Samstag, 22. Juni 2019

"Herrscher der Welt, lass mich heute Glück haben!" Ein Aspekt des alttestamentlichen Gottesbildes

Ich bin in Hinsicht auf biblische Befunde nicht mehr so leicht zu überraschen.
Aber mit Blick auf das Gottesbild der Bibel wurde mir vor einiger Zeit noch einmal etwas Ungeheuerliches klar, das ich aus Anlass der Frage Jesu "Für wen haltet ihr mich?" (Lk 9,20 im Sonntagsevangelium) benennen will.

Wer sich in der Glaubenswelt der Nachbarvölker Israels umschaut, wird die Abdrücke jener Gottesvorstellungen auch in der Bibel wiederfinden. In der alttestamentlichen Darstellung Gottes gehen verschiedene Anteile von Götterpersönlichkeiten aus dem Umfeld der Bibel auf, wie Jack Miles in seiner Biographie Gottes aus den 1990ern schreibt. 
Zwei dieser Anteile seien hier genannt.

Kultstätte unter Deck.
Großmarkt, Charlottenburg, Berlin, 2019.
Der Hochgott Kanaans El ist beispielsweise der Schöpfer und der Zerstörer der Welt, er hat ein Pantheon verschiedener Götter unter sich. Seine Aufgabe war „die Bildung und Vernichtung ganzer Völker, das Geben und Nehmen ganzer Länder, die Errichtung und Aufrechterhaltung der politischen Ordnung1
Er war, mit anderen Worten, der König des Universums, alles andere war ihm zugeordnet.
In der Bibel begegnet jene Gottesvorstellung wieder als der Weltenschöpfer am Anfang des Buches Genesis.

Im Zweistromland das andere Extrem: Die altmesopotamische Religion kannte eine Art von Göttern, die für das Private zuständig war: „der persönliche Gott, den man typischerweise mit dem Namen seines Klienten bezeichnete ... Die Autorität des persönlichen Gottes war klein, aber das Maß der Verantwortung, die er für seinen Verehrer und Klienten trug, war groß.“2
Mit jeder kleinen Bitte um Schutz oder Hilfe konnte man zu ihm kommen, ihm opfern, ihn anrufen. Dieser „Gott des X“ war ein nur sehr beschränkt zuständiger Gott, eher ein besserer Schutzengel.

In der Abrahamsgeschichte nun kommt es laut Miles zur Verschmelzung dieser beiden Gottesvorstellungen. Als der Knecht Abrahams sich auf die Suche nach einer passenden Frau für Isaak, den Sohn seines Herrn, macht, betet er und spricht dabei in einem Satz den Weltenherrscher und den Gott des Abraham an:
"HERR, Gott meines Herrn Abraham, lass mich heute Glück haben und erweise meinem Herrn Abraham Huld!" (Gen 24,12)

Ich habe es nicht selbst überprüft, aber Miles weist darauf hin, dass die im Hebräischen genutzten Vokabeln für Gott an dieser Stelle das erste Mal (wenn man das Buch Genesis vom Beginn an liest) in einem Satz zusammenfinden.
Der Ewige und Allherrschende wird von Abrahams Knecht identifiziert mit dem privaten Gott seines Herrn. Im Folgenden gerät dies der Bibel zum Programm: „Das Schicksal der Nationen, siehe Sodom, liegt in seinen Händen, aber er kann sich auch herabbeugen, um direkt in das Privatleben eines einzelnen Mannes einzugreifen.“3

Für uns Christen mag das ganz normal scheinen, aber die Ungeheuerlichkeit dieser Verschmelzung, diese für Menschen des Altertums nicht ausdenkbare Einheit von Weltenschöpfer und persönlichem Beschützer muss wirklich eine religiöse Revolution gewesen sein.

Das Wesen von unendlicher Macht und Größe ist jetzt involviert in die kleinen Angelegenheiten.
Eigentlich eine schöne Zusammenfassung für den Gott Jesu Christi.
Und so eine gut mögliche Antwort auf die Frage: "Für wen haltet ihr mich?"
Kultstätte im Dunkel.
Christian-Schreiber-Haus, Alt-Buchhorst, 2019.


1   J. Miles, Gott. Eine Biographie. 3. Aufl. München 2000, 80.

2   Ebd., 81.


3   Ebd., 83.