Montag, 6. April 2015

Der Emmausgang ist eigentlich ein Liturgieablauf

Dass die Geschichte der beiden Emmausjünger (Lk 24,13-35) die urchristliche Gemeinde für die Gegenwart Christi in der eucharistischen Feier sensibilisieren sollte, dürfte nachvollziehbar oder bekannt sein. Die Jünger, die Jesus beim Brotbrechen erkennen (v35), stehen für alle Christen, die sich zu dieser Feier versammeln; auch die heutigen Christen können dieses Offenhalten für die Gegenwart Gottes unter sich aus dem Text mitnehmen.
Aber wenn man die Geschichte genauer liest, lässt sich in ihrer Komposition außerdem der Ablauf eines typischen Gottesdienstes erkennen.

Gottesbegegnungsbusch kurz vor Entflammung.
Comenius-Garten, Rixdorf, Berlin, 2015.
Wie auch wir so oft unsere traurigen Lebenswege gehen und dabei vom beglückenden Auferstehungsglauben unangefochten unser alltägliches Unglück beklagen, so tun es die Jünger auf ihrem Weg (vv19-24). Sie kamen aus Jerusalem mit ihrer Enttäuschung über Jesu Tod und kannten "Auferstehung" nicht aus Überlieferung und Glaubenstradition.

Damit stehen sie im Raum des Kyrie, beim Hinbringen ihrer Sorgen und Zweifel vor Gott. In der Liturgie geschieht dies in der Hoffnung, dass Gott naht und seine Erlösungsgeschichte mit den Feiernden weiterschreibt. Besonders deutlich wird dies in der Liturgie der Ostkirche, wo die Ektenien mit ihrem sich scheinbar endlos wiederholenden "Herr, erbarme Dich" den Bittcharakter besonders deutlich machen. Die römische Liturgie hat diese ausführlichen Anrufungen Gottes gekürzt, so dass es zum bloß dreimaligen "Kyrie eleison" kam. Für die Emmausjünger war es das Erzählen des Erlebten – ohne zu wissen, dass es Jesus ist, tun sie dasselbe wie die Feiernden und holen diesen fremden Jesus mit hinein in ihre Lebensprobleme, vorerst noch ohne Bitten.

Es folgt die Verkündigung (vv25-27).
Ausgehend von einer Kernfrage der christologischen Botschaft erläutert Jesus die in ihm gipfelnde Heilsgeschichte: "Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?" (v26) Dazu führt er an, "was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht" (v27). Lesungen und Auslegungen als klassische Bestandteile eines Gottesdienstes leisten so ihren Beitrag zur immer aktuellen Frage nach dem Messias und seiner Herrlichkeit – eine Frage, die das Herz entflammen kann (vgl. v32) und über die alltäglichen Ärgernisse hinwegzutrösten vermag.

Auf diese Weise aufgeklärt und gestärkt erreichen die Jünger "das Dorf, zu dem sie unterwegs waren" (v28). Liturgisch: Der Wortgottesdienst mündet in die Eucharistiefeier. Die Verkündigung wird im gemeinsamen Mahl eingeholt und zur Vollendung gebracht. Denn die Gegenwart Christi im Wort und die Gegenwart im Brot gehören zusammen und ergänzen einander.1

Quelle des Lebens am Weg.
St. Jakobi-Kirchhof, Rixdorf, Berlin, 2015.
Das Drängen der Jünger, dass Jesus bei ihnen bleibe (v29), kann Fürbitten und Gabenbereitung andeuten. Den Emmausjüngern steckt noch die Erleuchtung durch den Auferstandenen in den Knochen, mit ihm wollen sie zu Tisch sitzen. Die Bitte und die Einladung kommen insofern überein, als hier alles, was Jüngern/Feiernden wichtig ist, vor Gott gebracht wird in der Hoffnung auf seine heilbringende Gegenwart.

Jesus kommt mit und "als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen" (v30). Den Jüngern gehen angesichts dieser Geste wie in einem Flashback "die Augen auf und sie erkannten ihn" (v31). Ob dies uns heute Eucharistie Feiernden gelingt, sei dahingestellt, erhofft werden kann es allemal.

Nun macht alles einen Sinn – die Fragen auf dem Weg, die Erläuterungen, die Bitten, die Gesten des Fremden. Er ist nicht mehr fremd, sondern voller Dank für diese Gegenwarten des Herrn erinnern sie sich ihres brennenden Herzens (vgl. v32). Diesen möglichen Rückbezug auf die Verkündigung am Ende der Eucharistie finde ich sehr schön, da sich hier der Kreis auch einer liturgischen Feier schließen kann. Denn es gehört ja alles zusammen.
Ist es bei den Emmausjüngern eher die rückblickende Begeisterung, so kann in der liturgischen Feier dankbar auf das Teilen von Brot und Gegenwart zurückgeschaut werden. Der dankbaren Stille für diesen gegenwärtig-entzogenen Herrn ("dann sahen sie ihn nicht mehr", v31) wird heute oft erstaunlich wenig Raum gegeben.

"Noch in derselben Stunde brachen sie auf" (v33) – und erzählen allen anderen von ihrem Erlebnis mit dem Auferstandenen. Die Sendung am Ende der Eucharistiefeier hat die gleiche Funktion. Wir sind zur Verkündigung der Auferstehungserfahrung in unsere Lebenswirklichkeit gesandt, damit wir beim nächsten Spaziergang schon froher mit dem Auferstandenen in Dialog treten können und seine Gegenwart in Alltag und Liturgie entdecken.

Weg am Landwehrkanal, Alt-Treptow, Berlin, 2015.

1   Das Konzil ergänzt die Weisen der Gegenwart in SC 7: " Gegenwärtig ist er im Opfer der Messe sowohl in der Person dessen, der den priesterlichen Dienst vollzieht – denn »derselbe bringt das Opfer jetzt dar durch den Dienst der Priester, der sich einst am Kreuz selbst dargebracht hat« –, wie vor allem unter den eucharistischen Gestalten. Gegenwärtig ist er mit seiner Kraft in den Sakramenten, so daß, wenn immer einer tauft, Christus selber tauft. Gegenwärtig ist er in seinem Wort, da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden. Gegenwärtig ist er schließlich, wenn die Kirche betet und singt, er, der versprochen hat: »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen« (Mt 18,20). In der Tat gesellt sich Christus in diesem großen Werk, in dem Gott vollkommen verherrlicht und die Menschheit geheiligt werden, immer wieder die Kirche zu, seine geliebte Braut."