Wenn ich meine Schülerinnen und
Schüler frage, warum an den Sonntagen in der Fastenzeit nicht
gefastet wird, ist meist nicht bekannt, dass oder gar warum das so
ist. Auch Erwachsene halten das "Fastenbrechen" am Sonntag
oft für inkonsequent oder eine fast schon unmoralische Erleichterung
– wenn sie fasten, möchten sie ihr Experiment lieber
ununterbrochen "durchziehen".
Dabei hat die Fastenzeit offiziell 40
Tage und wer vom Aschermittwoch ab rechnet, wird feststellen, dass es
bis Ostern 46 Tage sind, die sechs Fastensonntage also nicht als
Fasttage mitgezählt werden.
Warum aber wird sonntags nicht
gefastet?
Stehende. Georg-Kolbe-Museum, Charlottenburg, Berlin, 2015. |
Wer sich an die Bedeutung des Sonntags
erinnern will, dem geht es, wie wiederum auch meinen Schülerinnen
und Schülern, wohl oft so, dass der Ruhetag nach Gottes
Schöpfungswerk ein bekanntes Thema ist. Nicht zu arbeiten, weil Gott
es nicht tat, ist einsichtig. Auch der Auszug aus Ägypten als von
der Knechtschaft befreiender Sabbatgrund ist bisweilen bekannt.
Dass wir als Christen den Sonntag aber
in erster Linie feiern, weil ein neutestamentliches Ereignis, nein,
DAS Ereignis im Neuen Testament erinnernd begangen wird, gerät nach
meiner Erfahrung etwas aus dem Blick.
Denn jeden Sonntag feiern wir nicht nur
Advent, sondern auch Ostern. Selbst in der "vorösterlichen Bußzeit",
der Vorbereitungszeit auf Ostern, wird Ostern selbst jeden Sonntag
gefeiert.
Im Evangelium des heutigen Sonntags
wird das besonders deutlich. Die Bergtour,
die Jesus mit einigen Jüngern unternimmt, zeigt den Jüngern schon
mitten im Leben des Rabbis aus Nazareth seine wahre Herkunft,
Gegenwart und Zukunft. In der Verklärung zeigt sich der vorgreifende
Glanz der Auferstehung. Es ist das Leben der Herrlichkeit, die
erfüllte Zeit, die Jesus bringt, Jesu Stehen in der Tradition der
Propheten und Führer Israels, das ewige Leben als Sein mit dem Gott
der Lebenden (Mk 12,27), die letzte Verwandlung und Durchleuchtung
allen Lebens mit Gott selbst.
Jeden Sonntag können wir in der
Liturgie schon eintreten in diese erfüllte Zeit, wenn
sich in der manchmal doch recht tristen Gestalt unserer
Sonntagsgemeinden der Himmel über allen öffnet und Gott uns wie
Jesus auf dem Berg der Verklärung zusagt:
"Ihr seid meine geliebten Kinder,
die ich niemals ins Nichts fallen lasse. Ihr seid mir so wertvoll,
dass ich Euer Leben mit dem Leben meines Sohnes bereichern und
erfüllen will, bis ich euch am Ende ganz in mein Leben hineinziehe.
Den Vorgeschmack dessen schenke ich euch in der Feier der
Auferstehung, die die Auferstehung in ein gänzlich anders-neues
Leben ist, in mein Leben. Ihr tretet ein in dieses Leben, wenn ihr
mich hört in meinem Sohn, wenn ihr mich empfangt in seinem Leib und
Blut und wenn ihr die Versöhnung, die ich schenke, in eurem Leben
Früchte tragen lasst."
Wer das ansatzweise spürt, wird feiern
und kann nicht fasten.
Aufsteigend. St. Nicolai, Wismar, 2014. |