In den letzten Tagen haben die hohen
Kirchenaustrittszahlen
von 2019 für einen Schock in der kirchlichen (Medien-)Landschaft
gesorgt.
270000 Menschen sind allein im letzten, an kirchlichen
Skandalen immerhin nicht besonders reichen Jahr, aus der katholischen Kirche ausgetreten. Ebenso viele aus der evangelischen. Dass es
so viele waren, erschreckt manche bis ins Mark: Sind wir so wenig
einladend?
Ich persönlich glaube, dass sich da
nur etwas deutlich zeigt, was bei den meisten der Menschen innerlich
sowieso schon passiert war: Es ist die Abwendung von einer
Institution, der man (jedenfalls im Westen Deutschlands) lange Zeit
qua "normaler" Sozialisation angehörte. Ohne eigenen
Entschluss. Bei Wegzug aus dem heimatlichen Umfeld fiel der Kontakt
zur Kirche oft auch weg. Eine Art individueller Selbstaufklärung.
Religion war schon lange irrelevant.
Ist die Darstellung dieser bislang
verborgenen Realität in sichtbaren Austritten nun etwas schlechtes?
Ich glaube nicht. Es ist eine Offenlegung.
Leere Stühle, leere Mitte. Neukölln, 2020. |
Wer die Kirche sonst nicht betreten
hat, der würde auch mit einem Hyper-Reformpapst, einem bahnbrechend
demokratischen Synodalen Weg oder grundlegenden Reformen nicht mehr
erreicht werden.
Der Kern der Kirche nämlich ist der Glaube – und
wenn der verschwunden ist, wie es viele der Ausgetretenen angeben,
dann hält auch die menschenfreundlichste Institution niemanden mehr
auf Dauer.
Vor diesem Hintergrund hören wir
verbliebenen Kirchgängerinnen oder Blogleser nun Jesu Einladung im
Sonntagsevangelium
(Mt 11,25-30):
"Kommt alle zu mir, die ihr
mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken." (v28)
Wenn sie nun aber nicht kommen, sondern
gehen? Dann gilt die Einladung trotzdem.
Ich komme aus der ehemaligen DDR. Hier
waren Christen immer in der absoluten Minderheit (einzelne Enklaven
ausgenommen). Die so lange Beladenen, die Christen geblieben waren,
haben die Kirchen nach der Wende nur noch schneller verlassen.
Meine berufliche Erfahrung in der
Gefängnisseelsorge ist von Menschen geprägt, die in ihrem Leben vor
der Inhaftierung fast nie etwas mit Kirche zu tun hatten. Oder die
nur während ihrer verschiedenen Haftzeiten mal Kontakt mit einem
Kirchenvertreter aufgenommen haben. (Die wenigen Katholiken sprechen
oft andere Sprachen oder wollen mit mir / der Kirche nichts zu tun
haben.)
Wenn ich also predige, dann predige ich
in der Regel nicht vor einem katholischen Publikum. Und trotzdem
würde ich diesen Satz dort mit vollem Ernst aussprechen.
Denn auch wer nie Kontakt mit der
Kirche hatte oder wer von ihr enttäuscht ist; wer ihr den Rücken
gekehrt hat oder wer nie gelernt hat, persönlichen Kontakt mit Gott
aufzunehmen; wer keinen Platz für Gott hat in seinem Leben – jeder
Mensch ist eingeladen, sich neu erquicken zu lassen.
Und es muss ihm immer wieder angeboten
werden, auch wenn die Kirche die Botschaft von Jesus und seinen
Lebensstil vielfach nicht überzeugend ausstrahlen kann.
Keiner muss, jeder kann.
Für manche wird diese Einladung
vielleicht irgendwann einmal nach einem Kirchenaustritt wichtig, für
andere eventuell bei einer Inhaftierung, für wieder andere niemals
wirklich.
Und was daraus folgt, wenn einer diese
Einladung Jesu hört, ist auch wieder sehr offen. Die alte Diskussion
um "Jesus ja – Kirche nein", die sich hier anschließen
könnte, mag ich gar nicht eröffnen.
Aber ich vertraue darauf: Gott findet
seine Wege, um uns zu erquicken – verborgen oder offen, in der
Kirche oder außerhalb.
Erquickung naht. Usedom, 2020. |
Das ist scön gesagt, lieber Kollegen, und kommt auch ehrlich rüber. Dennoch: https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/05/05/die-kirche-braucht-hilfe-um-wieder-ehrlich-zu-werden/
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