Dienstag, 3. März 2015

"Der Herr zeige es euch" – Über die Gewissensprüfung

Am letzten Sonntag waren die Erstkommunionkinder in Vorbereitung auf ihr großes Fest aufgefordert, sich im Gottesdienst die Dialoge zwischen dem Liturgen und den Gläubigen zu notieren. Manche machten das sehr pflichtbewusst, andere eher lässig. Als ich einen Blick auf einen der Zettel warf, las ich "Der Herr zeige es euch" und musste grinsen. Da war wohl etwas durcheinander geraten, denn das hatte der Priester sicher nicht gesagt.

Was geschieht hier?
Regierungsviertel, Berlin-Mitte, 2014
Gut ignatianisch geschult versuchte ich aber, "die Aussage des Nächsten zu retten"1 und den richtigen Kern in der Notiz zu finden.

So kam ich auf die Frage der Gewissensprüfung.
Diese wird ja mit gutem Grund als eine Rechenschaft gegenüber Gott und sich selbst besonders in der Vorbereitung auf hohe kirchliche Feste praktiziert, um Geist und Gewissen vor der Feier zu prüfen und zu reinigen. Doch ist es letztlich nicht die menschliche Willensanstrengung, durch die es zur guten Erkenntnis dessen kommt, was an der Gemeinschaft mit Gott hindert, sondern die erleuchtende Gnade des göttlichen Geistes.

So könnte ein wohlmeinendes "Der Herr zeige es euch" verstanden werden als guter Wunsch, dass Gott uns auf das hinweisen möge, was im Argen liegt und vor ihn gebracht werden sollte, um nicht in den hinteren Kammern unseres Geistes zu vermodern und irgendwann unseren Alltag zu verpesten.

Mögliche Fragen einer Gewissensprüfung findet man in der konkreten Beichtvorbereitung, während ignatianischer Exerzitien, in einem Tagesrückblick oder eben in der Fastenzeit (so auch hier schon). Auch der im Blog schon öfter zu Wort gekommene polnische Priester und Dichter Jan Twardowski hat eine originelle Gewissensprüfung notiert, in der er subtile Verdrehungen und Zweideutigkeiten unseres Alltags klar und schonungslos offenlegt und als Selbstbetrug oder Scharlatanerie benennt.

Gewissensprüfung2

Überschrie ich Dich nicht
kam ich nicht ständig als der von gestern zu Dir
floh ich nicht in dunkles weinen mit meinem herz ganz bei trost
stahl ich Dir nicht Deine zeit
leckte ich nicht allzu sanft die pfoten meines gewissens
unterschied ich das gefühl
hißte ich nicht sterne die es längst nicht mehr gab
führte ich nicht ein elegantes tagebuch über meine klagen
verkroch ich mich nicht in den warmen winkel meiner empfindsamkeit aus gänsehaut
sang ich nicht mit schöner stimme falsch
war ich nicht ein weicher despot
formte ich nicht das evangelium zur sanften mär
überklang die orgel nicht das gewöhnliche jungehundeheulen
bewies ich nicht den elefanten
wollte ich nicht im gebet zu meinem schutzengel vielleicht engel sein nicht beschützer
kniete ich als du flüsterklein wurdest

Ein bedenkenswerter Gebetsmonolog – ich möchte aktuellerweise hinzufügen: 

Was wirft seine Schatten auf mich?
Verstummte ich, als mein Aufstehen für Frieden und Gerechtigkeit nötig war;
hegte ich nicht leise Ressentiments gegen die mitgebrachte Kultur der Flüchtlinge;
schürte ich das ideologisierte Lagerdenken in unserem Land, das zu weiterem Misstrauen führt;
verteidigte ich das Recht auf weibliche Selbstbestimmung auf Kosten des ungeborenen Lebens;
fehlte mir nicht das Vertrauen in Deine Führung während meiner inneren Krisen – wo wird es sein in der Stunde meines Todes;
war das Smartphone mir nicht zu oft näher als Du;
zog ich mich nicht zu sehr in meinen privaten Rahmen zurück, als die Welt brannte;
verließ mich die Hoffnung gerade dann, wenn Du mir wirklich etwas zutrauen wolltest
...

Zur persönlichen Erweiterung.


1   Ignatius v. Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978, No. 22.

2   J. Twardowski, Bóg prosi o miłość. Gott fleht um Liebe. Ausgewählt und bearbeitet von Aleksandra Iwanowska. Krakau 2000, 19.