Samstag, 27. Juli 2019

Wer an Gott nur glaubt, der lügt sich in die Tasche! Von Aufdringlichkeit und Freundschaft

Die Pointe und wichtigste Botschaft des heutigen Evangeliums (Lk 11,1-13) ist die Aufforderung, zu Gott zu gehen und darauf zu vertrauen, dass er mir hilft wie ein guter Freund. Man könnte sogar zuspitzen und sagen: Wir sollen Gott gegenüber genauso aufdringlich sein wie ein störender Freund, der nachts klopft.
Dazu drei Gedanken.

1. In der Not füreinander da sein - oder?
Ich sehe es hier immer wieder, wenn ich über die Flure gehe: Männer stehen zusammen in der Küche und bereiten sich gemeinsam eine gute Mahlzeit zu. Oder sie sitzen in den Aufenthaltsräumen und essen miteinander. Man hat vielleicht einen ähnlichen Geschmack oder Essensrhythmus, man kommt ins Gespräch, man verbringt gemeinsam Zeit und, hier besonders wichtig: man vertraut einander. (Jedenfalls insoweit es um die Verteilung des Essens und die gemeinsame Einkaufsliste geht...)
Jedes Mal freue ich mich darüber, denn es ist für mich ein Zeichen, dass Inhaftierte miteinander Verantwortung übernehmen für das, was ihr Leben angeht, auch wenn es sich dabei "nur" um das Essen handelt. Zugleich ist es ein Zeichen dafür, dass Essen verbindet.

Brückenkonstruktion.
Darlowo, Pommern, 2019.
Persönlich halte ich Essen für eine immens religiöse Angelegenheit, denn im besten Fall ist es eine Unterbrechung des Alltagsrhythmus von Arbeit und Stress, und wenn es gut geht, werde ich dabei ruhiger und schöpfe außerdem neue Kraft, die von außen kommt. Und, wenn das Essen gemeinsam geschieht, verbindet es die Anwesenden miteinander. Damit teilt das Essen ein paar wichtige Merkmale mit der Ausübung von Religion. Und nicht umsonst wird von Jesus immer wieder berichtet, dass er mit seinen Jüngern und Anderen gegessen hat. Aber das nur nebenbei.

Ich weiß nicht, wie viele Inhaftierte die Mitglieder ihrer Kochgruppe als Freunde bezeichnen würden. Aber ich weiß, woran es sich erkennen ließe.

Freundschaft bedeutet nämlich: in der Zeit der Not füreinander da zu sein.
Also dann, wenn beispielsweise einer aus der Kochgruppe seine Arbeit verliert (aus welchen Gründen auch immer) und deshalb eine Zeitlang weniger oder nichts beisteuern kann zu dem, was die Gruppe einkauft und kocht. Fliegt er dann raus? Löst sich die Gruppe auf? Oder tragen die Anderen seinen Teil mit?

Für die Vorbereitung der Predigt habe ich ein paar Leute hier in der JVA gefragt, wie es für sie mit Freundschaft aussieht und mehrere Male die Antwort bekommen, dass die Freundschaft dort aufhört, wo jemand sich ausgenutzt fühlt.
Aber gleichzeitig geht es bei der Freundschaft gerade darum, einander zu helfen, wenn es nötig ist.
Das ist ein schmaler Grat!

Angewendet auf das Beispiel: Wie ist es nun mit dem Freund, der da mitten in der Nacht noch kommt und für einen anderen Freund um etwas Brot bittet? Nutzt er den Schlafenden aus?
Am Ende muss jeder für sich selbst entscheiden, wann er sich ausgenutzt fühlt. Vor allem in Situationen, in denen jemand selbst schon an der Grenze ist

Für Jesus jedenfalls scheinen die Worte "penetrant" und "aufdringlich" keine ausschließlich negative Bedeutung zu haben. Und sie passen für ihn auch noch zur Freundschaft.

2. Freundschaft mit Gott pflegen
Denn er erzählt sein Beispiel vom klopfenden Freund ja vor allem deshalb, weil er uns empfiehlt, es genauso zu machen. Wir sollen Gott bedrängen: "Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet." (v9)
Genauer gesagt meint er damit: Ihr seid eingeladen, die Freundschaft mit Gott zu pflegen!
Zu einem Freund geht man eben nicht nur dann, wenn nichts mehr im Kühlschrank ist. Das hieße dann nämlich wirklich den Anderen auszunutzen.
Sondern einen Freund trifft man gern. Manchmal zwischendurch einfach so, manchmal geplant, um etwas zu unternehmen. Um zu plaudern, sich auszutauschen, Zeit miteinander zu verbringen, etwas zu essen, sich gegenseitig zu bestärken, Rat zu holen, aufzutanken.

Genau darum geht es Jesus, wenn er unsere Beziehung zu Gott mit der Beziehung von Freunden zueinander vergleicht. Es geht nämlich nicht so sehr darum, dass ich an Gott "glaube". Wenn ich in manchen Gesprächen höre, dass mir jemand sagt, er glaube ja an Gott, nur praktiziere er den Glauben nicht so, dann weiß ich, dass das eine hohle Formel ist, mit der er sich selbst beschwichtigt. Wer nur an Gott glaubt, der lügt sich in die Tasche!
Und wer Gott nur dann braucht, wenn es enge wird, der pflegt keine Freundschaft, sondern möchte einen Automaten zur Wunscherfüllung!
Aber das ist nicht Christsein!
Freundschaft: In zwei Richtungen schauen.
Vitte, Hiddensee, 2018.
Wer Christ sein will, verbringt Zeit mit Gott, erinnert sich an seine Gegenwart mitten im Alltag, beim Putzen, beim Gehen, beim Warten.
Wer Christ sein will, erinnert sich beim Essen, wie viele Menschen dafür gearbeitet haben, dass jetzt etwas auf dem Teller ist, erinnert sich, wie Gott Früchte und Tiere wachsen ließ.
Wer Christ sein will, sieht im Anderen einen Bruder oder eine Schwester, die von Gott genauso geliebt ist und an dem oder der Gott genauso viel liegt wie an mir.
Wer Christ sein will, tauscht sich mit Gott aus über das, was so los ist, über das Gute ebenso wie über das Schlechte.
Wer Christ sein will, lässt sich von seinem Freund Gott auch in Frage stellen bei der eigenen Lebensführung, lässt sich in die Karten schauen, lässt sich reinreden, wenn etwas schief läuft.

Und Gott steht ebenso zu dieser Freundschaft.
Während in manchen anderen Religionen (und bisweilen auch in Ausprägungen des Christentums) das Verhältnis zwischen Gott und seinen Anhängern wie das von Herr und Sklave beschrieben wird, sagt Jesus zu den Seinen, dass er sie Freunde nennt (Joh 15,15).

Und Jesus selbst beweist seine Freundschaft sogar dadurch, dass er sein eigenes Leben nicht schont: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13)
Vielleicht ist dieser höchste Ausdruck nicht immer dran.

Umso mehr sollte ich, wenn ich mit Gott in Kontakt treten will, wenigstens die Basics beibehalten: Mich immer wieder mal melden, ein bisschen erzählen, wie es mir geht, mich erinnern, dass er da ist, mir nicht in die Tasche lügen, weil ich ja an ihn glaube...

3. Ihr, die ihr böse seid, tut doch schon Gutes
Ein Wort noch zu dem letzten Satz der Lesung, der ja ziemlich übel klingt.

(A) Er beginnt: „Ihr, die ihr böse seid...“ (v13).
Nach all dem zuvor Gesagten kann man nun meinen: Das ist ja ein toller Freund. Lädt uns ein, zu Gott zu gehen und ihn zu bitten und sagt uns zugleich, dass wir böse sind.

Aber es ist ja gerade eine total realistische Botschaft: Wir sind keine Heiligen. Hier im Knast ist das sowieso bekannt – und mancher bekommt es hier auch deutlich mehr zu spüren als in der Freiheit, dass er angeblich ein Bösewicht und deshalb angeblich nicht so viel wert sei.

Gott ist kein Freund, der uns ins Gesicht lügt und sagt, es ist alles nicht so schlimm, mach nur weiter so und setz dein Leben in den Sand. Nein, er erinnert uns daran, dass wir manchmal ziemliche Arschlöcher sein können.

(B) Und er sagt im gleichen Atemzug: Auch ihr seid fähig, Gutes zu tun. Bei all dem, was in meinem Leben schief gelaufen ist und bei all dem, was ich verbockt habe, gibt es doch auch gute Seiten in mir. Ihr wisst "euren Kindern gute Gaben zu geben".
Ergo: Nicht nur schwarz oder weiß, wie der Anfang des Satzes vermuten lässt. Sondern genau das Gegenteil: Es gibt beides in uns, Gutes und Böses.

(C) Und für uns schwarz-weiß-gut-und-böse-Gestreifte hält der Satz eine gute Botschaft bereit: Ihr erhaltet Gottes Geist, wenn ihr ihn bittet.
Ihr kriegt von eurem Freund Gott vielleicht nicht immer das, was ihr euch wünscht – aber wenn ihr seine Freunde bleibt und immer wieder zu ihm geht, böse und gut zugleich, so wie ihr eben seid, dann werdet ihr euch verändern.
Nichts anderes bedeutet nämlich: Ihr erhaltet den Heiligen Geist. Der Geist Gottes verändert uns, mehr und mehr, weiter und weiter.
Bis wir bereit sind, loszulassen und unserem Freund Gott unser Leben anzuvertrauen.

Zum Schluss die Predigt in drei Sätzen:
Wenn du nur an Gott glaubst, vergiss es!
Sei ein penetranter Freund Gottes!
Du bist schwarz-weiß gestreift und kannst dich verändern!

Weiß gepunktet.
Lampen im Lafayette, Berlin-Mitte, 2017.