Ich glaube an das ewige
Leben vor dem Tod.
Das mag ungewöhnlich
klingen, aber im Johannesevangelium, aus dem der Text dieses Sonntags
(Joh 6,41-51) stammt, ist es genau so gemeint. Wenn Jesus von sich
selbst als vom "Brot des Lebens" (v48) spricht,
dessen Verzehr Leben "in Ewigkeit" (v51) bedeutet,
dann meint er nicht nur und nicht einmal in erster Linie eine noch
ausstehende Zukunft, sondern die Gegenwart.
Intensität statt Dauer. Feuerglut, Schwante, 2018. |
Unsere Vorstellung vom
"ewigen Leben" hat ja normalerweise nur die Zeit nach dem
Tod im Blick. Wenn wir gestorben sind, dann hoffen wir auf eine Art
Weiterleben im Himmel. Diese Vorstellung ist natürlich gar nicht
falsch und auch sie findet sich im Johannesevangelium (z.B. in v44).
Allerdings liegt die
Betonung hier größtenteils auf einer ganz anderen Seite, als wir es sonst gewohnt
sind.
Was meint "ewiges
Leben" also im vorliegenden Text?
Kurz gesagt: "'Ewiges
Leben' ist primär nicht ein Zeit, sondern ein Qualitätsbegriff"
und meint "die Fülle des Lebens, die Grenzenlosigkeit eines
Glücks, das – bruchstückhaft und begrenzt – schon in guten
Erfahrungen des gegenwärtigen Lebens aufscheint. Ewiges Leben löst
nicht das irdische Leben ab, sondern es beginnt schon in ihm."1
Also nicht Verlängerung
unseres hiesigen Lebens, sondern Vertiefung und Weiterführung auf
einer anderen Ebene.
Vorahnung dessen, was nach dem Tod als Fülle
noch aussteht, aber immerhin schon ein Geschmack. Die Dauer ist nicht das Entscheidende, sondern die Intensität. "Gegenwartsorientierte Soteriologie"2
kann man das nennen – die Rede von einem göttlichen Heil, das
jetzt schon wirksam ist und unser Sein durchdringt.
Das klingt möglicherweise
verwirrend, findet aber seine Entsprechung in der Sprache, in der das
Neue Testament abgefasst wurde. Wo im Deutschen für "Leben"
nur ein Wort existiert, gibt es im Altgriechischen nämlich drei
mögliche Worte mit höchst verschiedenem Gehalt.
Während das biologische
und empfindende Leben in den Kontexten dieser Welt mit "psyché"
oder "bios" wiedergegeben wird, nutzt die Bibel für jenes
Leben, das von Gott kommt und die Verbindung mit Ihm ermöglicht, das
Wort "zoé".3
In der vorliegenden
Textstelle sagt Jesus also "Ἐγώ
εἰμι ὁ ἄρτος τῆς ζωῆς"
(6,41) – Ich bin das Brot des Zoé, des Lebens.
Im Gegensatz zum Brot, von
dem wir Menschen tagtäglich leben (und von dem auch das Manna auf
dem Wüstenzug letztlich nicht verschieden ist, vgl. v49), hat das
Brot, das Jesus selbst ist, eine besondere Lebenskraft.
Denn er ist ja selbst das
Leben Gottes, das nichts mehr zu tun hat mit Nahrungssuche, Frust,
Langeweile, Gefangensein wie es im Bios ist.
Dieses Leben ist Offenheit
für Gott, es ist, wie in der letzten Woche schon angedeutet, nicht
einfach vorhanden und abgreifbar, sondern besteht aus Beziehung.
In einem Bild:
Hier im Gefängnis haben
Sie in der Regel keine Euro in der Hand, und wenn Sie von Ihrem
Nachbarn etwas haben wollen, dann brauchen Sie eben Tabak oder
sonstige Nahrungsmittel aus dem Einkauf, um etwas von ihm zu
bekommen. Das ist Ihre hiesige Währung, die viel Ärger machen kann
oder auch Freude bereitet.
Draußen in der Welt aber
kommen Sie damit nicht weit. Wenn Sie dort mit Tabak zahlen wollten,
würden Sie wahrscheinlich ausgelacht werden. Sie brauchen Bargeld
oder irgendeine Karte.
Hinter Gittern. Bremen, 2015. |
Übertragen auf den Text
heißt das: Viele Menschen haben sich mit ihrer Pseudo-Währung in
ihrem Alltag eingerichtet, sie sind im "bios" unterwegs,
sorgen für ihr Überleben und bleiben bei den kulinarischen oder
medialen Spezialitäten dieser Welt. Auf dieser Ebene reicht es ja
auch.
Aber das Eigentliche haben
sie damit noch gar nicht im Blick, das Leben der Liebe, des
Wohlwollens, der Hoffnung und letztlich der Beziehung zu Gott.
Der Tabak als
Ersatzwährung wird für das Ganze gehalten, während er doch nur in
einem sehr begrenzten Umfang Gültigkeit besitzt. Auf der Ebene der
Währung ist das echte Geld dem ewigen Leben näher als Tabak.
Denn dieses göttliche
"zoé" gerät hinter lauter "bios" oft genug aus
dem Blick.
Darum: Ich muss mich immer
wieder darauf besinnen, dass da ja noch mehr ist als das Brot dieser
Welt oder als der Tabak im Haftalltag.
Und noch mehr:
Es ist eine Entscheidung,
ob ich mein Leben wirklich nur damit fristen will. Oder ob ich mir
das echte Leben, das ewige Leben Gottes in die Hand legen lasse.
Reicht es mir aus, auf die
Dinge dieser Welt, auf "bios", gepolt zu sein? Oder will
ich noch mehr vom Leben?
Diese Entscheidung ist oft genug ein Kampf – die Herausforderung, das Halbe, das ich doch schon einigermaßen errungen habe, aus der Hand zu legen und dann zuzugreifen, wenn Jesus mir das Echte gibt...
Diese Entscheidung ist oft genug ein Kampf – die Herausforderung, das Halbe, das ich doch schon einigermaßen errungen habe, aus der Hand zu legen und dann zuzugreifen, wenn Jesus mir das Echte gibt...
Dafür muss ich, wie es in
der Lesung hieß, ein "Schüler Gottes" werden (vgl.
v45). Das meint Aufmerksamkeit für das, was über das "bios"
des leiblich-weltlichen Lebens hinausgeht. Meint Vertrauen auf den Gott,
der auch mein Leben in der Hand hält. Meint das Überwinden der Fixierung auf
die vielen Dinge, die mich hindern, in eine liebevolle Beziehung zu
Gott einzutreten. Meint Sich-Öffnen auf seine Liebe hin.
Dann bin ich jetzt schon
drin. Jesus verheißt es, ganz gegenwärtig: wer dies tut, "Wer
glaubt, hat das ewige Leben." (v47)
Nicht irgendwann einmal,
sondern schon jetzt und hier und heute.
Ich glaube an ewiges Leben
vor dem Tod.
Ich glaube an vertieftes
Leben, in das ich schon im seichten Alltag eintreten kann.
Ich glaube an liebendes
Leben jenseits des Überlebenskampfes.
Ich glaube an
entschiedenes Leben, das mir geschenkt ist.
Ich glaube an erfülltes
Leben aus der Beziehung mit Gott.
Ewig ist anders als gedacht. Inselkirche, Kloster, Hiddensee, 2018. |
1 F.-J.
Nocke, Eschatologie. In: T. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik
2. 2. Aufl. Düsseldorf 2002, 377-478, 474f.
2 J.
Kügler, Das Johannesevangelium. In: M. Ebner, S. Schreiber (Hgg.),
Einleitung in das Neue Testament. 2. Aufl., Stuttgart 2013, 210-231,
222.
3 So
jedenfalls lässt es sich für den Sprachgebrauch des NT
verallgemeinern. Genauere Angaben zur Nutzung im NT finden sich
beispielsweise hier:
https://www.soundwords.de/besonderheiten-im-text-der-heiligen-schrift-leben-a1226.html.