Welche Anmaßung in diesen
Worten steckt!
Da kommt der Star aus Nazareth als
Gast zu Maria und Marta, lässt sich bekochen und macht dann die
Fleißigere der beiden Frauen runter, als sie ihre Schwester in der
Küche braucht.
Jesus sagt den Frauen, was
nach seiner Meinung die bessere Wahl ist, was wirklich zählt – ihm zuhören, anstatt
in der Küche zu stehen.
Heute höre ich das mit
einem gendersensiblen Ohr und ärgere mich über etwas diesen so
selbstverständlich eingreifenden und sortierenden Mann, der den
Frauen sagt, was dran ist.
Und es tauchen Fragen in
mir auf: Gibt es nicht immer mehrere Perspektiven, die zu ihrem Recht
kommen müssen? Sollten wir nicht allen Seiten Gerechtigkeit
widerfahren lassen? Leben wir nicht in einer moralisch viel
unübersichtlicheren Welt als damals?
Küchenkram nachgeordnet... Grünheide, 2019. |
Ist es also, kurz
gefragt, so klar und einfach, wie Jesus es sich macht? Immerhin sagt
er im Sonntagsevangelium
(Lk 10,-38-42): "nur eines ist
notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht
genommen werden."(v42)
Gerade angesichts
der aktuellen politischen Polarisierungen und des zunehmenden Hate
Speech in sozialen Medien müsste er doch mehr einigen und befrieden
als die Unterschiede
noch anzuschärfen.
Beispiel 1: Natürlich
können wir die Klimasünder im boomenden China geißeln und im
Unverständnis des amerikanischen Präsidenten für die
Klimakatastrophe die Schuld für die sich beschleunigende Vernichtung
unserer Welt sehen.
Aber wir wissen natürlich
zugleich, dass wir auch unsere eigene Lebensweise in Frage stellen
müssen. Dass nicht eine kleine Gruppe oder eine Nation hier Schuld
hat.
„Wir leben in den
wohlhabenden Ländern weniger über unsere eigenen Verhältnisse als
über die der anderen und lagern diese Kosten von jeher ökonomisch
wie politisch aus", schreibt Andrea Böhm am 11. Juli in der
ZEIT. Die Lage ist also moralisch anspruchsvoller und anstrengender
als wir es gern hätten, wenn wir mit dem Finger auf die
Braunkohleverteidiger und Vielflieger zeigen. Nicht die da oder wir
hier – sondern wohl differenziert muss in dieser Frage gedacht
werden.
Beispiel 2: Wenn
ich in meinen Blog schaue, dann erkenne ich diese Tendenz ebenfalls
bei mir: Anstatt eine Seite bis ins Extrem zuzuspitzen, möchte ich
in der Regel auch die Gegenseite differenziert darstellen (oder
mindestens benennen). Denn um das Ganze zu sehen, reicht nicht der
Blick vom eigenen Sofa, sondern die innere Grenzüberschreitung wäre
nötig, die auch der Gegenseite ihr Recht zugesteht. Dadurch ergibt
sich weniger Anstoß und Reibung (aber unter Umständen mehr
Langeweile).
Darum sei (auch hier) das
Gegenüber benannt: Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen
eine klare Ansage nötig ist. Und selbstverständlich wird es immer
Menschen geben, die das als anmaßend oder grundfalsch ansehen.
Beispiel 1: Wer der Attentäter des 20. Juli gedenkt, hat meistens klare Vorstellungen von den Fronten: Da ist auf der einen Seite der Tyrann Adolf Hitler, der von den ehrbaren Widerständlern auf der anderen Seite umgebracht werden soll.
Klare Sache, sollte man meinen. Die aktuelle Stauffenberg-Biographie von Thomas Karlauf versucht zwar, den Mythos des Widerständlers aus Gewissensgründen zu dekonstruieren.
Entscheidend für die
hiesige Frage ist aber, dass trotz der vielen sehr intensiv geführten
Diskussionen über die Zulässigkeit des Tyrannenmords für die
Verschwörer am Ende klar war, dass die Ermordung Hitlers richtig
ist. Diskussionen oder Mittelwege waren für diese Gruppe des
Widerstands nicht mehr denkbar. Sie waren überzeugt, dass das "eine
Notwendige" in diesem Fall war, dass der Anführer der
Verbrecher getötet werden musste.
Beispiel 2: Für Jesus war die Szene im Esszimmer augenscheinlich so eine entscheidende Situation. Er fordert das Selbstverständnis der fleißigen Marta heraus, indem er die hörende Maria lobt. Denn für ihn ist klar, was in diesem Moment dran ist. Sein eigenes Selbstverständnis, als Stimme Gottes in dieser Welt zu sprechen, gibt ihm den beherzten Mut dazu. Da ist kein Abwägen nötig und kein Zögern vor ethischer Mühe oder allgemeiner Unübersichtlichkeit.
Kurz: Jesus geht es nicht
um die Abwertung des Tuns, sondern darum, dass Gott und das Hören
auf sein Wort die Priorität haben.
Das wäre mal eine
Eindeutigkeit, der ich mich, allen berechtigten oder nicht
berechtigten Einwürfen zum Trotz, anschließen möchte.
Klare Ansage. Oder? Neukölln, Berlin, 2019. |