"... etwas regte sich in Johns
Körper, das nicht John war. Etwas war in ihn eingedrungen, hatte ihn
entwürdigt und besetzt. Diese Kraft hatte John in den Kopf oder ins
Herz getroffen und auf einen Streich, indem sie ihn ganz und gar mit
einer Qual erfüllte, die er sich niemals hätte vorstellen können
und sicher nicht aushalten und selbst jetzt noch nicht fassen konnte,
geöffnet, mittendurch aufgeknackt wie Holz unter einer Axt, wie
brechendes Gestein; hatte ihn auf einen Streich mitgerissen und
hingestreckt, sodass John nicht die Wunder spürte, sondern nur den
Schmerz, nicht den Fall, sondern nur die Furcht. Und so lag er nun
da, hilflos, schreiend, am Grund der Finsternis."1
Ein Sturz in die Tiefe, Finsternis,
Tränen, Schreie, endlos tiefes Wasser, Feuer und einsame
Verzweiflung – der gerade vierzehn Jahre alt gewordene John hat
beim abendlichen Gottesdienst eine Vision.
In einer Vision sah ich eine Treppe, die in den Himmel führte. Schlosskirche, Wittenberg, 2017. |
Und an deren Anfang steht die
Wahrnehmung, dass da etwas in ihm ist, das nicht zu ihm gehört.
Über viele viele Seiten wird James
Baldwin die innere Reise des Jungen durch die Dunkelheit beschreiben
– bis zurück ans Licht. Es ist eine kathartische Reise, in der auf
Einsamkeit und Schmerz am Ende Wiedergeburt und neues Leben im Geist
folgen.
Die religiösen Erwartungen seiner
Familie und der Gottesdienstgemeinde sind nach dieser Ekstase
erfüllt, Johns Leben kann neu weitergehen.
Wohin es ihn führen wird, das beibt
offen.
Denn es handelt sich um den Schluss von
James Baldwins Roman "Von dieser Welt", der in diesem Jahr
in neuer Übersetzung auf Deutsch erschienen ist. Baldwins
feinsinnige und zugleich kritische Beobachtung christlicher
Religiosität ist ein faszinierendes Lernfeld für die Unterscheidung
der Geister.
Auch wenn es sich hier "nur"
um Literatur handelt, möchte ich exemplarisch einer Frage nachgehen:
Ist dieses körperliche und geistige
Hingeworfensein nun das Wehen des Heiligen Geistes oder ist es eine
Halluzination, eine psychische Aufarbeitung vergangener Traumata, ein
Hirngespinst?
Theologisch finde ich es
schwierig, ein radikales Übermanntwerden mit meiner Vorstellung von
Gott übereinzubekommen. Denn anders als Luther, der den Menschen
entweder vom Teufel oder von Gott geritten und damit immer irgendwie
übermannt sah, glaube ich (mit vielen katholischen Theologen), dass
Gott die menschliche Freiheit schätzt und würdigt. Das Besetzt- und
Umgeworfensein, wie Baldwin formuliert, klingt aber eher nach dem
Ausschalten der Freiheit. Das freie Ja des Menschen zur Einladung und
zum Werben Gottes wär damit übersprungen und John entmündigt. Und
das ausgerechnet an seinem vierzehnten Geburtstag – an dem man in
Deutschland religionsmündig wird.
Praktisch-religiös scheint es
sich im Kontext des Buches gerade um das Erwachsenwerden zu handeln.
Freikirchliche und pfingstliche Gemeinschaften sehen in der
religiösen Entrückung geradezu einen Beweis der Zuwendung zu Gott.
Und tatsächlich scheint Gottes Macht nach der Bibel Menschen ja auch
ohne ihre Einwilligung zu ergreifen – siehe Jona.
Außerdem liegt das Ekstatische als
religiöses Movens vielen anderen religiösen Bewegungen voraus, wie
ein Blick in die Religionsgeschichte zeigt.
Zuletzt gilt: Ich kann niemandem seine
religiösen Erfahrungen absprechen, wie sie hier literarisch
überformt ausgedrückt sind.
Psychologisch stehen hinter
vielen konkreten Inhalten der Vision Erfahrungen mit dem beständigen
Reden von Sünde und Erlösung im Kontext von Johns Erziehung. In
dieser Weise kommt auch die zwiespältige Vaterfigur des Buches (der
in einem eigenen Kapitel auch noch mit seinen eigenen Fragen und
Grenzen präsentiert wird) in seinen ekstatischen Erfahrungen
reichlich vor.
Ignatianisch handelt es sich um
ein Paradebeispiel für die Frage nach der Unterscheidung der Geister. So schreibt Ignatius in seinen Geistlichen Übungen zunächst
und grundlegend, dass die Lebensausrichtung eines Menschen
entscheidend ist für das Wirken des Geistes – geht einer den Weg
Gottes, wird Gottes Geist bestärkend und unterstützend sein, geht
er aber den schlechten Weg, wird er ihn irritieren.2
Es muss also gefragt werden, in welche
Richtung Johns Leben im Roman unterwegs ist, um zu unterscheiden, ob
es sich um den Geist Gottes gehandelt haben kann.
Die Wucht, mit der es ihn umwirft,
lässt ahnen, dass es sich um einen ziemlichen Konflikt handelt.
Ignatius schreibt dazu:
"wenn sie [die Haltung der Seele]
entgegengesetzt ist, dann treten sie [die Geister] mit Lärm und
manchem Verspüren wahrnehmbar ein. Und wenn sie gleichartig ist,
tritt er schweigend ein wie in das eigene Haus bei offener Tür."
(GÜ135).
So sprechen die Stärke des Leidens und
die Tiefe des Falls eine eindeutige Sprache – aber auch die
Kehrtwende und der Trost.
Denn für Ignatius ist echte
"Tröstung" ein klares Zeichen göttlichen Eingreifens.
Und so, nahe bei Gott, fühlt sich John anschließend
auch:
"Ja, die Nacht war vorüber,
die Nächte der Finsternis waren zurückgeschlagen. Er bewegte sich
inmitten der Gläubigen, er, John, der heimgekommen und jetzt einer
der ihren war; er weinte und fand noch keine Worte für seine große
Freude, wusst auch kaum, wie er sich bewegte, denn seine Hände waren
neu, und seine Füße waren neu, und er bewegte sich in neuer lichter
Himmelsluft."3
Aber das soll jeder selbst lesen.
Ein äußerst lohnenswertes Buch, nicht nur in religiöser Hinsicht!
Der Glanz eines neuen Morgens. Peetzsee, Grünheide, 2018. |
1 J.
Baldwin, Von dieser Welt. Neuübersetzung von "Go Tell It on
the mountain" (New York 1953), München 2018, 277f.
2 Ignatius
v. Loyola, Geistliche Übungen und
erläuternde Texte. Leipzig 1978, No. 314f.
3 J.
Baldwin, a.a.O., 296.