Denn wenn es um die großen
Fragen unserer Zeit, also um Krieg und Frieden, Gerechtigkeit,
Technologie, Digitalisierung, Migration, Terrorismus etc. geht, kann
ich mir hier, so meine Hoffnung, sicher einen guten Einblick
verschaffen.
Aber ich wurde schwer
enttäuscht. Und ich schreibe hier im Normalfall positiv-kritisch,
über Dinge, die mir gefallen und die ich empfehlen will. Nur ist
hier eine Ausnahme angebracht.
Beginnt so das 21. Jahrhundert? Humboldtforum, Berlin-Mitte, 2018. |
Zwar enthält das Buch
einige interessante Perspektiven, so etwa, wenn es um die Zukunft der
Arbeit im Zeitalter des technologischen Fortschritts geht und um die
damit einhergehenden Lösungsmodelle, oder wenn die Frage nach
Gemeinschaft im Zeitalter von virtuellen Freundschaften auf Facebook
hin- und hergewälzt wird. Meist geht der Autor dabei kreativ und
scharfzüngig vor, bürstet gängige Vorstellungen gegen den Strich
und hinterfragt kritisch.
Auf diesem Blog aber geht
es vorrangig um religiöse Fragen und deshalb soll in dieser Kritik
Hararis Religionskritik angeschaut werden.
Die hat es in sich.
Sie ist nämlich
unterirdisch.
Ich möchte dabei gleich
zu Beginn betonen, dass ich es äußerst wichtig finde, dass man
Religion(en) kritisieren darf und dass man das in manchen Fällen
sogar tun sollte. Man kann zudem mit guten Gründen nicht religiös
sein und die praktischen Widerlichkeiten vieler religiöser Menschen
und Gruppen anprangern.
Aber das sollte ein
gewisses Niveau nicht unterschreiten.
Der Historiker Harari aber
arbeitet bei religiösen Fragen, im Gegensatz zu den anderen
Themengebieten des Buches, vornehmlich mit Unterstellungen. Jedwede
Unterscheidung zwischen Ideologie und Religion unterbleibt, so dass
alles, was organisierte Religion angeht, in Bausch und Bogen den Bach
hinuntergeschickt wird.
Ein Beispiel: Die
Tatsache, dass es Gläubige gab und gibt, die naturwissenschaftliche
Erkenntnisse aus ihren religiösen Schriften extrapolieren, heißt
nicht, dass alle das tun. Dass Menschen sich in ihren Sorgen und
Nöten an religiöse Autoritäten wandten, bedeutet nicht, dass jede
Anmaßung einer Religion als ein legitimer Ausdruck von Religion
behandelt werden muss. Und die Hybris der katholischen Kirche, die
gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen viele Jahrhunderte lang
in einem Duktus der Rechthaberei verharrte, enthebt einen Autor nicht
der Mühe, sich mit Argumenten auseinander zu setzen, wenn es um
Kritik an dieser Religion geht.
Die schlichte
Gegenüberstellung von Glaube und Wissenschaft, die sich an genügend
Beispielen erhärten lässt, aber gewiss nicht alle historischen
Epochen durchzieht, braucht schon eine bessere Begründung als
folgende: "Offen gesagt haben traditionelle Religionen vor
allem deshalb so sehr an Boden verloren, weil sie in Sachen
Landwirtschaft oder Gesundheitsversorgung schlicht nicht besonders
gut waren. Die Expertise von Priestern und Gurus hat nie wirklich für
Regen oder Heilung gesorgt".2
Richtig – und das muss
diese Expertise auch nicht, insofern es nicht Männer (und Frauen)
der Wissenschaft waren, wie es sie zu allen Zeiten in allen
Religionen gegeben haben dürfte. Denn Wetter und Medizin gehören
nicht zum Proprium des Religiösen, wie ein Mann wie Harari auch
zugeben könnte. Stattdessen übernimmt er den lächerlichen Anspruch
mancher Vertreter von Religionen und gibt ihn als den eigentlichen
Kern von Religion aus.
Das ist keine Kritik, das
ist ein Taschenspielertrick.
Zu viel Sand im Schuh. Und Kinderwagen fahren hier gar nicht. Strand von Zinnowitz, Usedom, 2019. |
Ein weiteres Beispiel:
Harari stellt religiöse Schriften gern als Gesetzbücher dar und
Gott dementsprechend als einen Gesetzgeber. Aber Gott ist nicht nur
Gesetzgeber, das lässt sich bei genauer Lektüre der Heiligen
Schriften auch erkennen – wenn man es denn will. Harari aber tappt
durch sein undifferenziertes Dreinschlagen in die Falle der
Fundamentalisten, die Religion genau so darstellen, nämlich als ein
Kompendium von Regeln, die einzuhalten sind und wer dies nicht tue,
sei Häretiker oder Abtrünniger.
Wer sich sein Gegenüber
so imaginiert oder an den schlimmsten Vertretern Maß nimmt, wird
genügend Möglichkeiten finden, diese Seifenblasen als solche zu
dekonstruieren.
Wo Harari zu Beginn noch
festhält, dass Religion das sei, was Menschen daraus machen, da
bewertet er in den folgenden Kapiteln zutiefst einseitig und schaut
nicht mehr auf verschiedene Perspektiven bezüglich Religion.
Positive Beispiele religiös motiviert Handelnder kommen nicht vor.
Sonst diskutiert der Autor
nachvollziehbar und einigermaßen differenziert, beim Thema Religion
jedoch nicht. Alles wird mit allem verschwurbelt, Ideologie und
Religion zusammengepanscht und dann der Vorwurf der Rechthaberei
erhoben. Dem gegenüber werden säkulare Menschen als
(selbst)kritisch und rational dargestellt, als ob Gläubige keinen
Zweifel kennen würden und ihren Führern immer und überall blind
nachliefen, ohne je selbst zu denken.
Beispiel gefällig? Bitte:
"Die säkulare Wissenschaft hat ... zumindest einen großen
Vorteil gegenüber den meisten traditionellen Religionen, nämlich
dass ... sie zumindest im Prinzip bereit ist, eigene Fehler und
blinde Flecken einzugestehen. Wer hingegen an eine absolute Wahrheit
glaubt, die von einer transzendenten Macht geoffenbart wurde, darf
sich keinerlei Fehler eingestehen – denn das würde die ganze
Geschichte zunichte machen."3
Alle nötigen
Differenzierungen oder Mehrdeutigkeiten kann man dann weglassen, wenn
es nicht um Kritik geht, sondern ums Abkanzeln. Der kritische
Bestsellerautor unterläuft bei dieser Thematik alle Ansprüche, die
er selbst aufstellt und die man an ein ordentlich recherchiertes und
klug durchdachtes Buch haben darf.
Sicher muss auch
Religionskritik sein, aber so billig wie hier war sie noch selten zu
haben.
Leider steht dieser
platten Kritik eine ebenso platte Wissenschaftsgläubigkeit
gegenüber, die vornehmlich nach biologischen und neurologischen
Maßstäben misst und so gerade bei einem wichtigen Thema wie der
Möglichkeit menschlicher Freiheit hilflos unterkomplex und nahezu
philosophiefrei bleibt. Das geht einfach nicht!
Spannend ist jedoch ein
Punkt, an dem sich einiges offenbart. Harari ist schwul – und einem
homosexuellen Mann gestehe ich zu, dass er kritischer gegenüber dem
meist homophob ausgerichteten Mainstream der großen Religionen ist –
und dass er in seiner Kritik bisweilen auch über das Ziel
hinausschießt. Als es um das Wort „Gott“ geht, gibt es einen
Moment der Wahrheit:
„Wenn ich das Wort
'Gott' verwende, denke ich an den Gott des Islamischen Staates, der
Kreuzfahrer, der Inquisition und der 'Gott hasst
Schwuchteln'-Aufkleber. Wenn ich an das Geheimnis des Daseins denke,
benutze ich lieber andere Wörter, um Verwechslungen zu vermeiden.“4
Das Gift vieler
Schwulenhasser in den großen Religionen zeigt hier seine Wirkung.
Durch die erniedrigende und herablassende Behandlung Homosexueller
wird Gott selbst beschmutzt. In solchen Religionen sucht dieser Mann
einfach nicht mehr nach Trost und Freude.
Leider geht es in seinem
Buch auch nicht um das „Geheimnis des Daseins“, dafür ist
der Autor viel zu sehr dem Hier und Jetzt und seinen aktuellen
politisch-sozial-technischen Fragen verhaftet.
Doch er bekennt sich zur
Meditation als Sinnmotor seines Lebens. Dazu gehören für ihn
interessanterweise eine Reihe von Glaubensinhalten, die dem
Buddhismus zuzurechnen sind, zuvörderst das Primat des Leids und die
radikale Relativierung des Ichs.
Kurz bevor Harari aber ein
Bekenntnis zu dieser Religion ablegen könnte, führt er einige
fürchterliche Kriegsgeschichten von rivalisierenden buddhistischen
Königtümern an, so dass sofort noch einmal klar wird: diesem Autor
geht es nicht darum, eine institutionalisierte Religion zu bewerben,
sondern nur ihre Versatzstücke.
Gott (oder das „Geheimnis
des Daseins“) ist hier kein Zielpunkt mehr, alles ist
heruntergebrochen worden auf die Nützlichkeit. So wird Meditation
für Harari leider zu einer Ressource der wissenschaftlichen
Erkenntnis. Das entwertet für mich sein Bekenntnis etwas, aber damit
wird er leben können.
Als ich das Buch in die
Bibliothek zurück gebracht hatte, war ich froh. Nicht, dass ich mich
nicht gern mit Religionskritik auseinandersetze. Aber die Hybris und
Überheblichkeit, die der Autor den organisierten Religionen
vorwirft, ist ihm beim Thema Religion selbst zuzurechnen.
Das macht die Lektüre
sehr anstrengend und wenig lohnenswert.
Keine Empfehlung.
Auch keine Empfehlung, jedenfalls nicht in dieser Kombination. Berlin-Mitte, 2019. |
1 Y.N.
Harari, 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert. München 2018.
2 Ebd.,
179.
3 Ebd.,
284.
4 Ebd.,
166.