Ich bin in Hinsicht auf biblische
Befunde nicht mehr so leicht zu überraschen.
Aber mit Blick auf
das Gottesbild der Bibel wurde mir vor einiger Zeit noch einmal etwas
Ungeheuerliches klar, das ich aus Anlass der Frage Jesu "Für
wen haltet ihr mich?" (Lk 9,20 im
Sonntagsevangelium)
benennen will.
Wer sich in der
Glaubenswelt der Nachbarvölker Israels umschaut, wird die Abdrücke
jener Gottesvorstellungen auch in der Bibel wiederfinden. In der
alttestamentlichen Darstellung Gottes gehen verschiedene Anteile von
Götterpersönlichkeiten aus dem Umfeld der Bibel auf, wie Jack
Miles in seiner Biographie Gottes aus den 1990ern schreibt.
Zwei
dieser Anteile seien hier genannt.
Kultstätte unter Deck. Großmarkt, Charlottenburg, Berlin, 2019. |
Der Hochgott Kanaans El ist
beispielsweise der Schöpfer und der Zerstörer der Welt, er hat ein
Pantheon verschiedener Götter unter sich. Seine Aufgabe war „die
Bildung und Vernichtung ganzer Völker, das Geben und Nehmen ganzer
Länder, die Errichtung und Aufrechterhaltung der politischen
Ordnung“1
Er war, mit anderen Worten, der König
des Universums, alles andere war ihm zugeordnet.
In der Bibel begegnet jene
Gottesvorstellung wieder als der Weltenschöpfer am Anfang des Buches
Genesis.
Im Zweistromland das andere Extrem: Die
altmesopotamische Religion kannte eine Art von Göttern, die für das
Private zuständig war: „der persönliche Gott, den man
typischerweise mit dem Namen seines Klienten bezeichnete ... Die
Autorität des persönlichen Gottes war klein, aber das Maß der
Verantwortung, die er für seinen Verehrer und Klienten trug, war
groß.“2
Mit jeder kleinen Bitte um Schutz oder
Hilfe konnte man zu ihm kommen, ihm opfern, ihn anrufen. Dieser „Gott
des X“ war ein nur sehr beschränkt zuständiger Gott, eher ein
besserer Schutzengel.
In der Abrahamsgeschichte nun kommt es
laut Miles zur Verschmelzung dieser beiden Gottesvorstellungen. Als
der Knecht Abrahams sich auf die Suche nach einer passenden Frau für
Isaak, den Sohn seines Herrn, macht, betet er und spricht dabei in
einem Satz den Weltenherrscher und den Gott des Abraham an:
"HERR, Gott meines Herrn
Abraham, lass mich heute Glück haben und erweise meinem Herrn
Abraham Huld!" (Gen 24,12)
Ich habe es nicht selbst überprüft,
aber Miles weist darauf hin, dass die im Hebräischen genutzten
Vokabeln für Gott an dieser Stelle das erste Mal (wenn man das Buch
Genesis vom Beginn an liest) in einem Satz zusammenfinden.
Der Ewige und Allherrschende wird von
Abrahams Knecht identifiziert mit dem privaten Gott seines Herrn. Im
Folgenden gerät dies der Bibel zum Programm: „Das Schicksal der
Nationen, siehe Sodom, liegt in seinen Händen, aber er kann sich
auch herabbeugen, um direkt in das Privatleben eines einzelnen Mannes
einzugreifen.“3
Für uns Christen mag das ganz normal
scheinen, aber die Ungeheuerlichkeit dieser Verschmelzung, diese für
Menschen des Altertums nicht ausdenkbare Einheit von Weltenschöpfer
und persönlichem Beschützer muss wirklich eine religiöse
Revolution gewesen sein.
Das Wesen von unendlicher Macht und
Größe ist jetzt involviert in die kleinen Angelegenheiten.
Eigentlich eine schöne Zusammenfassung
für den Gott Jesu Christi.
Und so eine gut mögliche Antwort auf
die Frage: "Für wen haltet ihr mich?"
Kultstätte im Dunkel. Christian-Schreiber-Haus, Alt-Buchhorst, 2019. |
1 J.
Miles, Gott. Eine Biographie. 3. Aufl. München 2000, 80.
2 Ebd.,
81.