Samstag, 8. Juni 2019

Pfingsten: Die "stages of change" und der Geist

"Viele Beratungsaktivitäten basieren auf der Annahme, dass die Adressaten bereit sind, ihr Verhalten zu ändern ... Dies trifft aber nur für einen ganz kleinen Teil der Bevölkerung wirklich zu. Wesentlich mehr Menschen befinden sich zum Zeitpunkt der Beratung in Stadien der Absichtslosigkeit (Precontemplation) oder der Absichtsbildung (Contemplation)."1

Mit anderen Worten: Es passiert nichts, weil die Betreffenden einfach nicht motiviert sind. Veränderung ist gar nicht gewollt, es existiert kein Problembewusstsein.

Wer mit diesen Gedanken aus der Motivationspsychologie im Hinterkopf auf die Anfänge der Kirche schaut, wie sie am Pfingstfest gefeiert werden, dem kann ein Licht aufgehen.

Gilt auch an Pfingsten?
Kletterausrüstung, Berlin, 2019.
Bisher saßen die Apostel in Jerusalem herum. Vielleicht glaubten sie an die Auferstehung, vielleicht kam ihnen Jesus schon himmelweit fern vor. Jedenfalls hatten sie seinen Auftrag, in alle Welt zu gehen und den Menschen seine Botschaft zu bringen, nicht ausgeführt.
Sie waren auch nicht bereit, dieses Verhalten zu ändern. Vage Absichten, die sie eventuell hatten, haben sie jedenfalls nicht in Bewegung gesetzt.

Das "transtheoretische Modell der Verhaltensänderung" stellt nach diesen beiden Phasen die folgenden weiteren "stages of change" vor: konkrete Vorbereitung (Preparation) einer Änderung, tatsächliche Handlung (Action) und schließlich die Aufrechterhaltung (Maintenance) der Änderung.

Angewendet auf das Pfingstereignis scheinen die Apostel es endlich geschafft zu haben, aus ihrer Hütte herauszukommen (vgl. Apg 2,1-11) und ihr Wollen in eine erste Handlung umzusetzen.
Als Christen sprechen wir davon, dass der Heilige Geist sie erfüllte und dazu bewegt hat, tatsächlich verkündigend aktiv zu werden. Die Psychologen benennen die Ziele bei diesem Schritt: "Verstärken des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten, Unterstützen der Implementierung der neuen Verhaltensweisen, Mobilisierung sozialer Unterstützung"

Sozial dürften sich die Apostel gegenseitig bestärkt haben. Das Vertrauen in die neu empfangenen oder neu entdeckten eigenen Fähigkeiten, von Jesus als dem Erlöser zu sprechen, scheint mit dem Erfolg gewachsen zu sein, auch wenn die Gefahr der Verfolgung immer noch in der Luft lag.
Ergo: Das "Zielverhalten" wird ausgeübt, die Predigt vom Messias Gottes, vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus nimmt ihren Anfang.

Doch Kirche würde nicht mehr bestehen, wenn es keine Konsistenz dieser Predigt und des Lebens nach dem Beispiel Jesu gegeben hätte.
Langfristiges Ziel der Verhaltensänderung bei den ängstlichen Jüngern musste also sein: "das Zielverhalten stabilisiert sich", es kommt zu einer "Automatisierung" des Zielverhaltens, Rückfälle werden konstruktiv verarbeitet.

Sie scheinen das geschafft zu haben. Irgendwie hat der göttliche Geist in ihnen eine Verhaltensänderung angestoßen und ihnen die Kraft gegeben, trotz Rückfällen auf diesem Weg zu bleiben, so dass die Kirche wachsen und sich ausbreiten konnte.

Mit Blick auf die heutige Kirche, die ja allenthalben um ein neues Pfingsten betet und sich Reformen 
oder einen missionarischen Neuaufbruch wünscht, stellt sich die Frage, was den ersten Christen ihren Halt und Motivation gegeben hat: „Was haben Sie bereits erreicht? Worauf können Sie stolz sein? Was hat Ihnen bisher geholfen? Wie reagieren Sie auf Schwierigkeiten und Hindernisse?“ und nicht zuletzt: „Welche Vorteile des geänderten Verhaltens sind für Sie am wichtigsten?

Aus dem Rückblick nämlich konnten die Jünger sicher auf eine Reihe Erfolge zurückschauen, aus heutiger Sicht hätten sie es jedenfalls gekonnt.
Immerhin ging die Botschaft Jesu und das Zeugnis von der Liebe Gottes zu allen Menschen um die Welt.

An dieser Stelle steht zwar auch die heutige Kirche. Aber damit diese Botschaft und dieses Zeugnis auch in unserer westlichen Welt wieder ankommt, sind eine ganze Reihe von Aufbrüchen und Änderungen nötig.
Wahrscheinlich muss sich jede Gemeinde und jede Ortskirche fragen, ob sie schon genügend Problembewusstsein hat. Denn allen Beteuerungen zum Trotz befinden sich viele Christen hierzulande weiterhin in der „Phase der Absichtslosigkeit“. Dazu gehört auch das Abschieben wesentlicher Fragen auf die Hierarchie. Das reicht jedoch nicht mehr!

Es ginge inzwischen darum, den Heiligen Geist zu bitten, dem „Herausstellen von Vorteilen einer Verhaltensänderung“ in unseren Köpfen mehr und mehr den Weg zu bereiten.

Und dann mag der Geist seine erste entscheidende Frage stellen:
Was wollen Sie ab sofort erproben?

Sofort erproben!
Zinnowitz, Usedom, 2019.

1   So wird die Ausgangslage vieler Patienten nach dem Modell von Prochaska und Di Clemente beschrieben in: https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/medizinische_klinik/Abteilung_2/Sektion_Allgemeinmedizin/publikationen/Veroeffentlichungen/ludt_sz_patienten_123.pdf.
Auch die folgenden Erläuterungen der verschiedenen Phasen folgen im Wesentlichen diesem Text, die Zitate und Begriffe sind ihm entnommen auf den Seiten 125.126.127.