Wer betet, hofft gehört zu werden. Auch wir Christen sind überzeugt, dass Gott die Anliegen der Gläubigen hört und erhört.
In der Kirche Stella Maris, die zum St. Otto-Heim in Zinnowitz gehört, hängt eine Darstellung des Gekreuzigten, die das wunderbar ins Bild setzt und deutlich macht.
Ein gotischer Christus hängt leidend an einem zeitgenössisch schlichten Kreuz. Sein Körper ist ausgemergelt und verwundet. Der Kopf hängt zu seiner rechten Seite herab. Dadurch fallen die Haare über die Schulter und enthüllen ein leicht überdimensioniertes Ohr.
So wirkt es, als würde der Sterbende noch lauschen.
Der Ursprungsintention nach ist es wohl ein „gehorchsamer" Christus, der dem Willen seines Vaters im Himmel nachkommt. Sein Ohr ist damit sozusagen nach „oben" gerichtet, um Gottes Willen zu hören und zu vollziehen. Die Botschaft an die Betrachterin und den Betrachter wäre dann wohl, dass sie genauso wie der unschuldig Gekreuzigte duldsam auf Gott und seinen Willen hören sollen. Jesus hat auf Gott gehört, tu dies auch du!
Doch lässt sich die Darstellung auch anders deuten: Dann wäre das Ohr des Leidenden nach „unten" gerichtet, zu uns Menschen.
Noch in der äußersten und letzten Not seines Lebens ist Jesus offen für die Nöte derer, die ihn um Hilfe bitten. So wie der Verbrecher, an dessen Seite er hing, ihn bat: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!" (Lk 23,42)
Und Jesus sagte ihm Gemeinschaft im Paradies zu (v43).
Das würde bedeuten: Jesus hat sich selbst im eigenen Leiden nicht in sich eingeigelt und selbst bemitleidet. Sondern er hatte auch dann noch ein Ohr für Bedürftige.
Auch im Sterben noch da für uns - darin steckt ein ganzes theologisches Programm.
Die Botschaft für die Beterin und den Beter vor dem Kreuz wäre jedoch kürzer und klarer:
Ja, ich höre dich. In meinem Leid bin ich für dich da. Du kannst mit deinen Anliegen und Bitten zu mir kommen, kannst mir auch dein Leid anvertrauen. Denn aus Liebe zu dir hänge ich hier.
Diese Deutung gefällt mir gut. Zu diesem Christus bete ich gern.