Mit seinem Buch "Corpora.
Die anarchische Kraft des Monotheismus" ist Eckhard
Nordhofen ein großer Wurf gelungen.
Die Herausbildung der
monotheistischen Religion in Israel führt er zurück auf eine
"Medienrevolution": anstatt Götterbilder
herzustellen und anzubeten, bezieht sich das kleine Volk Israel auf
eine Heilige Schrift.
Weiß vor Grau. Peetzsee, Grünheide, 2019. |
Besonders deutlich wird
dieser Gedanke an Nordhofens Deutung der Geschichte vom Goldenen Kalb
im Buch Exodus, wo der Autor exemplarisch zusammenfasst, um was es
ihm geht und die aus diesem Grund ausführlich zitiert sei.
"Der Sieg der
Schrift über das Bild, den das Bilderverbot besiegelt, ist die
Konsequenz einer hochdramatischen Erzählung, man könnte sie auch
als erzähltes Drama bezeichnen: Das Konkurrenzdrama vom Sinai. Es
kann als Aitiologie, d.h. als Vorbereitung und Begründung des
Götterbilderverbots gelten. Erster Akt: Mose verweilt 40 Tage auf
dem Berg. Dort spricht Gott zu ihm und übergibt ihm schließlich die
Bundesurkunde, steinerne Tafeln, auf die der Finger Gottes
geschrieben hatte. Das Volk vermisst Mose und wird ungeduldig. ...
Die nun folgende Passage (32,2-4) kann als Parallele zu den
detailreichen Schilderungen, mit denen (Deutero)Jesaja die
Herstellung der Götterbilder beschreibt. Wieder werden die einzelnen
Arbeitsschritte im Detail beschrieben, um zu zeigen, dass das
Götzenbild ein selbstgemachtes Menschenwerk ist. ...
JHWH ist nicht
entgangen, was da geschehen ist. Zu Mose spricht er: 'Jetzt
lass mich, damit mein Zorn gegen sie entbrennt und sie verzehrt. Dich
aber will ich zu einem großen Volk machen.' (Ex 32,10) Der
erschrockene Mose versucht Gott zu besänftigen, und es gelingt ihm
fürs erste. ...
Wenn wir uns
vergegenwärtigen, dass dieser Text immer laut vorgelesen wurde,
dürfen wir uns das Wechselbad der Gefühle vorstellen, dem der
fromme Israelit, unser impliziter Rezipient, ausgesetzt war.
Haarscharf ist gerade das eigene Volk – sein Volk, seine Vorfahren,
an der völligen Vernichtung vorbeigeschrammt. In den Augen JHWHs
hatten sie es ja verdient. Glück gehabt! Es hätte auch anders
kommen können. Und dann hört er den folgenden Vers mit seinen
feierlichen Wiederholungen: 'Mose
kehrte um und stieg den Berg hinab, die zwei Tafeln der Bundesurkunde
in der Hand, die Tafeln, die auf beiden Seiten beschrieben waren. Auf
der einen wie auf der anderen Seite waren sie beschrieben. Die Tafeln
hatte Gott selbst gemacht und die Schrift, die auf den Tafeln
eingegraben war, war Gottes Schrift.' (Ex 32,15f)
... Kann es für
unseren impliziten Leser etwas Kostbareres geben als diese Tafeln?
Gott selbst, die große Alternative zu den selbstgemachten Göttern,
bietet sein ureigenes Medium, seine eigene Schrift gegen das
Götzenbild auf.
Die
Herstellungsprozesse der beiden konkurrierenden Medien laufen
erzähllogisch parallel. Während am Fuß des Berges das Kalb
gegossen wird, hatte Gott geschrieben.
Und noch eine Parallele
ist wichtig: Es ist wieder die Hand Gottes am Werk. Mit ihr hatte er
einst aus dem Ackerboden den Adam geformt. Und mit dem Finger dieser
Hand setzt er nun das Schöpfungswerk fort. Zunächst hatte Gott den
Kosmos erschaffen. Dieser legt als Ganzer Zeugnis ab von seiner
Präsenz. Als das große Gegenüber der Welt kommt er in ihr als
kontingente Einzelerscheinung nicht vor. Nun aber setzt er sein
Schöpfungswerk fort, er erschafft die Schrift. In ihr, seinem
ureigenen Medium, gewinnt er eine ganz eigene einmalige Art von
Präsenz, denn die Schrift ist ein Medium, wie für ihn gemacht. Sie
unterscheidet sich von allen anderen Dingen auf der Welt. Diese sind
da oder sie sind nicht da. Die Schrift, ganz gleich auf welcher
Materie sie haftet, steht als Hervorbringung eines Schreibers
zwischen diesem und den Dingen. Sie ruft Bewusstseinsinhalte hervor,
die nur dort, nicht aber schon in der Realität gegenwärtig sind.
Sie erzeugt den Brathähnchen-Effekt, diese besondere Simultaneität
von Präsenz und Entzug, wie sie schon der gesprochenen Sprache eigen
ist. Das Wort 'Brathähnchen' ist da, das Brathähnchen aber nicht.
Wenn die gesprochene Sprache zur Schrift gerinnt, ist sie zu einem
Objekt geworden. Und sie hat eine entscheidend Eigenschaft, die das
Bild nicht hat. Sie ist
niemals das, was sie bedeutet. Sie ist das Medium der Differenz und
kann niemals mit dem verwechselt werden, was sie bezeichnet. Diese
Eigenschaft prädestiniert sie zum Gottesmedium für den neuen Gott
Israels, denn genau das, die Verwechslung eines Gottes mit seinem
Bild, ist nicht unbegründete Vorwurf der biblischen Aufklärung an
das dreidimensionale Bild, das Medium des Polytheismus."1
Schrift statt Bild: Dieser
Medienwechsel ist der erste Schritt, den Nordhofen darstellt und auf
dem die großen monotheistischen Religionen gründen. Auf diese Weise
wird die Unvergleichlichkeit Gottes herausgestellt, die in der
Gleichzeitigkeit von unfassbarer Anwesenheit und erfüllter
Abwesenheit besteht.
Dabei muss betont werden,
dass es hier im Kern um die Abkehr von sehr primitiv-animistischen
Gottesbildvorstellungen geht. Der damalige Kampf war also mitnichten
ein Kampf gegen selbstgezimmerte Feindbilder, sondern eine reelle
Alternative für die damals religiös Suchenden. Bisweilen lebt diese
Alternative jedoch auch in aufgeklärten Zeiten noch weiter..
Abgesehen davon ergibt
sich aber auch eine spezifische Versuchung aus diesem neuen
Gottesmedium: Statt eines Bildes kann nun die Schrift mit Gott selbst
verwechselt und angebetet werden. Nicht mehr Idolatrie, sondern
Grapholatrie heißt dann die Gefahr, die wir bei manchen christlichen
und muslimischen Fundamentalisten beobachten können.
Doch das Christentum, so
Nordhofen, geht noch einen Schritt weiter.
Diesen werde ich bei
Gelegenheit in einem zweiten Beitrag zu diesem Buch darlegen...
Sein und Schrift. Neukölln, Berlin, 2019. |
1 E.
Nordhofen, Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus. 2.,
durchgesehene und ergänzte Auflage, Freiburg i.Br. 2018, 81.83f.