Samstag, 18. August 2018

Der Laientheologe und die eucharistische Kirche. Ein Konfliktfeld in der Praxis

Vor ein paar Tagen las ich in der Herder-Korrespondenz ein Interview mit dem Bostoner Erzbischof Seán Patrick O'Malley, der davon sprach, dass wir als katholische Kirche "eine eucharistische Kirche" seien.
Ohne es an dieser Stelle zu explizieren, bezieht er sich damit auf eine schon bei Paulus bezeugte1 und seit der frühen Kirche des zweiten Jahrhunderts gewachsene Theologie, derzufolge der Ursprung der Kirche als lebendiger Leib Christi in der Feier des Mahles um den eucharistischen Leib Christi liegt. Das Zweite Vatikanische Konzil weist ebenso darauf hin wie Johannes Paul II. in seiner letzten Enzyklika mit dem sprechenden Namen "Ecclesia de Eucharistia" (2003), der wie üblich ihrem ersten Satz entnommen ist: "Die Kirche lebt von der Eucharistie."2

Mir ist diese Art des Herangehens an Kirche und Kult sehr einleuchtend, wie ich auch hier schon dargestellt habe. Durch die Mitfeier der Messe wird für mich im Idealfall eben nicht nur die Gemeinschaft mit Christus, sondern auch mit den anderen Mitfeiernden spürbar.

Echte Kirche ohne Eucharistie?
Kreuzberg, Berlin, 2018.
So kann ich auch viel anfangen mit den Evangelienlesungen der letzten Sonntage und dieses Sonntags (Joh 6,51-58), die der Brotrede Jesu im Johannesevangelium entnommen sind, und die zunehmend expliziter von Christus als Brot des Lebens in der Gestalt des eucharistischen Brotes sprechen.

Allerdings bin ich als ungeweihter Seelsorger der katholischen Kirche zwar beauftragt, die Gläubigen und weniger Gläubigen in meiner Haftanstalt zu Gottesdiensten und anderen (mehr oder weniger) religiösen Angeboten zusammenzuführen, eine Eucharistiefeier anbieten kann ich jedoch nicht. Ähnlich geht es bekanntlich vielen Kirchorten, denen kein geweihter Priester mehr zur Verfügung steht, sondern "nur" eine Laientheologin oder ein Laientheologe.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Kirche in ihrer Hochform eucharistisch lebendig zu halten und zu feiern, klafft also auch in meinem Tun eine nicht unbeträchtliche Lücke.

Von der Sonntagspflicht aus betrachtet, biete ich den Inhaftierten den nächstbesten Ersatz, nämlich einen anderen Gottesdienst: "Wenn wegen Fehlens eines geistlichen Amtsträgers oder aus einem anderen schwerwiegenden Grund die Teilnahme an einer Eucharistiefeier unmöglich ist, wird sehr empfohlen, daß die Gläubigen an einem Wortgottesdienst teilnehmen" (CIC 1248 §2).
Die Versammlung um das Wort Gottes sowie das Lob- und Bittgebet können sicher einen Teil dessen, was die Eucharistie ausmacht, auffangen. Auch die Kommunion kann ich im Einzelfall einbringen und verteilen.

Aber ich habe heute noch ein eigenartiges Gefühl vom letzten Fronleichnamsfest im Bauch übrig, als ich im Haftkrankenhaus über Gegenwart, Gemeinschaft und Gabe als Elemente der Eucharistie gesprochen habe.
Ich habe mich befragt und frage mich weiter: Wie soll und kann ich vor Menschen, die keine regelmäßigen Kirchgänger sind und mit denen ich keine Eucharistie feiern kann, über dieses Fest und dieses Thema der derzeitigen Evangelienlesungen theologisch verantwortet und für sie gewinnbringend sprechen?
Oder anders ausgedrückt: Sind für Laientheologen wie mich taugliche Substitute für die grundlegenden christlichen Themen und Bewegungen, die in der Eucharistie eine Rolle spielen, in Sicht?3

Ich muss zunächst die Begrenztheit meiner Beauftragung erkennen und würdigen. Bestimmte Dinge kann ich eben nicht tun, außer auf die Leerstelle hinzuweisen.
Doch wenn die Eucharistie so bedeutsam ist, aber nicht gefeiert werden kann, mag zwar eine Katechese über sie möglich sein, aber kann manches vom Wesensgehalt der Eucharistie nicht in anderer Weise erfahrbar werden?

Ein wichtiges Puzzleteil ist sicher das Thema Teilen.
Liturgisch kann hier eine Brotbrechung vorgenommen werden, wie ich es verschiedentlich auch schon getan habe. Aber das Thema geht ja über den liturgischen Kontext hinaus. So wie uns die Eucharistie auffordert, am Beispiel Jesu maßnehmend uns selbst (und das, was wir haben) auszuteilen, kann ein karitativer Einsatz und das Spenden für Bedürftige oder einfach nur für die Anderen versucht werden.
Sterben und Tod. Aber Auferstehung?
Halbe, 2016.
Dann das daran anschließende Stichwort Dienst.
Jesus dient den Jüngerinnen und Jüngern, wenn er sich ihnen im Brot schenkt. Im Gegensatz zu den Synoptikern präsentiert das Johannesevangelium an der entscheidenden Stelle vor seiner Verhaftung die Fußwaschung als Zeichen des Dienstes Jesu.
Vielleicht sollte ich das einfach mal tun! Es kostet Überwindung, aber lohnt sich sicher.

Die Erinnerung an Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen ist ein weiterer wichtiger Punkt. Dieses "Geheimnis des Glaubens" gilt es auch ohne Eucharistiefeier zu verkünden als Tat der Liebe Gottes für uns.

Auch noch praktisch zu bewältigen ist die Frage der Gemeinschaft.
Unabhängig vom eucharistischen Mahl kann gemeinsames Essen und Kochen, Singen und Spielen ebenso gemeinschaftsfördernd sein, wenngleich das religiöse Setting dann nicht immer gegeben ist.
Aber auch hier habe ich gute Erfahrungen gemacht.

Eine besondere Herausforderung ist die Hingabe.
Denn die Mitte der Eucharistiefeier ist Bekenntnis und Gegenwärtigsetzen dessen, dass Jesus sich selbst aus Liebe für die Anderen hingibt. In der Eucharistie lebt Jesus es sozusagen vor und lädt die Mitfeiernden ein, es ihm nachzutun: Aus Liebe und im Vertrauen auf den Vater sich selbst gering achten und Gottes Botschaft der Liebe bezeugen. Es ist schon fraglich, ob das in liturgischen Feiern mit Eucharistie spürbar wird.
Welche Anregungen kann es geben, wenn dies dann auch noch in einen anderen Lebenskontext übersetzt werden und zur Nachahmung anregen soll?
Klassisches Beispiel für solche Hingabe wäre das Lebenszeugnis des Glaubens auch unter widrigen Umständen (bis ins Martyrium).
Aber dies ist ein sehr langer Weg in der Beziehung zu Gott, wie ja auch in der Eucharistiefeier große religiöse Innigleit oft durch jahrelange Praxis erreicht wird.
Vielleicht ist aber auch die intensive Arbeit für die Familie draußen, ohne für sich selbst viel in Anspruch zu nehmen, eine Möglichkeit für die Inhafterten, ihre Hingabe an etwas außerhalb ihrer selbst einzuüben, also das proexistente Leben, auf das die Eucharistie verweist und zu dem sie einlädt, ansatzweise zu verwirklichen.

Dazu braucht es Verwandlung, das letzte der zu nennenden Themenfelder.
Und damit komme ich zum Kern – denn die Eucharistiefeier erfordert ebenso wie das christliche Leben in den Spuren der Eucharistie eine Haltung, die zur Verwandlung des ganzen Menschen im Sinne Gottes führen kann.
Wie die Gläubigen in der Gabenbereitung der Eucharistiefeier sich selbst und ihr Leben Gott zur Wandlung anbieten (zur Oblationstheologie hier), so sind auch wir, die wir in einer Haftanstalt ohne Eucharistie auszukommen haben, zur inneren Wandlung eingeladen.
Konkret: Immer mehr Leib Christi in der Verschiedenheit seiner Glieder und Aufgaben zu werden.

Auch wenn die hier genannten Themenfelder vielleicht einiges vom "Eucharistischen" im Glaubensleben auffangen, bleibt doch in jedem Fall eine noch zu füllende Leerstelle für die Kirchlichkeit unserer Angebote.
Denn das Sakrament, das uns nach dem katholischen Glauben die Nähe Gottes sicher verspricht, ist eben etwas anderes als die Gesten, Haltungen, Verkündigungen, Feiern.
Das haben wir im Gefängnis auszuhalten – und das gilt für die Inhaftierten ebenso wie für mich.

Orientierung himmelwärts.
Neukölln, Berlin, 2014.

1   Kernstück dieses Denkens ist 1Kor 10,16f: "Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot."
2   Das Konzil weist in der Kirchenkonstitution Lumen Gentium darauf hin: "Sooft das Kreuzesopfer, in dem Christus, unser Osterlamm, dahingegeben wurde (1 Kor 5, 7), auf dem Altar gefeiert wird, vollzieht sich dasWerk unserer Erlösung. Zugleich wird durch das Sakrament des eucharistischen Brotes die Einheit der Gläubigen, die einen Leib in Christus bilden, dargestellt und verwirklicht (1 Kor 10, 17)." (LG 3) Ein Kernsatz des päpstlichen Lehrschreibens wiederum lautet: "Unsere Vereinigung mit Christus, die Geschenk und Gnade für jeden einzelnen ist, bewirkt, dass wir in ihm auch zur Einheit seines Leibes, zur Kirche, zusammengefügt werden. Die Eucharistie festigt die Eingliederung in Christus, die in der Taufe durch die Gabe des Geistes grundgelegt worden ist (vgl. 1 Kor 12,13.27)." (EdE 23)
3   Es mag außerdem gefragt werden, ob es überhaupt sinnvoll und notwendig ist, nach solchen Substituten zu suchen, aufgrund der faktischen pastoralen Lage setze ich die Notwendigkeit aber als gegeben voraus.