Samstag, 5. Mai 2018

Biblische Mathematik: Demut + Offenheit = Liebe

Die Lesungen des Sonntags sind mal wieder besonders reich an wundervollen Texten, die noch dazu eine aussagekräftige Gleichung des Christlichen ergeben.

1. "Auch ich bin nur ein Mensch" (Apg 10,26)
Die Lesungen aus der Apostelgeschichte erzählen in der Osterzeit von den ersten Gemeinden und reflektieren die Verkündigung der Apostel. Im heutigen Abschnitt kommt Petrus nach Caesarea und der römische Hauptmann Cornelius fällt ihm zu Füßen.
Petrus antwortet ihm daraufhin: "Steh auf! Auch ich bin nur ein Mensch."
Der Moment größter religiöser Macht ist auch ein Moment größter Versuchung. Wie leicht könnte Petrus sich jetzt, wie er es im Beisein Jesu ja mehrfach tat, groß aufspielen und zeigen, was für ein toller Kerl er ist, wie glaubensstark und nah beim Herrn.
Nichts dergleichen tut er hier. Stattdessen macht er den Unterschied zwischen Mensch und Gott groß und zeigt sich demütig.

Nur ein Mensch.
Auch wenn er vor dem Justizministerium geht.
Berlin-Mitte, 2015.
Diese Haltung stünde uns Christen und damit "der Kirche" immer wieder gut zu Gesicht – Demut und Zurückhaltung. Als Gefängnisseelsorger erlebe ich oft, wie hohe Erwartungen und Hoffnungen an mich herangetragen werden, hier ist Demut immer wieder wichtig: Wir sind fehlbare Sünder und nur Boten für Gottes gute Nachricht an die Welt. Das gilt natürlich auch dann, wenn gerade niemand Christen oder die Kirche lobt oder besonders ehrfürchtig behandelt.

Konkret: Jedem Gegenüber signalisieren, dass ich nicht besser bin als er oder sie. Selbst wenn ich in der Nachfolge Jesu stehe und eine wichtige Botschaft zu überbringen habe.

2. Sie "konnten es nicht fassen" (Apg 10,45)
Eine der größten Herausforderungen für die ersten Juden, die an Christus als den Messias Israels glaubten, war, ob nun auch Heiden, also Nichtjuden, in die jungen Gemeinden der Christgläubigen aufgenommen werden sollten.
Die gleiche Szene der Lesung schildert kurz nach dem Vorfall mit Cornelius, dass der Heilige Geist das versammelte Haus dieses Proselythen (also gläubigen Heiden) erfüllte.
Die mit Petrus mitreisenden Juden "konnten es nicht fassen, dass auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde."
Dabei hatte Petrus kurz vorher, in seiner für diese Lesung leider herausgestrichenen Predigt gesagt, Gott habe ihm geboten, "dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf." (v28)
Zwei Hammersätze, besonders für sich streng gebende Gläubige jeglicher Religion: Erster Schritt - Angehörige anderer Religionen (oder auch ohne Religion) sind niemals als unheilig zu bezeichnen (selbst wenn manche dies über sich selbst sagen), die Würde als gottgeschaffene Menschen nimmt ihr jeweiliger Glaube oder Unglaube ihnen nicht weg. Zweiter Schritt – auch Nichtchristen (Nichtmuslime, Nichtbuddhisten...) können von Gottes Geist erfüllt sein. Dazu habe ich mich hier und hier schon ausführlicher geäußert.

Eins neben dem Anderen: Seht, wie sie einander lieben!
Theologische Fakultät der HU, Berlin-Mitte, 2015.
Konkret: Jedem Gegenüber signalisieren, dass ich trotz meiner eigenen Überzeugungen offen bin für Gottes Gegenwart in ihm oder ihr.

3. "Liebt einander!" (Joh 15,17)
Die Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium fühlen hinein in die Situation der Christen ohne die fassbare Anwesenheit ihres Herrn. Eine zentrale Botschaft aus diesen Anweisungen für die Zeit "danach" ist die Aufforderung, einander zu lieben, so wie Jesus selbst seine Jünger als Freunde liebte (vgl. Joh 15,12).
Aus der Freundschaft mit ihm soll also die Liebe zueinander wachsen: "Liebt einander!" Dass die Christen beim einen (der Gottesfreundschaft) und beim anderen (der Nächstenliebe) immer wieder versagen, ist leider traurige Realität.
Wenn ich die Aussagen oben hinzudenke, kann aber recht gut klar werden, was das bedeuten kann.
Sich wie Petrus nicht über andere stellen, aber die eigene Botschaft trotzdem kraftvoll verkünden kann besonders gut gelingen, wenn ich darauf vertraue (aber auch, wenn ich es gar "nicht fassen" kann), dass Gott schon immer da ist und auch bei "den Anderen" wirkt. 

Konkret: Sich demütig nicht über den Nächsten stellen und offen zu sein, dass Gottes Geist in ihm ist, das ist Nährboden und Ausdruck der Liebe.