Samstag, 18. Oktober 2014

Umweht vom Heiligen – Biblisch-literarische Gedanken zum Neugeborenen

Auch wenn sich die Familiensynode des Weltepiskopats nur am Rande damit beschäftigt: Alle meine Gedanken und meine Aufmerksamkeit für kirchliche und politische Neuigkeiten sind dieser Tage durch das neue Erlebnis des Vaterseins geprägt, alles denkt sich von dort her und darauf hin. Da ist die Ruhe der ersten Tage des Willkommenheißens für mein Kind und die Zeit zum Kennenlernen ein großes Glück!

Einige Eindrücke hier:

1
Graffito, Poznan, 2014.
Elternsein heißt Gottes Mitarbeiter sein. Paulus schreibt den Korinthern: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber ließ wachsen. So ist weder der etwas, der pflanzt, noch der, der begießt, sondern nur Gott, der wachsen lässt. Wer pflanzt und wer begießt: Beide arbeiten am gleichen Werk, jeder aber erhält seinen besonderen Lohn, je nach der Mühe, die er aufgewendet hat. Denn wir sind Gottes Mitarbeiter“ (1Kor 3,6-9a) Nicht nur die Gemeindegründung und -leitung, auch die Familie als kleinster Teil der kirchlichen Gemeinschaft lebt nicht von unserem menschlichen Bemühen, sondern ist Gottes Geschenk. Wir tun das Unsere als Eltern, aber Gott ist es, der letztlich wachsen lässt.

2
Gott nährt seine Menschenkinder wie eine Mutter ihr Kind stillt: „Tu deinen Mund auf! Ich will ihn füllen.“ (Ps 81,11) Genauso wenig wie das Neugeborene müssen wir uns nicht anstrengen, damit er uns Gutes gibt, wir müssen es nur zulassen. Aber wie der winzige Kindermagen, der die Nahrung nicht kennt, müssen auch wir verdauen, was Gott uns gibt. Und das ist manchmal mühselig...

3
Wenn die Psalmisten wortreich Gottes Größe besingen, die sich an den Weiten des Alls ebenso wie am Menschen zeigt, dann sind sie sich (ebenso wie später Jesus) sicher, dass Kinder ganz von selbst Lob und Dankbarkeit in den Herzen hervorrufen. So kann ich den Lobpreis Gottes sehr gut und sehr unmittelbar nachvollziehen, der in Psalm 8 zum Ausdruck kommt: „Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob, deinen Feinden zum Trotz; deine Feinde und Widersacher müssen verstummen.“ (v 3) Wer Kleinkinder sieht, der gerät fast automatisch in staunende Freude. Das Wundern am Wunder des Lebens mag man dann naturwissenschaftlich (z.B. im Sinne des Kindchenschemas) wegerklären wollen, aber am Faktum des sich reflexhaft regenden Gefühl kommen die Wenigsten vorbei.

4
Die Sicht auf die Welt verändert sich. Bei Milan Kundera las ich neulich eine schöne Passage darüber, wie das Weltverhältnis nach einer Geburt neuen Wert gewinnt – um der Zukunft des neuen Menschen willen: „Es ist unmöglich, ein Kind zu haben und die Welt, so wie sie ist, zu verachten, denn in diese Welt haben wir es hinausgeschickt. Wegen des Kindes hängen wir an der Welt, denken an ihre Zukunft, beteiligen uns gern an ihrem Getöse, ihrem Treiben, nehmen ihre heillose Dummheit ernst.“1
Am Münchener Flughafen, Abfertigung, 2013.

5
Die beiden letztgenannten Punkte kommen in dem zusammen, was Hans Joas als Erfahrung des Sakralen beschreibt. Diese Erfahrung stellt sich gegenüber dem Kind ganz selbstverständlich ein: "Die Qualität 'Sakralität' wird Objekten spontan zugeschrieben, wenn sich eine Erfahrung eingestellt hat, die so intensiv ist, dass sie das gesamte Weltbild und das Selbstverständnis derer, die diese Erfahrung gemacht haben, konstituiert und transformiert."2
Ein transformiertes menschliches Selbstverständnis als junger Vater – dem kann ich problemlos zustimmen. Die Erfahrung des Heiligen umweht mich.

6
Das neue Leben eines Kindes ist für alle Beteiligten der Schritt ins Offene, ein neuer Anfang. In seinem schönen Buch „Orientierung am Kinde“ drückt Heinrich Spaemann das so aus: „Das Kind, das aus sich selbst noch nichts anderes gemacht und sich selbst noch nichts anderes vorgenommen hat, als was ihm zugedacht wurde, ist Prototyp des anfangenden Menschen, die Gestalt der vertrauenden und bruchlosen Offenheit für das Angebot des größeren Lebens, Prototyp der Offenheit nach oben, noch leuchtender Entwurf von „lebendiger Hoffnung.3
Ein Anfang zum größeren Leben birgt zwar Risiken, ist aber ungeheuer bereichernd. Mit Franziskus von Assisi: „Lasst uns endlich anfangen!

Bauch und Wand. Rixdorf, Berlin, 2014.


1   M. Kundera, Die Identität. 3. Aufl. München 2001, 60.

2   H. Joas, Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte. Berlin 2011, 93.


3   H. Spaemann, Orientierung am Kinde. Meditationsskizzen zu Mt 18,3. 9. Aufl. Einsiedeln 1999, 17.