Am letzten Sonntag waren die
Erstkommunionkinder in Vorbereitung auf ihr großes Fest
aufgefordert, sich im Gottesdienst die Dialoge zwischen dem Liturgen
und den Gläubigen zu notieren. Manche machten das sehr
pflichtbewusst, andere eher lässig. Als ich einen Blick auf einen
der Zettel warf, las ich "Der Herr zeige es euch" und
musste grinsen. Da war wohl etwas durcheinander geraten, denn das
hatte der Priester sicher nicht gesagt.
Was geschieht hier? Regierungsviertel, Berlin-Mitte, 2014 |
Gut ignatianisch geschult versuchte ich
aber, "die Aussage des Nächsten zu retten"1
und den richtigen Kern in der Notiz zu finden.
So kam ich auf die Frage der Gewissensprüfung.
So kam ich auf die Frage der Gewissensprüfung.
Diese wird ja mit gutem Grund als eine
Rechenschaft gegenüber Gott und sich selbst besonders in der
Vorbereitung auf hohe kirchliche Feste praktiziert, um Geist und
Gewissen vor der Feier zu prüfen und zu reinigen. Doch ist es
letztlich nicht die menschliche Willensanstrengung, durch die es zur
guten Erkenntnis dessen kommt, was an der Gemeinschaft mit Gott
hindert, sondern die erleuchtende Gnade des göttlichen Geistes.
So könnte ein wohlmeinendes "Der
Herr zeige es euch" verstanden werden als guter Wunsch, dass
Gott uns auf das hinweisen möge, was im Argen liegt und vor ihn
gebracht werden sollte, um nicht in den hinteren Kammern unseres
Geistes zu vermodern und irgendwann unseren Alltag zu verpesten.
Mögliche Fragen einer Gewissensprüfung
findet man in der konkreten Beichtvorbereitung, während
ignatianischer Exerzitien, in einem Tagesrückblick oder eben in der
Fastenzeit (so auch hier schon). Auch der im Blog schon öfter zu
Wort gekommene polnische Priester und Dichter Jan Twardowski hat eine
originelle Gewissensprüfung notiert, in der er subtile Verdrehungen
und Zweideutigkeiten unseres Alltags klar und schonungslos offenlegt
und als Selbstbetrug oder Scharlatanerie benennt.
Gewissensprüfung2
Überschrie ich Dich nicht
kam ich nicht ständig als der von
gestern zu Dir
floh ich nicht in dunkles weinen mit
meinem herz ganz bei trost
stahl ich Dir nicht Deine zeit
leckte ich nicht allzu sanft die
pfoten meines gewissens
unterschied ich das gefühl
hißte ich nicht sterne die es
längst nicht mehr gab
führte ich nicht ein elegantes
tagebuch über meine klagen
verkroch ich mich nicht in den
warmen winkel meiner empfindsamkeit aus gänsehaut
sang ich nicht mit schöner stimme
falsch
war ich nicht ein weicher despot
formte ich nicht das evangelium zur
sanften mär
überklang die orgel nicht das
gewöhnliche jungehundeheulen
bewies ich nicht den elefanten
wollte ich nicht im gebet zu meinem
schutzengel vielleicht engel sein nicht beschützer
kniete ich als du flüsterklein
wurdest
Ein bedenkenswerter Gebetsmonolog –
ich möchte aktuellerweise hinzufügen:
Was wirft seine Schatten auf mich? |
Verstummte ich, als mein Aufstehen für
Frieden und Gerechtigkeit nötig war;
hegte ich nicht leise Ressentiments
gegen die mitgebrachte Kultur der Flüchtlinge;
schürte ich das ideologisierte
Lagerdenken in unserem Land, das zu weiterem Misstrauen führt;
verteidigte ich das Recht auf weibliche
Selbstbestimmung auf Kosten des ungeborenen Lebens;
fehlte mir nicht das Vertrauen in Deine
Führung während meiner inneren Krisen – wo wird es sein in der
Stunde meines Todes;
war das Smartphone mir nicht zu oft
näher als Du;
zog ich mich nicht zu sehr in meinen
privaten Rahmen zurück, als die Welt brannte;
verließ mich die Hoffnung gerade dann,
wenn Du mir wirklich etwas zutrauen wolltest
...
Zur persönlichen Erweiterung.
1 Ignatius
v. Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978,
No. 22.
2 J.
Twardowski, Bóg prosi o miłość. Gott fleht um Liebe. Ausgewählt
und bearbeitet von Aleksandra Iwanowska. Krakau 2000, 19.