Freitag, 31. Juli 2020

Shutdown für Ignatius. Über die Neuordnung des Lebens

Es war fast der größtmögliche Schaden, den es für einen aufstrebenden Ritter überhaupt geben konnte: Als Ignatius von Loyola 1521 mit einer kleinen Schar von Mitstreitern die Festung von Pamplona vor der Übernahme durch die französische Übermacht bewahren wollte, zerschmetterte ihm eine Kanonenkugel das Bein. All sein höfischer Ehrgeiz, seine Eitelkeit und sein Streben nach Fortkommen durch Kampf und Kraft war von einem Moment auf den nächsten dahin.
Nachdem der Schwerverletzte ins heimatliche Schloss nach Loyola zurück transportiert worden war, begann die lange Zeit der Heilung (mehr zu seinem Leben hier).
Für Ignatius war es eine Art Shutdown, den er brauchte, um sein Leben neu zu ordnen.

Am heutigen Fest des Heiligen spricht mich besonders das Thema von Krankheit und Heilung, von altem und neuem Leben (natürlich mit Blick auf die coronabedingten Irritationen und Neuordnungen) an.

Auf den Haufen geworfen.
Linum, 2018.
1.
Am Beginn der Neuordnung stand allerdings der Wunsch des Kranken, sein Bein nach fast erfolgter Genesung noch einmal brechen zu lassen, "denn der Knochen trat dort so hervor, dass es eine häßliche Sache war."1 Eben wegen dieser drohenden Hässlichkeit seiner neuen Existenz litt Ignatius noch einmal fürchterliche Schmerzen für die Neuausrichtung. Im Rückblick sieht er darin seine eigene Egozentrik am Werk.
Dass es mit dem alten Leben aus war, konnte er nicht akzeptieren, ein neues Leben konnte er sich nicht vorstellen. An diesem Punkt stehen wir in den Umbrüchen unserer Zeit weitestgehend – mit Corona, mit der Klimakrise, mit vielen anderen Themen. Es ist eine Zwischenzeit, die wir aushalten müssen.

2.
Nach diesem letzten Versuch einer physisch erzwungenen Rückkehr in Richtung altes Leben beginnt – die große Langeweile. In seinem in der dritten Person gehaltenen "Bericht des Pilgers" beschreibt er das:
"Und allmählich befand er sich so gut, daß er in allem sonst gesund war und sich nur nicht gut auf dem Bein halten konnte. Und so war er gezwungen, im Bett zu bleiben. Und weil er der Lektüre von weltlichen und falschen Büchern sehr ergeben war, die man Ritterromane zu nennen pflegt, bat er, als er sich gut fühlte, man möge ihm einige davon geben, um die Zeit zu verbringen. Doch in jenem Haus fand sich keines von denen, die er zu lesen pflegte."2
Ich fürchte mich sehr vor solchen Situationen, in denen plötzlich gute Lektüre fehlt. Darum habe ich in der Regel irgendwas zum Lesen dabei. Aber für den heiligen Ignatius war genau das Fehlen dessen, was er suchte, ein Segen – für sein restliches Leben, für die Kirche und die Welt.
Denn die frommen Bücher, die es als einzige Lektüre gab, drehten sein Leben in entscheidender Weise. Auch wenn es bis zu einer gereiften Persönlichkeit noch eine Weile dauerte und zunächst viele Irrwege im radikalreligiösen Eifer bedeutete, wurde die erzwungene Ruhe bei religiöser Lektüre zum Ausgangspunkt seines neuen Lebens.
Ich wünschte, ich hätte die Hoch-Zeit des Corona-Shutdowns auch so genutzt. Weniger Ablenkung, aber mehr geistliche Tiefe. Die Zeiten bieten zwar andere mediale Möglichkeiten, aber das erzwungene Zu-Hause-Bleiben hätte schon mehr Möglichkeiten geboten.
(Wenn es so weitergeht, werden wir demnächst ja noch einmal zu Hause bleiben müssen...)

Achtsam für den steten Tropfen.
Hedwigsfriedhof, Reinickendorf, Berlin, 2019.
3.
Zu guter Letzt: Entscheidend war für Ignatius nicht nur seine Hinwendung zur Religion. Nein, auch eine neue Sicht auf sich selbst und seine inneren Regungen gewann er durch diese Zeit auf dem Ruhelager.
Wenn er sich vorstellte, wie er ritterliche Heldentaten vollbrachte, fühlte er sich wohl. Ebenso erging es ihm bald, als er sich auf seine neuen Helden wie die Heiligen Franziskus und Dominikus konzentrierte. Während er sich nach weltlichen Träumereien aber "trocken und unzufrieden" fühlte, blieb er nach Gedanken an ein heiliges Leben "zufrieden und froh". So begann er langsam und schrittweise, "die Verschiedenheit der Geister zu erkennen, die sich bewegten".3
Dieser aufmerksame Blick für das eigene Innere und besonders dafür, was dort wirklich und langfristig tröstend und befriedigend wirkt, ist eine der großen Einladungen des Ignatius für alle, die sich mit seiner Hilfe auf einen Weg in die Nachfolge Jesu begeben.
Das war das Motto des heiligen Ignatius: Wahrnehmen, was sich bewegt und dann gut entscheiden.



(Mehr dazu in den Worten von Karl Rahner hier)

1   Ignatius v. Loyola, Bericht des Pilgers. Frankfurt a.M. 1999, No. 4.
2
   Ebd., No. 5.
3
   Ebd., No. 8.

1 Kommentar:

  1. Danke für die Erinnerung. Fast wäre mir das Ignatiusfest weggerutscht. Wir hatten es heute mehr vom Opferfest der Muslime, das heute beginnt.

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