Freitag, 17. Mai 2019

Leichte Liebe, schwere Liebe. Über religiöse Erkennungszeichen

Manchmal erlebe ich unter muslimischen Inhaftierten Diskussionen dieser Art: Wann ist jemand ein echter Muslim? Wenn er kein Schweinefleisch isst? Wenn er fünfmal am Tag betet? Wenn er im Ramadan fastet? Wenn er den Koran wörtlich versteht?

Schatten und Licht erkennen.
Bahnhof Ostkreuz, Berlin, 2019.
Insofern ich in solche Fragen involviert werde, bin ich versucht zu sagen, dass es doch sehr schwer ist, an solchen äußeren Kennzeichen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe festzumachen. Denn all diese äußeren Zeichen zielen doch aufs Innere – auf die Beziehung des Einzelnen zu Allah, auf die Hingabe des Herzens. Und wer kann schon ins Herz sehen und dort die innere Beziehung zu Gott anschauen? 

Jedenfalls ist es für mich als Christen naheliegend, so zu denken. Zugleich weiß ich aber, dass es auch andere Vorstellungen gibt und dass auch wir Christen oft dazu neigen, äußere Merkmale zur Grundlage für die Entscheidung über die Gruppenzugehörigkeit zu machen.

Aber gelegentlich habe ich auch schon mal gedacht, dass wir Christen es da leichter haben.
Denn Jesus nennt im Evangelium des Sonntags ein einziges Erkennungszeichen für die Christen:

Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.
Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Joh 13,34f)

Das hauptsächliche Unterscheidungskriterium für uns Christen ist kein kultischer Vollzug, kein Glaubensbekenntnis, keine Speisevorschrift und kein Kirchensteuerbescheid.
Es ist gegenseitige Liebe – so viel lebensnäher, praktischer, nachprüfbarer.

Das macht die Sache wirklich leichter, weil eindeutiger.
Aber zugleich unendlich viel schwerer. Denn wenn Christen immer dann als solche erkennbar sind, wenn sie einander lieben, dann kann man sie wohl fast niemals als Christen erkennen.

Selbstkritisch kann man darum konstatieren: Vielleicht werden aus diesem Grund viele andere Kennzeichen gesucht, die ablenken vom Versagen auf dem grundlegenden Gebiet.

Es lässt sich aber auch positiv formulieren: Durch das Miteinander der Christen, das nach außen sichtbar ist, wird erkennbar, was sie im Herzen haben.
Hier nämlich verbindet sich das Innen mit dem Außen, das Herz mit dem Tun.

Und ein Zweites lässt sich sagen: Ist das nicht ein wundervoller Ansporn? So sinnerfüllt sind nur wenige religiöse Erkennungsmarker:
Gott will, dass wir barmherzig und liebevoll sind wie er. Seine Liebe hat uns erlöst. Wir müssen nur hineinschwingen und mitlieben.

Erlöst am Ostkreuz.
Berlin, 2018.