Auch wenn Menschen innerhalb
verschlossener Räume und hinter Mauern leben, wirkt der Geist
Gottes!
Das ist für mich die erste wirklich
gute Botschaft der Geschichten, die eben vorgelesen wurden (vgl. Apg 2,1-11; Joh 20,19-23).
Denn es bedeutet, dass der Heilige Geist, dessen Ausgießung
wir heute feiern, Sie auch innerhalb der Gefängnismauern problemlos
erreichen kann. Gott will Ihnen nahe sein im Heiligen Geist – auch
in dieser Zeit der Unfreiheit!
Soweit klingt das ziemlich gut, wie ich
finde. Aber was bedeutet es konkret für unser Leben?
Dazu drei Gedanken.
Wie kommt der Geist denn nun? Möwe in Binz auf Rügen, 2016. |
1
Zuerst eine Klarstellung: Wir haben es
mit zwei unterschiedlichen Darstellungen zu tun, wie der Geist zu den
Jüngern kommt. Einmal die ängstliche Gruppe, die sich versteckt und
zu denen der Auferstandene trotzdem kommt und ihnen durch seinen Atem
seinen Geist gibt, indem er sie anhaucht. Und einmal kommt der Geist,
ohne dass Jesus erscheint. Die Jünger haben sich versammelt, dann kommt der
Geist und bringt sie zum Sprechen. Sie waren plötzlich, könnte
man sagen, Feuer und Flamme für das, was sie da bewegte.
Es ist im Grunde nicht wichtig, ob der
Geist nun auf die eine oder die andere Weise zu den Menschen kommt,
auch wenn jede der beiden Geschichten wichtige Akzente setzt. Wichtig
ist, dass er kommt. Und dass er (jedenfalls in diesen Geschichten) zu
einer Gemeinschaft von Leuten kommt.
Besonders spannend daran ist, was
danach mit dieser Gemeinschaft geschieht. Plötzlich wird nämlich
das, was sie sagen, für alle verständlich. Wir haben ja gehört,
dass Juden aus den verschiedenen Gegenden der damals bekannten Welt
vor Ort waren: Pamphylien, Phrygien, Mesopotamien, Ägypten usw.
Und nun verstehen alle auf einmal. Ein
Sprachwunder, sagen manche. Das mag sein und man kann sich darüber
trefflich streiten, was genau damals passierte, aber das ist nicht
mein Punkt.
Was ich jetzt betonen will, ist, dass
es zu einer doppelten Akzentsetzung kommt. Einerseits werden alle zu
einer Gemeinschaft, weil alle dieselbe Botschaft hören. Andererseits
aber bleibt dabei jedem seine eigene Sprache – es wird also eine
Sprachcollage, nicht ein Einheitsbrei.
So wie wir es beim Chor gerade gehört
habe: Männerstimmen und Frauenstimmen, hohe und tiefe Stimmen –
alle Stimmen werden verschieden geführt und wirken zusammen, damit
ein Hörgenuss herauskommt.
Das ist es, was die christlichen
Kirchen bis heute ausmacht, dass sie imstande sind, ganz
unterschiedliche Sprachen zu sprechen und doch alle in gewissem Sinne
eins sind in ihrem Glauben. Keine Sprache, keine Glaubensweise wird
untergebuttert – und trotzdem kommen alle irgendwie zusammen. Im
Heiligen Geist wird es möglich, "in der Einheit des
gemeinsamen Glaubens zugleich die differenzierte Vielfalt der
persönlichen Glaubensweisen zu ermöglichen und zu wahren."1
Das bedeutet, dass wir „Sprache“
hier verschieden übersetzen müssen: Für manche bedeutet es, dass
sie durch schöne Musik zum Glauben angeregt werden. Andere brauchen
ein Wort aus der Schrift. Wieder andere wollen in der Stille
meditieren. Und manche sollen sich sogar an einer Predigt freuen.
Jeder wird durch etwas anderes
angesprochen, aber alle können dadurch durch den einen Geist zu Gott
finden.
Pfingsten bedeutet also zunächst, dass
keiner in seiner Eigenart untergebuttert wird, sondern dass jede
„Sprache“, jeder Zugang zu Gott wichtig ist.
„Persönlichkeit und Gemeinschaft wachsen mit- und
durcheinander“,2
hat der bekannte Theologe Hans Urs von Balthasar das auf den Punkt
gebracht.
Ausgießung des Heiligen Geistes heißt
dann: Finden Sie in diesem Geist Ihre persönliche Sprache, in der
Gott Sie anspricht und in der Sie mit Gott kommunizieren können.
2
Leider wurden in der Lesung aus der
Apostelgeschichte die besten Verse weggelassen! Denn die Leute aus
den verschiedenen Erdteilen wundern sich nicht nur darüber, dass sie
alles verstehen können, sondern einige vermuten, dass die Jünger
vom Wein berauscht sind. Die Jünger müssen etwas überdreht gewirkt
haben. Das bedeutet, es scheint gar nicht so eindeutig gewesen zu
sein, was da passierte.
Eindeutiges Zeichen? Lessinghöhe, Neukölln, Berlin, 2016. |
Ähnlich ist es bei Jesus im
Evangelium: Bevor er seine Jünger anhaucht, zeigt er ihnen seine
Wunden. Denn sie zweifeln, ob er es wirklich ist. Also gibt er ihnen
eine Art Beweis und zeigt seine Wunden.
Und dieses Problem der Unklarheit haben
gläubige Menschen seit Jahrhunderten.
Immer gibt es den Zweifel, ob ER es
tatsächlich ist. Wenn Menschen sich auf Gott und seinen Geist
berufen, ist nie klar, ob sie es tun, weil tatsächlich Gott es ist,
der sie antreibt oder ob sie es aus eigenem Gutdünken tun.
Bringt Gottes Geist Menschen dazu, in
seinem Namen über andere herzufallen und sie zu töten, so wie es
schon immer im Namen der Religionen getan wird? Ich glaube kaum.
Auch ich selbst muss mich zum Beispiel
fragen, warum ich hier vorn stehe – nur, weil ich gerne rede und
Anerkennung dafür möchte? Oder weil Gottes Geist mich antreibt, es
zu tun? Wahrscheinlich ist es oftmals (ich hoffe jedenfalls, dass es
auch in meinem Fall so ist!) eine Mischung aus meinen mehr oder
weniger guten Motiven und dem Geist Gottes. Und das gilt sicher für
die meisten Menschen.
Es ist nicht ganz eindeutig, es bleibt
ein Moment der Unklarheit, so wie es in jeder Religion bis zu einem
gewissen Grad unklar bleibt, ob da tatsächlich eine göttliche Macht
im Spiel ist. Das sage ich auch als katholischer Theologe, dessen
Religion manchmal besonders stark versucht, die Unklarheiten und den
Zweifel durch Dogmen und Berufungen auf letzte Wahrheiten zu
beseitigen.
Aber Religion beruht ja von ihrem Wesen
her „auf dem Glauben an etwas, das über das rational Erkennbare
hinausgeht, im Wortsinne es überschreitet bzw. transzendiert, den
Glauben also an etwas, das größer und anders ist als wir. Und weil
das so ist, ist es auch nicht restlos ausdeutbar. Wie sehr sich auch
die klügsten Theologen und Religionsgelehrten bemühen, das
Transzendente in Begriffe zu fassen, bleibt doch immer ein Rest an
Vagheit, Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit“.3
Viele Leute weichen dieser Unklarheit
lieber aus. Denn wenn etwas nicht eindeutig ist, sondern mehrere
Deutungen zulässt, dann verursacht das Verunsicherung.
Manche Menschen meinen dann, dass es
wohl nicht so wichtig sein wird, wenn es nicht klar und eindeutig
ist. Für weite Teile der deutschen Bevölkerung ist das mit Bezug
auf das Christentum so. "Wenn das, was nicht eindeutig ist,
nicht so wichtig ist, dann wird es eher gleichgültig."4
In dem Sinne meint man: Wenn Religion mir keine eindeutig beweisbaren
und unzweifelhaften Inhalte präsentieren kann, dann beschäftige ich
mich lieber gar nicht erst damit.
Aber, wie gesagt, das kann Religion
nicht leisten und will es auch gar nicht.
Manche versuchen, der
Uneindeutigkeit auf andere Weise auszuweichen und behaupten, dass
doch alles eindeutig sei, beispielsweise präzise so, wie es in der
Bibel steht.
Doch die heiligen Texte haben immer
einen Bedeutungsspielraum, nicht zuletzt deswegen streitet man sich
über Themen wie Homosexualität oder Wiederverheiratung oder den
Papst und dergleichen. Sobald jemand behauptet, dass es bei diesen
oder anderen Themen ja gar keine Frage gebe, weil doch alles
eindeutig festgelegt sei, wird es fundamentalistisch.
Das sind also die beiden Weisen, wie
man dem Problem der Mehrdeutigkeit ausweicht: Gleichgültigkeit oder
Fundamentalismus.5
Aber der Heilige Geist fordert uns
heraus: Es gibt eben Situationen der Mehrdeutigkeit, die wir
aushalten müssen – sei es, wenn ich bete und hoffe, dass Gott mir
ein Zeichen gibt; sei es ganz simpel, dass Ihre Freundin zweimal
nicht zum angemeldeten Besuch kommt und Sie nicht wissen, was los
ist; sei es, dass ein Gutachten über Sie erstellt wird und nicht
ganz klar ist, wie das Gericht das dann bewerten wird und so weiter.
Manchmal brauchen wir sehr viel Geduld
und Vertrauen, um mit der Vieldeutigkeit und Unklarheit des Lebens
zurecht zu kommen. Und wir müssen versuchen zu unterscheiden: was
ist langfristig gut für mich – und was nicht; was hilft mir,
unbeschadet durch die Haft zu kommen – und was nicht; was ist eine
Eingebung vom Heiligen Geist – und was nicht.
Ekstase im Waschbecken. Berlin, 2018. |
Pfingsten heißt also als nächstes,
dass wir die Unklarheit aushalten müssen, ob es tatsächlich Gott
und sein Geist ist, der in uns wirkt. Und dass wir dauerhaft
unterscheiden und auf der Suche bleiben müssen, wo es sich wirklich
um Gott handelt und wo nicht.
3
Und noch ein Drittes möchte ich
betonen.
Die Jünger hatten sich versteckt,
Jesus war gestorben und damit nicht mehr einfach da bei ihnen. Manche
resignierten, andere waren sicher enttäuscht und hoffnungslos. So
wie auch hier in Haft manch einer den Eindruck hat, dass alles vorbei
ist.
Die Jünger hatten in dieser Situation
dieses gemeinsame Erlebnis, von dem wir hörten: Sturm im Haus,
Feuerzungen, Ekstase, alles wird plötzlich verständlich, allen
wollen sie es weitersagen.
Und auch das ist eine Botschaft von
Pfingsten: Ein Neuanfang ist möglich! Dort wo gerade noch Frust und
Verzweiflung herrschten, dorthinein kommt Gott und schenkt einen
Neubeginn.
Das ist auch in der Haft möglich, wie
gesagt kann der Geist Sie auch in dieser Zeit der Unfreiheit
berühren! Und das wäre die wirkliche Resozialisation, die ja vom
Gesetzgeber wohl angestrebt ist: dass Sie einen Neuanfang schaffen.
Aber es gibt auch andere Neuanfänge,
außerhalb der Gefängnismauern:
Ich weiß nicht, ob Sie gestern die
"Royal Wedding", die Hochzeit von Meghan Markle und Prinz
Harry verfolgt haben, der festliche Neuanfang eines gemeinsamen
Lebens. Mein Fall ist dieses royale Getue normalerweise nicht, aber
ich habe in der Mittagspause ein bisschen zugeschaut und war vom
Prediger des Hochzeitsgottesdienstes sehr beeindruckt. Es war der
afroamerikanische Bischof Michael Curry, der vor allem von der Kraft der Liebe predigte.
Wenn man wirklich liebt, sagte er zum
Beispiel, dann wird alles neu. Alles erscheint in einem anderen
Licht. Ich denke, so muss es den Jüngern an Pfingsten gegangen sein.
Wer den Heiligen Geist Gottes wirklich ins Herz geworfen bekommt,
wird manchmal so von dieser Erfahrung überrollt, dass für ihn keine
Zweideutigkeit mehr da ist. Auch das gibt es natürlich.
"We must discover the power of
love", forderte Curry auf – und Pfingsten (ebenso wie eine Hochzeit ist genau so ein
Augenblick, wo diese Macht der Liebe aufleuchten und entdeckt werden
kann.
Es ist die Liebe Gottes zu den Menschen
– und manchmal spiegelt sich in der Liebe von Menschen zueinander
die Liebe Gottes wider. Wenn sie beieinander aushalten in guten und
auch in bösen Tagen. Wenn sie einander auch nach dem Streit wieder
die Hände reichen. Wenn sie verzeihen können. Immer dann ist der
Geist Gottes am Werk.
Und das ist "power",
das ist wirklich Kraft – zu vergeben, sich zu versöhnen,
auszuhalten.
Aber die Jünger spürten an Pfingsten
noch mehr. Sie spürten, dass sie hinausgehen und anderen davon
erzählen mussten. Ich würde so formulieren: Es trieb sie die Liebe
zu den Menschen, sie waren so erfüllt vom Geist Gottes, der die Liebe
ist, dass sie die frohe Botschaft von Jesus weitertragen wollten. So
nämlich geht es dann weiter in der Apostelgeschichte: Die Jünger
predigen und sagen den Leuten, dass der Tod nicht das letzte Wort
hat, dass Jesus auferstanden ist und dass Gott alle Sünden vergeben
will. Aus Liebe!
Dazu müssen wir uns auf den Weg Gottes
einlassen. Dieser Weg ist der Weg der Liebe!
Auch dazu hat sich der Prediger gestern
mitreißend geäußert: Was wäre alles möglich, wenn die Welt, wenn
wir Menschen uns einlassen würden auf diesen Weg der Liebe?!
"Think and imagine a world
where love is the way. ... Imagine this tired old world, when love is
the way. When love is the way, then no child will go to bed hungry in
this world ever again. When love is the way, we will let justice roll
down like a mighty stream ... When love is the way, poverty will
become history. When love is the way, the earth will be a sanctuary.
When love is the way, we will lay down our swords and shields down by
the riverside to study war no more."
Ich bin sicher: das hat die Jünger am
Pfingsttag bewegt, dazu hat sie der Geist getrieben: Die Liebe Gottes
als den Weg der Welt zu verkünden.
Und trotzdem ist die Welt so, wie sie
nun einmal ist. Wir sind, wie wir sind.
Nicht umsonst befinden wir uns heute
hier in einem Gefängnis.
Aber die Verheißung von Pfingsten gilt
auch heute noch: Gott will uns mit seinem Geist der Liebe beschenken
und einen Neuanfang ermöglichen.
Pfingsten heißt damit schließlich
auch: Ein Neuanfang ist möglich. Und manchmal kann man nicht anders,
als davon zu sprechen und die Liebe Gottes weitergeben!
Das also kann es heißen, wenn ich
eingangs sagte: Der Geist wirkt auch hinter Mauern!
1. Wir können ganz unterschiedlich
sein und bleiben – und trotzdem eine Gemeinschaft in Gott sein,
trotzdem kann jeder ganz individuell Kontakt mit Gott aufnehmen.
2. Bleiben wir Gott auf der Spur!
Suchen wir ihn, auch wenn es nicht immer klar ist, wo er zu finden
ist – und lassen wir uns nicht auf Gleichgültigkeit oder
Fundamentalismus ein, wir müssen die Unklarheit oft aushalten
lernen!
3. Lassen wir uns den Geist der Liebe
und seinen Neuanfang schenken. Und lernen wir, davon zu sprechen!
That is the way! Comenius-Garten, Neukölln, Berlin, 2018. |
1 M.
Kehl, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie. 3. Aufl. Würzburg
1994, 75.
2 H.U.v.
Balthasar, Leben aus dem Tod. Betrachtungen zum Ostermysterium.
Freiburg i.Br. 1984, 58.
3 T.
Bauer, Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an
Mehrdeutigkeit und Vielfalt. 2., durchgesehene Aufl. Ditzingen 2018,
34.
4 Ebd.,
38.
5 Vgl.zum Ganzen ebd., 31-40.