Montag, 6. Juli 2020

Wer ist wirklich Christ? Vom christlichen Glauben als Asylgrund

Eine kurze Nachbemerkung zu den Kirchenaustritten 2019, die ich im letzten Beitrag schon thematisiert hatte.

Die innere Entfremdung vieler Christinnen und Christen von „ihrem“ Glauben setzt früher ein, als es die aktuellen Zahlen vermuten lassen. Wie Andreas Püttmann in einem Kommentar für katholisch.de darlegt, ist es angesichts der lange schon dokumentierten gesunkenen Zustimmungswerte zu zentralen christlichen Glaubensinhalten eigentlich erstaunlich, wie viele Menschen überhaupt noch in der Kirche bleiben, wenn sie deren Glauben gar nicht mehr teilen.

Es muss, das ist die logische Folge, eine Unmasse an Kirchengliedern geben, die grundlegende Überzeugungen „ihrer“ Kirche nicht teilen und deren Christsein sich auf die regelmäßige Zahlung der Kirchensteuer beschränkt. Trotzdem nennen wir sie Christen (mal abgesehen davon, dass auch Ausgetretene weiterhin Getaufte sind).

Angekommen?
Kremmener See, 2018.
Die deutschen Behörden haben aber noch einen ganz anderen Blick auf diese Problematik. Die im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bei bestimmten Asylentscheidungen darüber befinden, ob beispielsweise einer aus dem Iran geflüchteten Person, die sich in Deutschland hat taufen lassen, aus diesem Grund Asyl gewährt werden soll, da ihr im Iran Verfolgung und im schlimmsten Fall der Tod drohen.

Auf welche Weise entscheidet man darüber, ob der Asylgrund christlicher Glaube nur vorgespielt ist oder einer inneren Entscheidung entspricht? Eine nahezu unmögliche Aufgabe.

Reines Glaubenswissen kann nicht entscheidend sein, da es sich um eine über die Ratio hinausgehende gesamtmenschliche Entscheidung handelt. Fehlendes Glaubenswissen ist unter Umständen aber auch nachteilig, da die Hinwendung zum Glauben als nicht fest genug begründet angesehen werden kann.

Im ersten Newsletter des Jesuitenflüchtlingsdienstes in diesem Jahr wird der abschlägige BAMF-Bescheid eines konvertierten Afghanen zitiert:

Darin wird bezweifelt, „...dass der Antragsteller aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist und für ihn die Ausübung des christlichen Glaubens eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung darstellt (…) Der Antragsteller wirkt eher intellektuell informiert, als persönlich berührt. Es ist durchaus glaubhaft, dass die Taufe und die gemeindlichen Bindungen und Strukturen sich auf sein Leben beruhigend und ordnend ausgewirkt haben bzw. auswirken. Eine enge persönliche Gottesbindung mit dem dauerhaften, ernsthaften Bedürfnis, ein zentral christlich geprägtes Leben weiterhin in Deutschland und dann auch in der Heimat zu führen, ist bei ihm jedoch nicht überzeugend erkennbar. Es fehlt an der hinreichenden Darlegung der näheren Umstände seiner behaupteten inneren Wandlung.

Ein überzeugtes Christsein wird diesem jungen Mann also staatlicherseits abgesprochen. Das gilt auch dann, wenn davon ausgegangen werden muss, dass die auf die Taufe vorbereitenden Kirchenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nicht leichtfertig handeln und Interessierte äußerst verantwortungsvoll in die jeweilige Kirche aufnehmen. Außerdem ist die Entscheidung über die Spendung der Taufe sowieso eine genuin kirchliche Aufgabe.

Zurück zum Anfang:
Kirchenmitglieder, die oft genug ohne praktizierten Glauben leben, werden umstandslos als Christen angesehen und gezählt – getaufte Asylbewerber dagegen müssen dem Staat erst beweisen, dass sie wirklich Christen sind.

Das ist absurd!

So sehr ich mich sonst über die in Deutschland übliche Kooperation von Staat und Kirchen freue – an dieser Stelle bin ich ratlos. Immerhin gibt es inzwischen einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der die staatliche Glaubensüberprüfung etwas einschränkt.

Aber ich frage mich, was passieren würde, wenn einem bio-deutschen Katholiken folgendes Zeugnis vom Staat ausgestellt werden würde: „Eine enge persönliche Gottesbindung mit dem dauerhaften, ernsthaften Bedürfnis, ein zentral christlich geprägtes Leben … zu führen, ist bei ihm … nicht überzeugend erkennbar.

Ist Ihnen dieses Haus fromm genug?
Linum, 2018.

1 Kommentar:

  1. Die andere Variante gibt es auch: Jemand wurde im Asylverfahren abgelehnt, weil sie nicht auskunftsfähig war, was der Unterschied zwischen dem katholischen und dem evangelischen Abendmahlsverständnis ist. Ich vermute, die meisten Kirchenmitglieder wären da auch nicht so fit in dieser Fragestellung.

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