Dienstag, 30. Juli 2019

Loben, loben, loben. Ignatius von Loyola und die Kirche in der Krise

Ohne kirchlichen Auftrag und ohne zertifizierte Kenntnisse hatte Ignatius auf seinen Reisen begonnen, geistig Suchenden die später als Exerzitien berühmt gewordenen geistlichen Übungen zu geben. Deshalb war er ins Visier der Inquisition geraten. Mehrfach war er inhaftiert, mehrfach wurden er und seine „Lehre" überprüft und kein einziges Mal fand man Gründe zur Beanstandung. Außer eben: zu wenig Anbindung an die institutionelle Kirche.
In den vorreformatorischen Jahrzehnten hungerten die Gläubigen nach einem glaubwürdigen Mittler des Glaubens – doch Ignatius, der aus seiner eigenen Biographie heraus Glaubwürdigkeit verkörperte, war in den Augen der Verantwortlichen zu wenig kirchlich integriert.

Angesichts dessen finde ich es spannend, dass derselbe Ignatius der Druckfassung seiner Geistlichen Übungen einige Regeln zum Spüren mit der Kirche folgen lässt (GÜ 352-370).


Mehr Licht als Schatten.
Friedrichshagen, 2016.
Zum einen mag man das als eine Form von Selbstschutz sehen: nach den anstrengenden Erfahrungen mit der kirchlichen Obrigkeit soll es nun keine Angriffsfläche mehr geben. Oder mehr ganzheitlich-spirituell: Während der Grundton der Exerzitien die individuelle Beziehung zu Gott ist, wird dieser Grundton nun um das Gespür mit der Glaubensgemeinschaft ergänzt.

Denn Ignatius stellt einer Kirche in der Krise, in der es eine Unzahl an Baustellen, kritikwürdigen Abgründen und schwärenden Wunden gibt, etwas Positives entgegen.

Konkret geht es im Exerzitienbuch (das für geistliche Begleiter geschrieben wurde!) vor allem darum, dass auf dem spirituellen Weg mit Gott eben dieser Weg im Vordergrund steht und nicht der Ärger über die Institution Kirche und ihre immer vorhandenen Schattenseiten.
Darum will Ignatius, dass der Begleiter lobt: "Das Beichten bei einem Priester" und "den Empfang des heiligsten Sakraments" (GU 354), das 'häufige Hören der Messe", ebenso "Gesänge, Psalmen und lange Gebete" (GÜ 355). Ferner "Orden, Jungfräulichkeit und Enthaltsamkeit sehr loben und nicht so sehr wie eines von ihnen die Ehe." (356) Und so geht es weiter mit Ordensgelübden, Reliquien, Fasten, Wallfahrten, Ablässen (357-359), "Schmuck und Gebäude von Kirchen" (360) und "überhaupt alle Gebote der Kirche" (361).

Das klingt in meinen Ohren erst einmal naiv und wenig anstrengungsbereit. Es scheint die Angst vor der Inquisition daraus zu sprechen. Muss man aber nicht viel kritischer schauen und differenzieren zwischen dem, was nützt und dem, was geistlich nicht weiterträgt?
Und überhaupt: Ein Freigeist wie Ignatius bindet sich an die Kirche!? Wie glaubwürdig ist das nun?

Tatsächlich hat Ignatius in späteren Jahren eine Reihe von Kämpfen mit kirchlichen Würdenträgern ausgetragen, in denen er gar nicht zaghaft oder ängstlich vorging. Beispielsweise versuchte er auf vielen verschiedenen Kanälen und mit einer großen Zahl an Briefen Einfluss auf Personalentscheidungen zu nehmen, damit seine besten Leute nicht plötzlich von Rom auf Bischofsstühle befördert würden und damit der Arbeit des Ordens nicht mehr zur Verfügung stünden.

Duckmäusertum war also kein Beweggrund und ideologische Verbohrtheit wohl auch nicht.
Warum soll also hier nur Lob ausgesprochen werden?

Ich glaube, Ignatius wollte all der Dunkelheit, die er in der Kirche sicher wahrnahm, etwas Helles entgegensetzen. Auf die Anhäufung von Reichtümern, Betrügereien, Machtmissbrauch, Gier, geistliche Schwindsucht und all die anderen Probleme der Kirche seiner Zeit reagierte er nicht mit Angriff oder Verurteilung, sondern mit etwas Positivem.
Darum wird alles gelobt, was den Suchenden helfen kann, in der Kirche näher zu Gott zu finden. Und indem das Auge des Übenden und des Begleiters auf das Gute gerichtet wird, entstehen nicht negative, sondern gute Gefühle im Herzen.
Kirche kann dann wahrgenommen werden als „Braut Christi" (353) und nicht als der Verein von Egoisten, der sie auch manchmal ist.

Denn auf einem geistlichen Weg hilft nicht der Kampf gegen aufgeblasene Strukturen und die Kritik an unfähigen Amtsträgern, sondern das Mitgehen mit der Braut, das Loben ihrer Schönheit und die Freude an den Gaben, die sie bereitstellt.
Auch wenn es (mir jedenfalls) oft genug schwer fällt, wenn ich die Kirche in der Krise sehe.

Reines Weiß mit wenigen Zweigen.
Gropiusstadt, Berlin, 2018.