Zum Einen ist da immer wieder die Frage nach dem Verhältnis der Kirche zu allen anderen Menschen und Menschengruppen.
Bei Paulus finden sich exemplarisch zwei spannende Aussagen, die auf den ersten Blick allerdings widersprüchlich erscheinen.
Im Römerbrief fordert er die Adressaten auf: „gleicht euch nicht dieser Welt an" (12,2). Mithin: Christen, unterscheidet euch vom Rest, seid anders, werdet nicht wie die Anderen!
Doch den Korinthern gesteht er:
„Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten." (1Kor 9,22)
Im Wald und vom Wald. Zinnowitz, 2019. |
Genau so werden wie die Welt oder möglichst anders sein?
Es ist der Zwiespalt, in dem sich die Kirche auch heute befindet: Sozial-caritativer Einsatz ist vielgefragt, nicht aber das lebendige Glaubenszeugnis. Das Einstehen für Werte wird allgemein goutiert, nicht aber die konkreten Einlassungen zum Lebensschutz. Kirchenstrukturreformen werden gefordert, aber die enorme Politisierung und die Anpassung der evangelischen Kirche an manche Strömungen des Zeitgeistes belächelt man.
Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen, die Frage aber bleibt: Anpassung oder Widerspruch?
Paulus fordert beides, auf verschiedenen Ebenen.
Als Kirche, als individuelle Christinnen und Christen, müssen wir nah bei den Menschen sein, in denselben Berufen und Schulen, Vereinen und Kneipen. Zugleich müssen wir deutlich machen, dass wir aus einer anderen Tiefe leben, dass sich unsere Welt nicht im Hier und Jetzt erschöpft.
Der Welt Hoffnung zu geben geht nur, wenn wir selbst aus dieser Hoffnung leben oder uns wenigstens nach ihr ausstrecken - und wenn wir gleichzeitig verwurzelt bleiben in den Freuden und Sorgen, im Alltagsstress und Herzeleid aller anderen.
Zum Anderen wäre etwas zu lernen bezüglich der eigenen Zwiespältigkeit.
Dafür steht Petrus. Petrus der Bekenner und Petrus der Versager. Der Bekenner - er lässt alles liegen, steigt voller Vertrauen aus dem Boot, schlägt dem Knecht ein Ohr ab und predigt nach Pfingsten in gewandten Worten.
Der Versager - er schlägt über die Stränge, will Jesus eines Besseren belehren, schläft in den entscheidenden Momenten ein, leugnet schließlich, seinen Meister überhaupt zu kennen und haut vor der Kreuzigung ab.
Würde die Kirche sich beide Seiten ihres „Felsens" zu Herzen nehmen und nicht nur das überlieferte Bekenntnis des Glaubens stark machen, das zu verkünden sie berufen ist, sondern auch ihr Versagen (siehe sexueller Missbrauch, siehe verfehlte Aufarbeitung, siehe Finanzskandale) deutlich benennen und bekennen, wäre auch ihr Glaubensbekenntnis vollständiger und glaubwürdiger.
In der Lebendigkeit dieses doppelten Zwiespalts läge wohl der Weg der Kirche: nah bei den Menschen, doch nicht in transzendenzbefreiter Hoffnungslosigkeit schmoren.
Und die Frohe Botschaft nicht aufgeplustert wie ein stolzes Hähnchen verkünden, sondern die eigenen Fehler und Sünden demütig bekennen.