Wer sich nur über
seinen Besitz definiert, wird von Kritikern des Materialismus gern
als armer Tropf angesehen. So gesehen bei Jesus im Evangelium
des Sonntags (Lk 12,13-21), in dem er die Sorge des reichen
Mannes um seinen Besitz geißelt.
Doch wie weit reicht die
menschliche Gier?
Während die Pointe in
Jesu Gleichnis des Reichen Tod ist, mit dem alles verloren geht,
stellt George Saunders mit seinem Buch "Lincoln im Bardo"1
eine weitergehende Phantasie vor.
Auf dem Gelände eines
Friedhofs treffen sich die Geister der Toten und führen ein
ruheloses Zwischendasein. Allerdings ist ihnen, im Gegensatz zu
vielen anderen untoten Geistern in Literatur und Film nicht klar,
dass sie eigentlich schon gestorben sind. Umhergeistern können sie
nur, weil sie sich an die Hoffnung einer Rückkehr in jene "vormalige
Welt" klammern.
Lichter für die Toten. Rusinowo, 2019. |
Sie können sich ihren Tod
nicht eingestehen und machen sich vor, dass ein großes
Missverständnis vorliegen würde und sie nur einstweilen in einer
"Kranken-Kiste" zu liegen hätten, um sich zu
erholen.2
Jede dieser Gestalten
klammert sich aus einem anderen Grund an das vergangene Leben.
Abraham Lincolns elfjährig an Typhus verstorbener Sohn Willie, um
dessen Schicksal das Buch weiträumig kreist, möchte seinen Vater
noch einmal sehen, der versprochen hat, ihn auf dem Friedhof zu
besuchen. Andere wollen in ihrem alten Leben noch Schulden eintreiben
oder sich an jemandem rächen.
Oder aber sich um ihren
Besitz kümmern. Mr. Collier beispielsweise stellt sich und sein
Leben in einem (natürlich an Jesu reichen Mann erinnernden)
Endlossatz so vor:
"Wenn man vier
Häuser besitzt und über fünfzehn Vollzeitgärtner verfügt, die
einem die sieben Gärten und acht künstlich angelegten Bäche in
perfektem Zustand halten, so wird man zwangsläufig erklecklich viel
Zeit damit zubringen, von einem Hause zum anderen zu eilen und von
einem Garten zum nächsten, und so wird es möglicherweise nicht
überraschen, dass man sich eines Nachmittags, als man flugs nach dem
Voranschreiten des Abendessens schauen will, das einem der Koch
gerade für den Vorstand der bevorzugten Wohltätigkeitseinrichtung
zubereitet, mit einem Mal genötigt sieht, sich ein wenig zu erholen,
zu diesem Zwecke kurz auf ein Knie zu gehen, dann auf beide, dann
plötzlich vornüber auf sein Gesicht zu fallen und, als man sich
außerstande sieht, wieder aufzustehen, nun hier nach einem etwas
längeren Moment der Erholung zu trachten, nur um festzustellen, dass
dieser sich ganz und gar nicht erholsam gestaltet, da man, während
man sich dem Anschein nach erholt, vielmehr ohne Unterlass über
seine Kutschen, Gärten, Möbel, Häuser et al. nachgrübelt, die
(wie man hofft) geduldig der eigenen Rückkehr harren und nicht (da
sei der Himmel vor) in die Hände eines (achtlosen, ruchlosen,
unwürdigen) anderen fallen."3
So muss das Fegefeuer
wirklich aussehen: Nach dem eigenen Tod wie in einem bösen Traum
keine Ruhe zu finden und vielmehr seinem Besitz weiterhin ohne
Unterlass gedanklich ergeben zu sein.
Doch wie man sich bettet,
so liegt man, wie man lebt, so stirbt man. Jesu Gleichnis ermahnt
deshalb zur Befreiung vom ewigen Kreisen um den liebgewonnen Besitz, während Saunders zur Versöhnung mit der Realität aufruft.
P.S. Das Buch ist ein
dramatisch inszeniertes und hochintensives Leseerlebnis und dabei eine Einladung, über viele Momente des
Lebens und des Nachlebens noch einmal nachzusinnen. Große
Empfehlung!
Wohnstätten von Lebenden und Toten, wohlsortiert. Kirchmöser, 2017. |
1 G.
Saunders, Lincoln im Bardo. 3. Aufl. München 2018.
2 In
einer Szene, die sehr an C.S. Lewis' "Die
große Scheidung" erinnert, wollen vorausgegangene Bekannte
diese Zwischengeister überzeugen, doch zu einer Entscheidung zu
gelangen und den Friedhof zu verlassen. Doch jeder der Geister
findet Ausflüchte, sich nicht mitnehmen zu lassen.