Die beginnende Fasten-
oder Passionszeit stellt Jesu leidende Menschlichkeit in den
Mittelpunkt des liturgischen Gedenkens. Als ganz auf der Seite der
Menschen Stehender nimmt er jede Distanz zwischen Gott und
seinen Geschöpfen fort.
Aber kommt Gott so auch heute noch an? Macht die Distanzlosigkeit Gottes ihn in Jesus nicht verletzbar, zum Beispiel durch religiöse Satire und
ihre ganz anders geartete Distanzlosigkeit?
Haus, hüllenlos. Am Kaisersteg, Oberschöneweide, Berlin, 2014. |
Sicher können die
religiösen Gefühle der Gott verehrenden Menschen angegriffen werden,
Gott selbst aber hat das alles schon einmal durch - die Aussetzung war ja der Sinn des Ganzen. Christen auf der
ganzen Welt neigen sich inzwischen vor dem Kreuz, mit dem die Römer nicht
ihresgleichen, sondern nur Verurteilte ohne römisches Bürgerrecht
in einer besonders grausamen und demütigenden Weise hinrichteten,
so ist religiöse Distanzlosigkeit schon am Ausgangspunkt des Christentums angelegt: Gott entledigt sich freiwillig jeder Distanz und wird
"den Menschen gleich", letztlich sogar "bis
zum Tod am Kreuz" (Phil 2,7.8). Das konnten die Römer zwar brutal auf die Spitze treiben, angelegt ist diese Haltung jedoch schon in der Menschwerdung.
Ein wenig distanzlos-blasphemisch
klingt der letzte Vers des folgenden Gedichtes, in dem Jan Twardowski
persönlich bekennt, warum er Christus im christlichen Gottesdienst
verehrt.
DESHALB1
Nicht deshalb weil Du vom
grab erstanden bist
nicht deshalb weil Du in
den himmel gefahren bist
sondern deshalb weil man
Dir ein bein stellte
Dich ins gesicht schlug,
nackt auszog
Du Dich am kreuz
krümmtest wie der reiher den hals
dafür daß Du wie Gott
gottungleich starbst
ohne medizin und nasses
handtuch um den kopf,
dafür daß Deine augen
größer waren als der krieg
wie die der gefallenen im
graben mit dem vergißmeinnicht -
deshalb weil ich Dich
schmutzig von tränen
beständig in der messe
erhebe
wie ein lamm dem man die
ohren langzieht
Nicht die
rettend-auftrumpfende und den irdischen Tod besiegende Göttlichkeit
ist es, die den Dichterpriester überzeugt, sondern die Leidensfähig-
und -willigkeit Christi. Seine Angleichung an die Opfer von Krieg und
Gewalt, wie wir sie zur Zeit wieder ganz nah vor uns stehen. Völlig
ausgeliefert und hilflos
zeigt er sich – "wie Gott
gottungleich" – "jak
Bóg niepodobny do Boga" umschreibt
es Twardowski paradox.
Diese Nähe Gottes,
diese Hingabefähigkeit
Jesu machen die Liebe wirklich göttlich – eine Liebe, die sich zeigt in
dem kleinen Brotstück,
das hochgehoben wird.
Durch diese göttliche Liebe
und mit
ihr und in ihr wird uns Heil geschenkt. Jesus nimmt alle Distanz weg, wenn er so stirbt - und so für uns lebt.
Leider nur, so deute ich die
letzte Zeile, verkommt dieses Hochheben manches Mal zum menschlichen
Überheben und damit zum Verheben, zur distanzlosen Anmaßung, die Menschen nicht
zukommt, weil der sich erniedrigende Gott gar nicht erhoben werden
muss.
Obstfall. Rixdorf, Berlin, 2015. |
1 J.
Twardowski, Bóg prosi o miłość. Gott fleht um Liebe. Ausgewählt
und bearbeitet von Aleksandra Iwanowska. Krakau 2000, 147.