Dienstag, 13. August 2019

"Oh Allah, hier bin ich. Ich ergebe mich Deinem Willen" - Christliche Gedanken zum Opferfest

Viele Millionen Muslime feiern derzeit das Opferfest. Sei es bei der Hadsch in Mekka, sei es am jeweiligen Wohnort: sie erinnern sich an Abrahams Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern und feiern darin "den Ausdruck maximalen Gehorsams und absoluter Aufrichtigkeit", wie es die Islamische Zeitung traditionell beschreibt. In dieser Interpretation steht Ibraham, wie ihn der Koran nennt, als der ideale Muslim da. Er hat nicht gezögert, sich dem Willen Gottes sofort und gänzlich zu unterwerfen.

Aus christlicher Perspektive schaue ich auf diesen Festanlass, der sich als Text ja auch in der hebräischen Bibel findet, mit einigen Fragen.

Keine Moschee!
Bethanien in Kreuzberg, Berlin, 2018.
Zunächst finde ich es spannend, dass es sich hier, beim höchsten Fest des Islams, im Kern um einen Vater handelt, der seinen einzigen Sohn nicht opfern muss, während sich das Christentum als die Religion versteht, in der der ewige Vater selbst seinen einzigen Sohn opfert.
Oder von der anderen Seite her formuliert: der, den wir Christen als den Sohn bekennen, gibt sein Leben selbst am Kreuz hin, ähnlich dem Sohn Abrahams, der in der koranischen Lesart der Geschichte selbst das Wort ergreift und seinen Vater bestärkt: "Oh mein Vater! Tu, was dir befohlen wird. Du wirst mich, so Allah will, standhaft finden." (Sure 37)
Nur kommt es hier am Ende nicht zum Opfer des Sohnes.
(Diese Verschiebung ist allerdings aufgeladen mit all den kontroversen Fragen, ob Gott einen Sohn haben kann und als wer Jesus angesehen wird, inwieweit die Bereitschaft zum Sohnesopfer als Vorausbild für die Christusgeschichte dienen kann und welche Rolle der Gehorsam dabei spielt.)

An dieser Stelle wird das Verhältnis von Christentum und Islam extrem hell ausgeleuchtet: größte Nähe und stärkste Abgrenzung werden gleichzeitig deutlich.

Für Muslime steht im Mittelpunkt die gehorsame Hingabebereitschaft des Abraham, die in seiner innigen Gottesbeziehung wurzelte.
Die Frage nach einem offensichtlich blinden Gehorsam ohne Rücksicht auf (eigene) Verluste lässt kritisch-aufgeklärte Herzen natürlich schneller schlagen. Wie kann so etwas sein? Die muslimische Ausschmückung der Geschichte kennt zusätzlich noch den dreimaligen Auftritt des Satans, der Abraham von seinem Vorhaben, Gott gehorsam zu sein, abbringen will. Nicht die Sittlichkeit, nicht die Vernunft, nicht einmal das Vaterherz, nein, der Satan selbst will Abraham zum Ungehorsam bringen. Doch sollte Gott wirklich gewollt haben, dass der Stammvater seiner Gläubigen bereit ist, einen Menschen zu ermorden, noch dazu den eigenen Sohn, wenn er es nur befiehlt?

Diese Frage, hinter der ja ein ganzes Gottes- und Menschenbild steht, kann ich an dieser Stelle nicht abschließend besprechen, zumal sie sich jüdischen und christlichen Gläubigen im Anschluss an Gen 22 ja genauso stellt.

Unbedingter Gehorsam und eine aus diesem Gehorsam folgende Hingabe des Liebsten sind Werte, die mich an den Rand meines Glaubens führen. Bei diesen Werten knirscht es.

Für Muslime gehören sie (auch durch dieses Fest) zum Kernbestand dessen, was ihre Religion ausmacht. So rufen die Mekka-Pilger, wie auch Abraham gerufen haben könnte, immer wieder aus:
Labbaik, Allahumma labbaik, labbaik, la Scharika laka, labbaik (Oh Allah, hier bin ich. Ich ergebe mich Deinem Willen und bin Dir gehorsam. Du hast keinen Teilhaber)."

Ich tue mich als Christ schwer, so zu rufen (auch wenn das Christentum und insbesondere die ignatianische Spiritualität ähnliche Gebete und Rufe kennen). 
Aber wie kann ich den Kern dieses Festes also so verstehen, dass er auch mir etwas sagt?
Die interreligiös verantwortete Seite "Religionen entdecken" formuliert beispielsweise so: 
Das Opferfest "erinnert Muslime daran, dass sie Gott grenzenlos vertrauen dürfen, und ruft sie zur Hilfsbereitschaft auf."

Das könnte ein Ansatzpunkt sein. Vielleicht versuche ich es also so:
Die Hingabe Abrahams erfolgt aus dem Vertrauen darauf, dass dieser Gott seine Zusage, Abraham wirklich zu einem "Vater der Menge" zu machen, einhält, dass er es wirklich gut meint und macht.
Nachdem Abraham lange Jahre warten musste, bis Gott seine Verheißung eines Stammhalters wahr machte, bekam Sarah in einem Alter, das weit jenseits der natürlichen Fruchtbarkeit lag, doch noch ein Kind. Abraham wusste also: Diesem Gott kann ich trauen. Er tut, was er verspricht, auch wenn ich seine Wege nicht verstehe.
Dieses Vertrauen aufzubringen, ist die krasseste Herausforderung im Leben Abrahams, als Gott ihn schließlich zum Opfern schickt (auch wenn die Frage, welcher Sohn nun tatsächlich geopfert werden soll, im Koran unklar bleibt).

Für mich als Christen tritt natürlich noch der Kern des Christseins hinzu, der in der Liebe besteht. Jesu Kreuzestod ist, so meine primäre Deutung, ein Tod aus Liebe, nicht aus Gehorsam. In dieser Sicht braucht es die Liebe, damit Hingabe wachsen kann. 
Das steht dem muslimischen Glauben sicher nicht entgegen.

Was ich wiederum lernen kann: Abrahams Gehorsam wächst aus solch einem Gottvertrauen, das ich mir auch wünsche. Und vielleicht wächst dann auch bei mir etwas.

Allen Muslimen aber: Eid Mubarak! - Frohes Opferfest!

Im Sonnenlicht.
Schoss Schwante, 2018.