1. Vater
Ich weiß nicht, was in Ihnen für
Gedanken und Gefühle entstehen, wenn ich "Vater" sage.
Vielleicht denken Sie "Idiot". Oder Sie bringen "Vater"
mit "Vorbild" zusammen. Vielleicht denken Sie aber auch:
"Trinker".
Vielleicht entsteht Sehnsucht. Oder
Wehmut. Oder aber Wut. Oder Traurigkeit.
Jeder macht andere Erfahrungen mit dem
Wort Vater.
Mir fällt bei dem Wort "Vater"
ein Mann ein, der vor vier Jahren mit dem großen Strom der
Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kam und den ich in einem
Nest in Brandenburg kennengelernt habe, als ich ein paar
Freizeitangebote für die Bewohner der dortigen Unterkunft machen
wollte.
Kugel am Himmel. Zinnowitz, 2019. |
Er hatte seine Tochter dabei und als ich ihn das erste Mal
traf, war er zwar schon einige Monate in Deutschland, aber das Lernen
der Sprache fiel ihm sehr schwer. Er war mit seinen Gedanken bei
seiner Frau und zwei kleinen Kindern, die noch in Syrien waren und
sich vor den Angriffen des IS fürchteten. In seinem Kopf war noch
kein Platz, um all das Neue zu ordnen und sich auf das Lernen zu
konzentrieren. Deshalb musste seine Tochter, die mit ihm zusammen
geflohen war, sie war vielleicht acht oder neun und hatte schon ein
paar mehr Brocken Deutsch gelernt, für ihn übersetzen. Das war
sicher nicht leicht für ihn, so abhängig zu sein.
Denn der Vater steht in unserer
kollektiven Vorstellungswelt dafür, dass er Dinge schafft und
hervorbringt. Er bastelt vielleicht etwas für Kinder. Oder er baut
ein Haus. Oder er repariert Dinge, in Deutschland vornehmlich Autos.
Kinder möchten auf ihre Eltern schauen
als auf jene, die ihre Lebensgrundlage sichern und auf die sie sich
verlassen können.
Als wir neulich im Wald unterwegs waren
und uns etwas verlaufen hatten, war meine Tochter ziemlich schnell
aufgeregt, als sie merkte, dass ihr Vater jetzt nicht mehr weiter
weiß.
Auf den Vater will man sich verlassen
können. Er soll die Dinge in der Hand haben und notfalls wieder
gerade rücken.
Das wünschen wir uns auch von Gott. In
manchen Krisensituationen gehen wir zu ihm und bitten ihn darum, dass
er die Dinge wieder zusammen bringt.
Und wenn das nicht klappt?
Wie mochte sich das Mädchen fühlen,
das viele Dinge, die mit der deutschsprachigen Außenwelt zu tun
haben, für ihren Vater zu erledigen hatte? Sie musste selbst das
machen, was ihr Vater nicht konnte – mit den Sozialarbeitern vor
Ort sprechen, mit den Lehrern, mit dem Busfahrer, mit der Verkäuferin
am Bäckerstand.
Ihr Vater war nicht stark und mächtig.
Er machte sich Sorgen um die in Syrien zurückgebliebene Familie und
hatte noch nicht einmal hier sein Leben in der Hand.
Wenn wir von Gott nicht erhalten, worum
wir ihn bitten, sind wir manchmal enttäuscht: Ist er nicht stark und
mächtig? Ist er nicht an meiner Seite, um mir beizustehen? Hat er
gar nicht alles in der Hand? Gibt es ihn überhaupt?
Sicher hat Gott auch etwas von dem
Schaffenden, dem Machenden, dem, der die Dinge im Griff hat.
Aber wenn Jesus von Gott als Vater
spricht, dann tut er das gar nicht unbedingt auf dieser Linie, es
geht Jesus nicht um den Gedanken an Allmacht und Stärke. Der Vater
ist vielmehr der, der sich sorgt und das Beste für seine Kinder
will. So wie der Syrer, der vorausging und die Ankunft für den Rest
der Familie vorbereiten wollte.
In Jesu berühmter Geschichte vom
verlorenen Sohn zeigt Gott sich außerdem als ein Vater, der voller
Liebe darauf wartet, dass sein Kind zurückkehrt. Er zieht ihn nicht
am Schopf aus dem Schlamm. Aber als er da ist, nimmt er ihn in die
Arme. Er feiert ein Fest mit ihm und gibt ihm eine weitere Chance.
Vielleicht ist das ein guter erster
Gedanke zum dreieinen Gott – besonders hier im Gefängnis.
Gott als Vater ist der, der uns erwartet, der uns noch eine weitere Chance gibt und mit uns feiern will.
Gott als Vater ist der, der uns erwartet, der uns noch eine weitere Chance gibt und mit uns feiern will.
2. Sohn
Auch das Wort "Sohn" ist
vielfach vorgeprägt.
Ein Sohn hat meist Ähnlichkeit mit den
Eltern, im Guten wie im Schlechten, ob er das will oder nicht. Eltern
wiederum haben Erwartungen an ihren Sohn. Gerade amerikanische Filme
drehen sich oft um das, was ein guter Sohn in den Fußstapfen seines
Vaters tun soll oder tun will.
"Einen Sohn lebendig bis ins
Erwachsenenalter zu bringen muss Eltern manchmal vorkommen wie ein
zähes Wiederholungstrainung, ein oftmals vergebliches, aber
liebevolles Bemühen um Beständigkeit."1
So schreibt der Schriftsteller Richard Ford in den Erinnerungen an
seine Eltern.
Kinder gehen ihre eigenen Wege und
nicht immer ist das für die Eltern verständlich. Manche Dinge
verstehen sie einfach nicht, weil die Kinder in ihrer eigenen Welt
leben.
Andere Welt. Neukölln, Berlin, 2018. |
Nach dem Tod seines Vaters schreibt
Ford von seiner Mutter:
"Sie beobachtete meine ersten
Schritte als Schriftsteller und unterstützte mich darin, aber sie
verstand nicht, warum ich das unbedingt wollte. 'Wann suchst du dir
endlich eine Arbeit und legst los?', fragte sie mich einmal, nachdem
ich schon zwei Romane veröffentlicht hatte und in Princeton
unterrichtete."2
Obwohl die Mutter ihrem Sohn über
viele Jahre sehr nahe war und ihn zweifellos stark geprägt hat, ist
ihr schleierhaft, wie man so leben will wie ihr Sohn.
Die Welt ihres Sohnes blieb ihr fremd,
auch wenn sie ihn unterstützte.
Gott hat mehr Möglichkeiten als sie –
und er nutzt sie. (Das ist das Geheimnis von Weihnachten.)
Gott bekommt den Blick über den
Tellerrand hin. Er bleibt der Welt, die er selbst geschaffen und die
sich dann so sehr von ihm entfremdet hat, treu. Und zwar so treu,
dass er, der Schöpfer, selbst ein Geschöpf wird.
Er wechselt sozusagen die Seiten und
taucht ein in Zeit und Raum. Gott holt sich diese andere Perspektive
ins Haus – denn er ist Vater und Sohn zugleich.
Auch das können wir also über Gott
festhalten: dass er mehrere Perspektiven hat – er schaut nicht nur
von oben und von weit entfernt aus dem Himmel, sondern auch von
unten, wir können sogar sagen von innen.
Er ist ein Gott, der "out of the
box" lebt, nicht begrenzt von den üblichen Vorstellungen und
Klischees.
Als Sohn geht er einerseits in den
Fußstapfen des Gottes, der sich dem Volk Israel in den Jahrhunderten
zuvor offenbart hat – als ein fürsorglicher, werbender,
heimrufender, liebender Gott.
Aber es gibt auch Seiten des
alttestamentlichen Gottesbildes, die Jesus völlig umkrempelt. Der
rachsüchtige und nachtragende, der ausrastende und kleinliche Gott,
der sich an manchen Stellen der Bibel zeigt, tritt in seiner Predigt
und in seinem Handeln nahezu völlig in den Hintergrund.
Kurz gesagt: Jesus macht bei der Gewalt
nicht mit.
Nicht bei der Gewalt gegen Frauen
(erinnert sei nur an die vorgeführte Ehebrecherin in Joh 8), nicht
bei der Gewalt gegen Andersgläubige, nicht bei der Gewalt gegen die
römischen Besatzer, nicht bei der Gewalt gegen seine Feinde.
Leider hat die Kirche es in den vielen
Jahrhunderten nicht geschafft, so wie Gott-Sohn gegen Gewalt
aufzustehen – und erst recht selbst keine einzusetzen.
Nichtsdestotrotz: Gott tritt als einer
auf, der den Frieden sucht und die Gewalt als Mittel verabscheut.
Vielmehr erleidet er die Gewalt.
Er zeigt sich als Gott, der
verschiedene Perspektiven einnehmen will und dafür Grenzen
überschreitet. Dabei tritt er zwar auch in die Fußspuren des
Vaters, aber sein Weg als Sohn ist noch einmal ein eigener. Auch an
diesem Gesicht Gottes kann man sich im Gefängnis gut orientieren.
3. Geist
Wer „Geist" sagt, hat heute wohl
meistens ein Gespenst oder einen Poltergeist als Assoziation im Kopf.
Jedenfalls irgendetwas, das nicht so ganz von dieser Welt ist, das
man nicht fassen kann, das es vielleicht gar nicht wirklich gibt.
Natürlich hat „Geist" auch noch
viele andere Bedeutungen, aber beschränken wir uns mal auf diese.
Vielseitig begabt. Linum, 2018. |
Wenn ich zum Beispiel eine Predigt
halten muss, dann setze ich mich eine Woche vorher hin und
beschäftige mich mit dem Thema oder dem vorgeschlagenen Text. Ein
paar Tage lang lasse ich es in mir köcheln und schaue immer mal
wieder nach, ob da ein Gedanke gekommen ist, ob ich spontan
irgendetwas aus meinem Umfeld als Inspiration nehmen kann.
Manchmal habe ich dann am Donnerstag
oder Freitag einen Leitgedanken, den ich ausspinnen kann und aus dem
dann eine Predigt wird. In anderen Wochen sitze ich am Freitagabend
da und starre in die Luft.
Irgendwas kommt ja dann immer – aber
manchmal hat es eben Hand und Fuß und manchmal hängt es so ein
bisschen in der Luft.
An bestimmten Tagen habe ich den
Eindruck, dass ist selbst nicht viel schaffen kann, zu viel Krempel
hat sich in meiner Seele aufgestaut, zu viel Geschrei in der Wohnung,
zu viel zu tun, zu viel, das mich hindert, mich wirklich einzulassen
auf die Fragen des Textes oder des Themas.
In dieser Woche dann habe ich das
Evangelium (Joh 16,12-15) noch einmal gelesen: "er wird nicht
aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört."
(v13)
Die Rede ist vom Heiligen Geist. Er
gibt das weiter, was Gott will – und will uns darin ein Vorbild
sein. Wenn ich in meinem Alltag mal ein bisschen mehr zuhöre,
anstatt immer zu quatschen, kann auch ich mehr Relevantes sagen.
Der Heilige Geist ist die Kreativität,
die Phantasie, er lebt in den vielen Fähigkeiten und Sprachen, die
Menschen so haben.
Der Heilige Geist ist der Gott mitten
unter uns. Er ist Gott in unserer Mitte. Ebendarum ist er tatsächlich
nur schwer fassbar und nicht immer eindeutig abgrenzbar.
Er will uns mit be-geist-erter Freude
erfüllen und ebenso mit ruhigem Frieden. Und in allem unser Herz für
die Liebe Gottes öffnen.
4. Schluss
Und damit noch einmal zu dem irakischen
Flüchtling aus Syrien.
Ich habe ihn mit einigen anderen
Geflüchteten eingeladen, in einem Bildungshaus einen Keramikworkshop
zu machen. Eine Freiwillige hat Erwachsene und Kinder angeleitet,
einen Fisch zu formen. Das haben alle gemacht – nur dieser Mann hat
angefangen, ein Kreuz zu gestalten. Ich habe ihn (durch die
Übersetzungshilfe seiner Tochter) gefragt, ob er denn Christ sein.
Das hat er verneint. Er sei Muslim und glaube an Allah und seinen
Propheten Mohammed. Aber er kenne Christen aus seiner Heimat in
Syrien.
Nachdem er das Kreuz beim zweiten
Treffen noch angemalt hatte, wollte er es uns schenken. Denn er
wusste, dass es sich um ein christliches Haus handelt.
Ihm war wichtig, uns etwas zu schenken,
das für uns wichtig ist. Selbst wenn für ihn als Muslim Jesus am
Kreuz nicht besonders wichtig sein dürfte, wollte er sich doch bei
uns bedanken und uns eine Freude machen mit diesem christlichen
Symbol.
Da war ich erst einmal sehr erstaunt –
und erfreut natürlich auch. Aber dann dachte ich: wie toll ist das,
dass er uns etwas schenken möchte, das uns gut tut, nicht etwas, das
ihm gut tut!
Dieser Mann hat seinen eigenen
Tellerrand übersprungen und hat uns ein wunderbares Geschenk
gemacht. Damit war er genau in der Spur des Gottes, wie wir Christen
ihn glauben.
Was können wir also
mitnehmen von diesem Gott, den wir als dreifaltigen Gott verehren?
Gott nimmt verschiedene Perspektiven
ein und lebt über seinen Tellerrand hinaus – er ist ein Vorbild
dafür, wie man "out of the box" lebt.
Vater - Gott wartet auf uns und will
uns noch mehr Chancen geben.
Sohn - Gott ist kein Gott der Gewalt,
er erleidet die Gewalt der Menschen.
Heiliger Geist - Gott begabt uns und
will uns mit Liebe anstecken.
Ansteckend. Berlin, 2016. |
1 R.
Ford, Zwischen ihnen. München 2017, 18.
2 Ebd.,
116f.