Samstag, 21. Februar 2015

"Gott gottungleich" bei Jan Twardowski - Über Distanzlosigkeit

Die beginnende Fasten- oder Passionszeit stellt Jesu leidende Menschlichkeit in den Mittelpunkt des liturgischen Gedenkens. Als ganz auf der Seite der Menschen Stehender nimmt er jede Distanz zwischen Gott und seinen Geschöpfen fort.
Aber kommt Gott so auch heute noch an? Macht die Distanzlosigkeit Gottes ihn in Jesus nicht verletzbar, zum Beispiel durch religiöse Satire und ihre ganz anders geartete Distanzlosigkeit?

Haus, hüllenlos. Am Kaisersteg, Oberschöneweide, Berlin, 2014.
Sicher können die religiösen Gefühle der Gott verehrenden Menschen angegriffen werden, Gott selbst aber hat das alles schon einmal durch - die Aussetzung war ja der Sinn des Ganzen. Christen auf der ganzen Welt neigen sich inzwischen vor dem Kreuz, mit dem die Römer nicht ihresgleichen, sondern nur Verurteilte ohne römisches Bürgerrecht in einer besonders grausamen und demütigenden Weise hinrichteten, so ist religiöse Distanzlosigkeit schon am Ausgangspunkt des Christentums angelegt: Gott entledigt sich freiwillig jeder Distanz und wird "den Menschen gleich", letztlich sogar "bis zum Tod am Kreuz" (Phil 2,7.8). Das konnten die Römer zwar brutal auf die Spitze treiben, angelegt ist diese Haltung jedoch schon in der Menschwerdung.
Ein wenig distanzlos-blasphemisch klingt der letzte Vers des folgenden Gedichtes, in dem Jan Twardowski persönlich bekennt, warum er Christus im christlichen Gottesdienst verehrt.

DESHALB1

Nicht deshalb weil Du vom grab erstanden bist
nicht deshalb weil Du in den himmel gefahren bist
sondern deshalb weil man Dir ein bein stellte
Dich ins gesicht schlug,
nackt auszog
Du Dich am kreuz krümmtest wie der reiher den hals
dafür daß Du wie Gott gottungleich starbst
ohne medizin und nasses handtuch um den kopf,
dafür daß Deine augen größer waren als der krieg
wie die der gefallenen im graben mit dem vergißmeinnicht -
deshalb weil ich Dich schmutzig von tränen
beständig in der messe erhebe
wie ein lamm dem man die ohren langzieht

Nicht die rettend-auftrumpfende und den irdischen Tod besiegende Göttlichkeit ist es, die den Dichterpriester überzeugt, sondern die Leidensfähig- und -willigkeit Christi. Seine Angleichung an die Opfer von Krieg und Gewalt, wie wir sie zur Zeit wieder ganz nah vor uns stehen. Völlig ausgeliefert und hilflos zeigt er sich – "wie Gott gottungleich" – "jak Bóg niepodobny do Boga" umschreibt es Twardowski paradox.
Diese Nähe Gottes, diese Hingabefähigkeit Jesu machen die Liebe wirklich göttlich – eine Liebe, die sich zeigt in dem kleinen Brotstück, das hochgehoben wird.
Durch diese göttliche Liebe und mit ihr und in ihr wird uns Heil geschenkt. Jesus nimmt alle Distanz weg, wenn er so stirbt - und so für uns lebt.

Leider nur, so deute ich die letzte Zeile, verkommt dieses Hochheben manches Mal zum menschlichen Überheben und damit zum Verheben, zur distanzlosen Anmaßung, die Menschen nicht zukommt, weil der sich erniedrigende Gott gar nicht erhoben werden muss.

Obstfall. Rixdorf, Berlin, 2015.

1   J. Twardowski, Bóg prosi o miłość. Gott fleht um Liebe. Ausgewählt und bearbeitet von Aleksandra Iwanowska. Krakau 2000, 147.