Vor ein paar Tagen
las ich in der Herder-Korrespondenz ein Interview
mit dem Bostoner Erzbischof Seán Patrick O'Malley, der davon sprach,
dass wir als katholische Kirche "eine
eucharistische Kirche" seien.
Ohne es an dieser Stelle
zu explizieren, bezieht er sich damit auf eine schon bei Paulus
bezeugte1
und seit der frühen Kirche des zweiten Jahrhunderts gewachsene
Theologie, derzufolge der Ursprung der Kirche als lebendiger Leib
Christi in der Feier des Mahles um den eucharistischen Leib Christi
liegt. Das Zweite Vatikanische Konzil weist ebenso darauf hin wie
Johannes Paul II. in seiner letzten Enzyklika mit dem sprechenden
Namen "Ecclesia de Eucharistia" (2003), der wie
üblich ihrem ersten Satz entnommen ist: "Die Kirche lebt von
der Eucharistie."2
Mir ist
diese Art des Herangehens an Kirche und Kult sehr einleuchtend, wie
ich auch hier
schon dargestellt habe. Durch die Mitfeier der Messe wird für mich
im Idealfall eben nicht nur die Gemeinschaft mit Christus, sondern
auch mit den anderen Mitfeiernden spürbar.
Echte Kirche ohne Eucharistie?
Kreuzberg, Berlin, 2018. |
So kann ich
auch viel anfangen mit den Evangelienlesungen der letzten Sonntage
und dieses Sonntags (Joh 6,51-58), die der Brotrede Jesu im
Johannesevangelium entnommen sind, und die zunehmend expliziter von
Christus als Brot des Lebens in der Gestalt des eucharistischen
Brotes sprechen.
Allerdings bin
ich als ungeweihter Seelsorger der katholischen Kirche zwar
beauftragt, die Gläubigen und weniger Gläubigen in meiner
Haftanstalt zu Gottesdiensten und anderen (mehr oder weniger)
religiösen Angeboten zusammenzuführen, eine Eucharistiefeier
anbieten kann ich jedoch nicht. Ähnlich geht es bekanntlich vielen
Kirchorten, denen kein geweihter Priester mehr zur Verfügung steht,
sondern "nur" eine Laientheologin oder ein Laientheologe.
Zwischen
Anspruch und Wirklichkeit, Kirche in ihrer Hochform eucharistisch
lebendig zu halten und zu feiern, klafft also auch in meinem Tun eine
nicht unbeträchtliche Lücke.
Von der Sonntagspflicht
aus betrachtet, biete ich den Inhaftierten den nächstbesten Ersatz,
nämlich einen anderen Gottesdienst: "Wenn wegen Fehlens
eines geistlichen Amtsträgers oder aus einem anderen schwerwiegenden
Grund die Teilnahme an einer Eucharistiefeier unmöglich ist, wird
sehr empfohlen, daß die Gläubigen an einem Wortgottesdienst
teilnehmen" (CIC 1248 §2).
Die Versammlung um das
Wort Gottes sowie das Lob- und Bittgebet können sicher einen Teil
dessen, was die Eucharistie ausmacht, auffangen. Auch die Kommunion
kann ich im Einzelfall einbringen und verteilen.
Aber ich habe heute noch ein eigenartiges Gefühl vom letzten Fronleichnamsfest im Bauch übrig, als ich im Haftkrankenhaus über Gegenwart, Gemeinschaft und Gabe als Elemente der Eucharistie gesprochen habe.
Ich habe mich befragt und
frage mich weiter: Wie soll und kann ich vor Menschen, die keine
regelmäßigen Kirchgänger sind und mit denen ich keine Eucharistie
feiern kann, über dieses Fest und dieses Thema der derzeitigen
Evangelienlesungen theologisch verantwortet und für sie
gewinnbringend sprechen?
Oder anders ausgedrückt:
Sind für Laientheologen wie mich taugliche Substitute für die
grundlegenden christlichen Themen und Bewegungen, die in der
Eucharistie eine Rolle spielen, in Sicht?3
Ich muss zunächst die
Begrenztheit meiner Beauftragung erkennen und würdigen. Bestimmte
Dinge kann ich eben nicht tun, außer auf die Leerstelle hinzuweisen.
Doch wenn die Eucharistie
so bedeutsam ist, aber nicht gefeiert werden kann, mag zwar eine
Katechese über sie möglich sein, aber kann manches vom Wesensgehalt
der Eucharistie nicht in anderer Weise erfahrbar werden?
Liturgisch kann hier eine
Brotbrechung vorgenommen werden, wie ich es verschiedentlich auch schon getan habe. Aber das Thema geht ja über den liturgischen
Kontext hinaus. So wie uns die Eucharistie auffordert, am Beispiel
Jesu maßnehmend uns selbst (und das, was wir haben) auszuteilen,
kann ein karitativer Einsatz und das Spenden für Bedürftige oder
einfach nur für die Anderen versucht werden.
Sterben und Tod. Aber Auferstehung? Halbe, 2016. |
Dann das daran
anschließende Stichwort Dienst.
Jesus dient den
Jüngerinnen und Jüngern, wenn er sich ihnen im Brot schenkt. Im
Gegensatz zu den Synoptikern präsentiert das Johannesevangelium an
der entscheidenden Stelle vor seiner Verhaftung die Fußwaschung
als Zeichen des Dienstes Jesu.
Vielleicht sollte ich das
einfach mal tun! Es kostet Überwindung, aber lohnt sich sicher.
Die Erinnerung an
Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen ist ein weiterer wichtiger
Punkt. Dieses "Geheimnis des Glaubens" gilt es auch
ohne Eucharistiefeier zu verkünden als Tat der Liebe Gottes für
uns.
Auch noch praktisch zu
bewältigen ist die Frage der Gemeinschaft.
Unabhängig vom
eucharistischen Mahl kann gemeinsames Essen und Kochen, Singen und
Spielen ebenso gemeinschaftsfördernd sein, wenngleich das religiöse
Setting dann nicht immer gegeben ist.
Aber auch hier habe ich
gute Erfahrungen gemacht.
Eine besondere
Herausforderung ist die Hingabe.
Denn die Mitte der
Eucharistiefeier ist Bekenntnis und Gegenwärtigsetzen dessen, dass
Jesus sich selbst aus Liebe für die Anderen hingibt. In der
Eucharistie lebt Jesus es sozusagen vor und lädt die Mitfeiernden
ein, es ihm nachzutun: Aus Liebe und im Vertrauen auf den Vater sich
selbst gering achten und Gottes Botschaft der Liebe bezeugen. Es ist
schon fraglich, ob das in liturgischen Feiern mit Eucharistie spürbar
wird.
Welche Anregungen kann es
geben, wenn dies dann auch noch in einen anderen Lebenskontext
übersetzt werden und zur Nachahmung anregen soll?
Klassisches Beispiel für
solche Hingabe wäre das Lebenszeugnis des Glaubens auch unter
widrigen Umständen (bis ins Martyrium).
Aber dies ist ein sehr
langer Weg in der Beziehung zu Gott, wie ja auch in der
Eucharistiefeier große religiöse Innigleit oft durch jahrelange
Praxis erreicht wird.
Vielleicht ist aber auch
die intensive Arbeit für die Familie draußen, ohne für sich selbst
viel in Anspruch zu nehmen, eine Möglichkeit für die Inhafterten,
ihre Hingabe an etwas außerhalb ihrer selbst einzuüben, also das
proexistente Leben, auf das die Eucharistie verweist und zu dem sie
einlädt, ansatzweise zu verwirklichen.
Dazu braucht es Verwandlung, das letzte der zu nennenden Themenfelder.
Und
damit komme ich zum Kern – denn die Eucharistiefeier erfordert
ebenso wie das christliche Leben in den Spuren der Eucharistie eine
Haltung, die zur Verwandlung des ganzen Menschen im Sinne Gottes
führen kann.
Wie
die Gläubigen in der Gabenbereitung der Eucharistiefeier sich selbst
und ihr Leben Gott zur Wandlung anbieten (zur Oblationstheologie
hier), so sind auch wir, die wir in einer Haftanstalt ohne
Eucharistie auszukommen haben, zur inneren Wandlung eingeladen.
Konkret:
Immer mehr Leib Christi in der Verschiedenheit seiner Glieder und
Aufgaben zu werden.
Auch wenn die
hier genannten Themenfelder vielleicht einiges vom "Eucharistischen"
im Glaubensleben auffangen, bleibt doch in jedem Fall eine noch zu
füllende Leerstelle für die Kirchlichkeit unserer Angebote.
Denn das Sakrament,
das uns nach dem katholischen Glauben die Nähe Gottes sicher
verspricht, ist eben etwas anderes als die Gesten, Haltungen,
Verkündigungen, Feiern.
Das haben wir
im Gefängnis auszuhalten – und das gilt für die Inhaftierten
ebenso wie für mich.
1 Kernstück
dieses Denkens ist 1Kor 10,16f: "Ist der Kelch des Segens,
über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi?
Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein
Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil
an dem einen Brot."
2 Das
Konzil weist in der Kirchenkonstitution Lumen Gentium darauf hin:
"Sooft das
Kreuzesopfer, in dem Christus, unser Osterlamm, dahingegeben wurde
(1 Kor 5, 7), auf dem Altar gefeiert wird, vollzieht sich dasWerk
unserer Erlösung. Zugleich wird durch das Sakrament des
eucharistischen Brotes die Einheit der Gläubigen, die einen Leib in
Christus bilden, dargestellt und verwirklicht (1 Kor 10, 17)."
(LG 3) Ein Kernsatz des päpstlichen Lehrschreibens
wiederum lautet: "Unsere Vereinigung mit Christus, die
Geschenk und Gnade für jeden einzelnen ist, bewirkt, dass wir in
ihm auch zur Einheit seines Leibes, zur Kirche, zusammengefügt
werden. Die Eucharistie festigt die Eingliederung in Christus, die
in der Taufe durch die Gabe des Geistes grundgelegt worden ist (vgl.
1 Kor 12,13.27)." (EdE 23)
3 Es
mag außerdem gefragt werden, ob es überhaupt sinnvoll und
notwendig ist, nach solchen Substituten zu suchen, aufgrund der
faktischen pastoralen Lage setze ich die Notwendigkeit aber als
gegeben voraus.