1
Wenn Christen auf der ganzen Welt in
diesen Tagen des Leidens Jesu und seines Todes am Kreuz gedenken,
können viele von ihnen diese Passion aus ganz persönlichen Gründen
mitvollziehen und sich mit ihrer Lebenssituation wiederfinden im
Schmerz Jesu und in der Trauer der Jünger.
Den Tränenstrom löschen. Dahlem, Berlin, 2014. |
2
Colin Powell hatte sich in der
Begründung des Irakkrieges um Kopf und Kragen geredet. George Packer
erzählt vom Leben dieses vormaligen Ausnahmepolitikers und schließt
mit Aussagen zu diesem Krieg: "Der Krieg begann, und der
Präsident sagte, er schlafe wie ein Baby. Ich schlafe auch wie ein
Baby, sagte der Minister, alle zwei Stunden wache ich auf uns habe
einen Heulkrampf."1
3
Der elterliche Blick auf das Leiden des
eigenen Kindes weckt tiefe, teils krisenhafte Emotionen. Sei das
Weinen und Schreien nun nachvollziehbar oder ohne äußerlich
erkennbaren Anlass, seien die Eltern abgestumpft, überfordert oder
ermattet – es ist ihre liebevolle Zuwendung, die zwar nicht immer
die ersehnte Tröstung bewirkt, trotzdem aber und gerade dann die
einzig sinnvolle Reaktion darstellt.
4
Leidet der Vater im Himmel mit seinem
Sohn Jesus Christus? Scheinbar tut er nichts, scheinbar lässt er
geschehen, scheinbar ist er weit entfernt. Mel Gibson wagt in "Die
Passion Christi" eine starke Deutung, wenn er das Ende der
Kreuzigung aus der "Gottes"-Perspektive filmt und dabei
einen Regentropfen sich wie eine Träne vom Auge der Kamera lösen
lässt, woraufhin dieser Tropfen, alles erschütternd, auf die Erde
fällt.
5
Am Ende der Tage schließlich wird
dieser Gott, so verheißt es der Prophet Jesaja, alle Tränen von den
Gesichtern abwischen, den Tod für immer beseitigen (Jes 25,8) und
ein Festmahl feiern für alle Völker ausrichten (Jes 25,6).
6
Die Auferstehung Jesu wird nach
Ignatius von Loyola zu einem Vorgriff auf Gottes versprochenen Trost.
Denn wenn der Betende die Erscheinung des auferstandenen Jesus vor
den Seinen betrachtet, dann soll er sich danach auf sich selbst
zurückbesinnen, "Nutzen ziehen" aus dem Geschauten oder
Gehörten und anschließend "das Amt zu trösten anschauen,
das Christus unser Herr bringt, und dabei vergleichen, wie Freunde
einander zu trösten pflegen."2
7
Doch was bedeutet dieser göttliche
Trost? – "Macht Gott glücklich? Macht er glücklich im
Sinn eines sehnsuchts- und leidfreien Glücks? Eines sich selbst
genügenden und sich selbst gehörenden Glücks? Schenkt der biblisch
inspirierte Glaube gelassene Selbstversöhntheit? Ein Wissen um uns
sebst, ohne etwas beunruhigend zu vermissen? Ich zweifle."3
8
Der hier fragende und zweifelnde Johann
Baptist Metz befindet, dass "Gott um Gott zu bitten"4
sei, mit der Bitte "sis mihi Deus"5
– "Sei mein Gott". Das verbürgt noch nicht in sich
selbst Trost, lässt aber "die gefährliche Erinnerung an die
Botschaft und den Weg Jesu wagen"6
und befähigt zur Compassion, für die sich im Anschluss an Mt 25
"die Autorität Gottes in der Autorität der Leidenden"7
manifestiert: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder
getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,38)
Tröster? Westend, Berlin, 2014. |
9
Gott lässt sich also im menschlichen
Leid und in menschlicher Klage finden, "Er hat sein ewiges
Wort Fleisch werden lassen, daß es in diesem ersterbenden Klagechor
mitweine: Herr, laß Dein Reich kommen, das Reich, in dem alle Träume
versiegen und Du das Weinen der Armen und den Notschrei aller
menschlichen Qual erhörst. Das ewige Wort des göttlichen Jubels ist
zeitlicher Schrei der menschlichen Not geworden und hat so unter uns
gewohnt."8
10
Doch Christus ist auch als unser
Tröster gekommen, es ist nach Ignatius sogar sein "Amt",
also die ihm übertragene Aufgabe, sein ausgeübter Dienst, seine
Stellung im Gefüge der Welt, seine Bestimmung, diesen "göttlichen
Jubel" anklingen zu lassen in unserem Leben.
11
Denn der Auferstandene kommt den mit
Trauer Beladenen nahe, wie er es in der Bergpredigt angekündigt
hatte: "Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet
werden" (Mt 5,4). Die Jünger scheinen ebensowenig wie die
Frauen mit seinem Wiederkommen zu rechnen, ihre Offenheit für das
Trostgeschenk musste erst mühevoll errungen werden, wie die
Geschichten der Emmausjünger und des zweifelnden Thomas zeigen.
12
Ich persönlich hoffe, dass auch
diejenigen, die Kriege anzetteln, Gottes leidende Gegenwart in den
Leidenden entdecken können, damit im Angesicht dieses doppelten
Leidens ihre Trauer angesichts dieser Schuld erwacht, dass sie dann
aber auch, wenn sie nachts weinend erwachen, irgendwann ihren Trost
finden.
13
Denn in unseren Wüsten aus Leid und
Schuld, Schmerz und Trauer, Tränen und Klagen entstehen neue Wege
(vgl. Jes 43,19), das Kreuz öffnet unsere Augen für den leidenden
Nächsten, im Ostergeheimnis erfahren wir Gottes liebevolle Nähe, in
Feuer und Wasser wird uns das Leben erneuert.
14
Denn die Zukunftserwartungen der
Offenbarung ragen schon in unsere Zeit: "Er wird in ihrer
Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er, Gott, wird bei
ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod
wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn
was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach:
Seht, ich mache alles neu." (Off 21,4f)
Alles neu. Atelierhaus Prenzlauer Promenade, Pankow, Berlin, 2015. |
1 Zit. n. G.
Packer, Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika.
Frankfurt a.M. 2014, 188.
2 Ignatius
v. Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978,
No. 224, vgl. No. 194.
3 J.B.
Metz, Memoria Passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in
pluralistischer Gesellschaft. 3. durchgesehene und korrigierte
Auflage, Freiburg i.Br. 2006, 103.
4 Ebd.,
u.ö.
5 Ebd.,
96.
6 Ebd.,
105.
7 Ebd.,
106.
8 K.
Rahner, Von der Not und dem Segen des Gebetes. Freiburg i.Br. 1958,
86f.