von er Wahrheit Gottes abirren, die sie im Glauben ergreift, obwohl einzelne Glieder abfallen und auch Amtsträger, wo sie ihr Amt nicht seiner Sendung gemäß wahrnehmen, irren können." (These 124)
Gott also hält seine Kirche in der Wahrheit. So und nicht anders ist ja auch das Konzilsdekret des I. Vatikanums zu verstehen, denn die Unfehlbarkeit mit den vielen dort genannten Einschränkungen kann ja nicht als persönliche Qualität oder Leistung des Amtsträgers angesehen werden.

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Was sich aus diesen theologischen Gedanken Pannenbergs ökumenisch machen ließe und was das kirchenrechtlich bedeuten würde, steht auf einem anderen Blatt. Wichtig finde ich, dass solche Gedanken als Anstöße in Erinnerung bleiben. Denn der ökumenische Dialog kann diese Hinweise von den verschiedensten Konfessionen gebrauchen, wenn er sich mit den eigenen oder gegenüber den anderen Mitchristen auseinandersetzen will. Für mich ist es ein Hoffnungszeichen – da denkt einer nicht über die anderen hinweg, sondern erkennt im Verbindenden den Denkanlass. Ich bin überzeugt: solche Irritationen und schönen Überraschungen können dem ökumenischen Prozess auf die Sprünge helfen und Vertrauen wachsen lassen.
Für mich bleiben vor allem: Ämter sind Dienst an der Mündigkeit und das Wecken des Bewusstseins der schon gegebenen Einheit.

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Als Nachsatz noch eine kurze Markierung, warum ich persönlich die Beschäftigung mit dem Thema Papstamt aus ökumenischer Perspektive überhaupt für wichtig halte: Die eher katholische Ausrichtung auf das Momentum kirchlicher Einheit ist mir eigen, auch und gerade wenn ich keine ultramontane Fixierung an mir feststellen kann. Abseits von einer Zerrgestalt des Katholischen, wie gedanklicher und praktischer Gleichmacherei unter einem monarchischen Souverän in Rom, halte ich es für wichtig, dass die Christenheit wahrgenommen werden kann als eine – in all ihren unterschiedlichen Facetten, wie sie im Nahen Osten anders als in Südamerika, den USA oder in Südkorea auftritt. Diese Wahrnehmbarkeit muss, theologisch gesprochen, auch strukturell sichtbar werden, sich inkarnieren oder symbolisch in Erscheinung treten, sie kann nicht nur ideell gemeinte Einheit sein, die vom Belieben der jeweiligen Gruppierung abhängt. Darum die Option für ein "Amt" der Einheit, das diese vielleicht nicht garantieren kann, aber doch stärken – bei aller sinnvollen und nötigen Vielfalt von weiteren Meinungen in Glaubensfragen. 

Strick zur Glocke. St. Anna, Neukölln, Berlin, 2014.


1   W. Pannenberg, Thesen zur Theologie der Kirche. München 1970.


2   Ebd., 3ff.