Donnerstag, 23. August 2018

"Für Anne". Leonard Cohen vermisst eine Verlorene

Wie viel größer wird die Liebe plötzlich, wenn sie vorbei ist!
Wie viel inbrünstiger das Gefühl in dem Moment, in dem die Fülle gerade durch die Finger rinnt!

Leonard Cohen, der begnadete Songwriter, scheint das gespürt zu haben. Und er hat es in Worte gefasst!
Denn neben den bekannten Songs sind von ihm auch eine Reihe nicht vertonter Gedichte erschienen, von denen es einige wert sind, als Miniaturen im Gedächtnis zu bleiben.

Gestern war er noch so schön, der Strauß.
Neukölln, Berlin, 2018.
So auch das Folgende:

"Für Anne

Ohne Annie neben mir,
wessen Augen soll ich vergleichen
mit der Morgensonne?

Nicht, daß ich es je tat,
Doch jetzt tue ichs -
jetzt, da sie fort ist."1

Während die erste Strophe noch sehnsüchtig klingt, verstummen Sehnsucht, aber auch Reue oder Trauer in der zweiten Strophe beinahe. Eher lakonisch wirkt die Stimmung hier.

Es ist das Eingeständnis einer verpassten Chance.
Aufblitzen einer Einsicht, als alles schon vorüber ist.
Und der Mut, beides wahrzunehmen.


1   L. Cohen, Romane / Gedichte / Lieder. Frankfurt a.M. 1980, 261.