Gott will bei den Menschen
sein – das ist der Kern des Christentums.
Es ist der Kern von
Weihnachten, wenn wir feiern, dass Gottes Wort ein Mensch wird.
Es ist der Kern des
Osterfestes, wenn wir feiern, dass Jesus über den Tod hinaus bei den
Seinen ist.
Es ist der Kern von
Pfingsten, wenn wir feiern, dass Gott im Heiligen Geist bei uns
bleibt.
Immerzu feiert die
Christenheit Gottes Gegenwart unter den Menschen.
Es ist auch der Kern
unseres Gottesdienstes.
Heute sollen darum ein
paar Gedanken zur Feier unserer Gottesdienste als Predigt dienen.
1. Versammlung
Das, womit der
Gottesdienst beginnt, ist kein Wort, ist kein Lied, ist kein Zeichen.
Das Erste ist, dass wir
zusammenkommen.
Denn wir können zwar auch
jeder allein für sich beten, doch am Sonntag kommen wir zusammen.
Wir stehen dann nicht allein vor Gott, sondern als Gemeinde.
Versammelt und vorbereitet. Erkner, 2018. |
Sie sind hier, im
Gottesdienstraum der JVA Plötzensee, die versammelte Gemeinde Gottes
an diesem Sonntag. Ob Sie nun getauft sind oder nicht, ob Sie glauben
oder nicht, ob Sie katholisch sind oder evangelisch oder orthodox –
Sie haben sich zum Gottesdienst versammelt.
Weshalb Sie genau gekommen
sind, ist deshalb auch gar nicht so wichtig – wichtig ist, dass wir
uns heute hier versammelt haben.
Denn Gott meint und ruft
zwar jeden einzeln und persönlich, und wir können auch einzeln und
persönlich mit ihm in Kontakt kommen, aber darüber hinaus ruft er
uns zur Gemeinschaft. Wir sollen nicht allein bleiben.
Vielmehr will Gott die
Menschen zusammenrufen, er will in ihrer Mitte wohnen, er will, wie
es die Osterberichte zeigen, in ihre Gemeinschaft kommen und
Gemeinschaft unter uns Menschen stiften.
Und wenn wir uns
versammelt haben, dann können wir uns auch unter ein gemeinsames
Zeichen stellen. Für uns Christen ist es das Kreuzzeichen – das
Zeichen, das uns verbindet und zeigt, dass wir zu Jesus Christus
stehen, der sich aus Liebe für die Menschen hat kreuzigen lassen.
Unter diesem Zeichen haben
wir uns versammelt.
Wir bleiben nicht allein,
weil wir mit den Anderen zusammen hier stehen. Und wir bleiben nicht
allein, weil Gott dann selbst zu uns kommen will.
2. Sich selbst vor Gott
bringen
Wenn wir uns versammeln,
dann kommt jeder anders in diesen Raum. Der eine hat gut geschlafen,
der andere nur mit schweren Medikamenten, einer schaut auf die
Lockerung, die hoffentlich bald kommt, ein anderer macht sich Sorgen
um die Familie draußen, einer musste gerade noch einen Konflikt auf
der Piste austragen, ein anderer konnte in Ruhe den Tag beginnen...
Wir kommen mit
unterschiedlichen Gefühlen und Erfahrungen, mit unterschiedlichen
Hoffnungen und Ängsten. Und all das können wir mitbringen in diesen
Gottesdienst.
Wer sich am Beginn des
Gottesdienstes etwas Zeit nimmt und in Stille vor Gott tritt, der
sammelt sich sozusagen selbst ein und legt all das, was er ist und
hat, vor Gott hin.
All das, was in einem
Leben misslungen ist, was zerbrochen ist, was steckengeblieben ist,
aber auch das, was gelungen ist, was leuchtet und glänzt, was nur so
schnurrt, kann dann beim Gottesdienst dabei sein.
Jeder ist gerufen, als
ganzer Mensch in der Gegenwart da zu sein. Denn nur wenn wir ganz da
sind, kann auch Gott ganz bei uns sein – wenn wir verstreut und mit
vielen anderen Dingen beschäftigt sind, werden wir auch Gottes
Gegenwart nicht bemerken. (Das gilt natürlich nicht nur für den
Gottesdienst, sondern auch sonst...)
3. Lobgesang und Gebet
In dieser gesammelten
Gegenwart kommen wir natürlich auch zu Gesang und Gebet zusammen.
Wir wenden uns Gott zu und
nehmen Kontakt mit ihm auf. So tasten wir über uns hinaus und
hoffen, dass da jemand ist, der uns hört.
Besonders intensiv kann
dieses Gebet werden, wenn es gesungen wird. Nicht nur ein Stammeln
und Verhaspeln, sondern der Versuch, Gott mit Klang und Stimme zu
erreichen.
Zwar könnten wir auch
aussprechen, was uns wichtig ist, aber wenn wir singen, dann klingt
es im wahrsten Sinne des Wortes noch einmal völlig anders.
Denn der Ton macht, wie
man so sagt, die Musik. Und er macht eben auch das Gebet.
Wenn wir die Stimme
erheben, dann gehen wir über uns hinaus – wir strengen uns an, wir
bringen unser Anliegen zum Klingen, wir bringen es festlicher und
feierlicher vor.
Boden. Auch bereitet. Sonnenallee, Berlin, 2019. |
Schließlich kann uns der
Gesang auch in meditative Stimmung versetzen – wie das bei den
Troparien oder dem Trishagion der byzantinischen Liturgie in der
Ostkirche der Fall ist, oder auch bei den vielmals wiederholten
Gesängen in Taizé.
Deshalb singen wir immer
wieder während des Gottesdienstes – es ist das gemeinsame Gebet,
ist ein Einstimmen in das Gebet der vielen Mitfeiernden – und, wie
wiederum in der Ostkirche stark betont wird, es ist ein Mitsingen mit
den Chören der Engel im Himmel. Vielleicht klingt es nicht so
himmlisch, aber wir dürfen uns einklinken und darauf vertrauen, dass
wir in einem gewaltigen Chor mitsingen und Gott loben.
4 Hören und Bekennen
Stille und Besinnung
gehören also in den Gottesdienst ebenso wie Gesang und Gebet.
Aber nun kommt ein
weiterer Punkt, den viele mit Kirche besonders stark assoziieren: das
Hören.
Und natürlich sind es die
Lesungen aus der Heiligen Schrift, die im Zentrum stehen, wenn es um
das Hören geht. Wenn wir aus den Schriften der Bibel vorgelesen
bekommen, dann wird eine Verbindung hergestellt zwischen uns und den
damals Lebenden mit ihren Gotteserfahrungen. Das, was damals eine
Bedeutung hatte, kann es auch für uns haben.
Denn wir glauben:
Christus ist in seinem
Wort mitten unter uns.
In diesem Sinne wurde die
Bibel auch als eine Art Brief Gottes an den Lesenden oder Hörenden
bezeichnet. Denn so wie ein Briefschreiber in dem anwesend ist, was
er ganz persönlich einem anderen schreibt, so ist auch Gott
anwesend, wenn wir biblische Lesungen hören.
Und noch mehr: Gott
schenkt sich uns in seinem Wort.
Denn beim Hören können wir uns darauf verlassen, dass er uns meint und uns
aufrichten oder aufrütteln, trösten oder ermahnen will. Dass er uns
einlädt, uns ansprechen zu lassen und verwandelt zu werden.
Gott schenkt sich auch in
Brot und Wein. Das ist sozusagen die handfeste Variante. Wo er
einsteht für das, was er uns im Wort verspricht. Die Verwirklichung
des Wortes in Fleisch und Blut.
Das können wir hier nicht
in dieser Form feiern.
Aber beides – Gottes
Anwesenheit im Wort und seine Anwesenheit im Mahl – soll uns
verwandeln.
Dann können wir antworten
auf dieses Wort, das Gott uns an diesem Tag gesagt hat.
Klassischerweise kommt
nach der Auslegung der Lesungen (also der Predigt) deshalb das
Glaubensbekenntnis. Das Bekenntnis ist sozusagen die bestätigende
Antwort auf das, was Gott durch die Bibel zu den Feiernden sagt.
5 Versöhnung
Ein weiteres Element des
Gottesdienstes ist die Versöhnung, der Friedensgruß.
Dazu lädt Gott uns ein:
Dass wir uns mit einander und mit ihm versöhnen.
Es geht also wiederum
nicht nur um Gott und mich allein, sondern darum, dass wir mit den
Menschen um uns in ein besseres Verhältnis kommen.
In einem Gottesdienst wird
dann nicht ausdiskutiert, was schief gelaufen ist, man wird nicht
anklagen und verteidigen oder bitterlich um Verzeihung bitten. Aber
man kann ein Zeichen setzen.
Es ist ein Zeichen des
guten Willens, eine Geste. Wir reichen einander die Hand.
Man könnte sagen: NUR
eine Geste, NUR ein Zeichen. Man kann aber auch sagen: Immerhin ein
Zeichen, immerhin ein Anfang.
Und tatsächlich bitten
wir Gott ja um den Frieden, wir hoffen auf Kraft für einen neuen
Anfang mit denen, die um uns herum sind. Schließlich hoffen wir,
dass wir diesen Frieden auch ausbreiten können.
Damit erbitten wir
eigentlich eine Aufgabe von Gott. Er soll uns seinen Frieden geben,
damit wir friedliche Menschen werden.
Ob das nun jemandem im
Gottesdienst Kraft gibt – oder ob es vielmehr Kraft kostet, das ist
eine interessante Frage, die ich an anderer Stelle gern noch einmal
näher betrachten will.
Im weiteren Sinne ist das
sogar eine politische Aufgabe. Der Frieden, den wir im Gottesdienst
nur in der Geste des Friedensgrußes weitergeben, soll außerhalb des
Gottesdienstes unser Leben bestimmen.
Nicht dass das oft
geklappt hätte in der Geschichte der Kirche: Aber immerhin ist
dieser Wunsch des Friedens eines der durchgehenden Worte, die der
auferstandene Jesus in vielen Erscheinungsgeschichten sagt. Es
scheint damals genauso wie heute nötig gewesen zu sein, Frieden
zu empfangen und Frieden weiterzugeben.
Was sonst? Moabit, Berlin, 2016. |
6 Für Andere bitten
An den Friedensgruß
schließen sich bei uns die Bitten an.
Versöhnt mit Gott und den
Menschen können wir das vorbringen, was uns auf dem Herzen liegt.
Sicher sind das in vielen
Fällen Anliegen, die uns betreffen oder jene, mit denen wir eng
verbunden sind.
Aber die Bitten sind auch
ein Moment im Gottesdienst, wo sich die Gemeinde, wo sich die
einzelne Person öffnen kann für Dinge, die sonst außerhalb des
eigenen Horizonts liegen.
Auch alle anderen werden nun mit in den Blick genommen, besonders die Notleidenden, die Schwachen,
diejenigen, die nicht glauben können oder die bei allen anderen
hinten runterfallen.
Ich persönlich finde es
deshalb sehr schön, wenn in Gemeindegottesdiensten bisweilen auch an
jene erinnert werden, die im Gefängnis sitzen. Wer denkt sonst schon
in dieser Weise an Sie – außer Ihren Angehörigen?
Und auch Sie können hier
an jene denken, die sonst vergessen werden. Oder an die, die unsere
Bitten besonders nötig haben.
Hinter der Bitte steht die
Einsicht, dass wir nicht alles selber schaffen.
So wenden wir uns an
jemandem, dem wir zutrauen, dass unser Anliegen bei ihm gut
aufgehoben ist.
Wenn wir unsere Bitte vor
Gott formulieren, vertrauen wir ihm diese Sache oder diese Person an.
Weil wir ihn gegenwärtig glauben, legen wir ihm das vor, was uns
bewegt.
Damit geben wir Sorge und Angst aus der Hand, damit sie uns nicht mehr so
stark bedrängen wie vielleicht zuvor.
Am Rande sei erwähnt:
Eine Hochform des Bittgebets stellt das Vaterunser dar. Und hier
fällt auf, dass die Hälfte der Bitten sich auf etwas beziehen, das
eigentlich Gott betrifft – „geheiligt werde Dein Name, Dein Reich
komme, Dein Wille geschehe." In diesen Formulierungen zeigt sich,
dass das klassische Bittgebet nicht um sich selbst und die eigene
kleine Welt kreist, sondern sich öffnet für Andere.
7. Sendung
Am
Schluss steht schließlich die Sendung.
Nichts
anderes nämlich ist der Segen: Er ist das Ausgesendetwerden in die
Welt, damit das, was im Gottesdienst an uns geschehen ist, auch eine
Auswirkung in unserem Alltag und unseren Beziehungen hat.
Gott
wollte uns bestärken und ausrichten, trösten und halten, damit wir
nun in seinem Sinne leben und handeln können.
Der
Segen ist ein Auftrag. Und er steht unter demselben Zeichen wie der
Beginn des Gottesdienstes: Wir werden unter dem Zeichen des Kreuzes
in die Welt gesandt: Liebe bedeutet Schwachheit, aber Liebe
überwindet vieles, was wir mit Gewalt und Willen nicht erreichen
können. Liebe ist stärker als Leid und Tod.
Der
Segen verheißt uns, dass wir Gottes Gegenwart auch dort entdecken
können, dort in der Welt, wo unser Alltag ist. Dort, wo Leid und
Ärger, Tod und Abschied, Trauer und Angst und Versagen sind.
So werden wir gesandt als Gesammelte, als Hörende, als Lobende, als
Bekennende und nicht zuletzt als Boten des Friedens. Und hoffentlich auch als Verwandelte und Erneuerte, obwohl wir doch zu oft die Alten
bleiben.
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Mehr zu Eucharistie und Wortgottesdienst hier, mehr zum Liturgieablauf hier, mehr zur Hirtenthematik des Sonntags hier und hier, mehr zum Muttertag hier.
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Erneuerung. Kirche in Niedergrunstedt, 2017. |