Ein Kind ist mehr als es selbst. Wie
jeder Mensch lässt es etwas ahnen von der Größe des Schöpfers und
der Schönheit seiner Welt. Und am Kind treten für Gläubige (und
bisweilen auch für Ungläubige) beide, wundersame Schöpfergröße
und überwältigende Weltschönheit, besonders leuchtend hervor.
Weisheit an der Wand. Graffito, Rixdorf, Berlin, 2015. |
Nicht zufällig wird der Gott, an den
die Christen glauben, als Kind geboren und verehrt und nicht zufällig
wendet dieser Gott-auf-Erden sich später voller Wertschätzung und
Liebe besonders den Kindern zu (vgl. Mk 10,13-16) und preist sie
selig.
Um es etwas allgemeiner mit dem dieser Tage schon mehrfach zitierten T. Halík zu sagen, der unter Hinweis
auf das Eintreten Gottes in diese Welt durch die Geburt Jesu
schreibt: "Die Materie dieser Welt kann sakramentale Materie
sein, ein reales und wirksames Zeichen der Anwesenheit Gottes."1
Aber zugleich ist ein Kind natürlich
wie jeder Mensch ein Subjekt und damit eigenständige Person (wenn
auch noch nicht in voll ausgewachsenem Maße). Keine Person lässt
sich auf eine Funktion als "Ahnung-von-etwas-Anderem" oder
"Zeichen-von-etwas" reduzieren.
Und doch ist ein Kind eben auch das.
Christlich (wenngleich nicht im engeren Sinne theologisch) gesprochen
ist ein Kind ein Sakrament.
1
Im konkreten Wortsinne trifft das
altgriechische Original des lateinischen "sacramentum" die
Sache sogar aussagekräftiger und angemessener: "mysterion"
bedeutet Geheimnis. Auf diese Weise kann die Rede vom Sakrament in
Bezug auf ein Kind die Unausschöpflichkeit eines Menschen im Sinne
Karl Rahners meinen, der den Menschen ein Geheimnis nennt, weil er
auf seinem Grund Gott berührt. Denn sein Eigentliches, das was einen
Menschen (über seine Biochemie und Psychologie etc. hinaus) zutiefst
ausmacht, ist nur im Blick auf seinen Schöpfer verstehbar. Dazu
schreibt Rahner: "Wenn wir alles gesagt haben, was als
Übersehbares, Definierbares von uns aussagbar ist, dann haben wir
noch gar nichts von uns ausgesagt, außer wir hätten in all dem
Gesagten mitgesagt, dass wir die auf den unbegreiflichen Gott
Verwiesenen sind."2
Dass Kinder Verwiesene sind, zeigt sich
bei allen Hilfestellungen, die ihre Eltern ihnen zukommen lassen
müssen. Dass sie im Letzten unauslotbare Individuen sind, immer mehr
als die Summe ihrer Gene und Erziehungen, das macht ihre
"Sakramentalität" oder "Geheimnishaftigkeit"
aus.
2
Das Zweite Vatikanische Konzil sieht in der Kirche ein Sakrament und meint damit ein "Zeichen und Werkzeug".3 Während die Kirche letztlich ein solches Sakrament für die Einheit der ganzen Menschheit in Gott sein soll, denke ich, dass ein Kind zunächst Sakrament, also Zeichen und Werkzeug der elterlichen Liebe ist.
Das Zweite Vatikanische Konzil sieht in der Kirche ein Sakrament und meint damit ein "Zeichen und Werkzeug".3 Während die Kirche letztlich ein solches Sakrament für die Einheit der ganzen Menschheit in Gott sein soll, denke ich, dass ein Kind zunächst Sakrament, also Zeichen und Werkzeug der elterlichen Liebe ist.
Kindperspektive auf Reifung und Schwingung. Spielplatz, Rixdorf, 2015. |
Der Zeichencharakter ist sicher
einleuchtend – stellt ein Kind doch einen intensiven Ausdruck der
elterlichen Zuneigung zueinander dar.
Weniger klar liegt die Sache beim
Begriff des "Werkzeugs". Der instrumentelle Charakter, der
sich hier andeutet, ist natürlich missverständlich und darum gilt
hier besonders das oben im Sinne Kants über die Nichtreduzierbarkeit
eines Menschen Gesagte.
Zugleich gilt in den meisten Fällen:
Am Kind und durch ein Kind wächst die Liebe der Eltern –
zueinander ebenso wie zum Kind.
Ein Kind wird natürlich nicht gezeugt,
um einander noch mehr zu lieben, aber (im Idealfall, den ich hier vor
Augen habe) bei aller Anstrengung, die ein Kind bereiten kann, ist es
doch regelmäßig eine Quelle der Freude für die Eltern.
Dazu kommt, dass der Einsatz und die
Hingabe, die ein Kind erfordert, zwar kräftezehrend sein mag, aber
das geschenkte Herzblut zugleich die Bindung stärkt. Im Idealfall
wird selbstverständlich die gegenseitige Bindung gestärkt, auf alle
Fälle aber die der Eltern. In der Pubertät (und auch vorher) kann
diese hingebungsvoll geschenkte Liebe dann bekanntermaßen groteske
Konsequenzen zeitigen, wenn die Antwort nicht die erwartete ist...
Daran zeigt sich, dass die auf
Liebes-Wachstum angelegte elterlichen Liebe, also ihr
"Werkzeug-Charakter", irgendwie und mindestens unbewusst
auch intendiert zu sein scheint.
3
Nicht zuletzt schenken Sakramente Heil.
Nicht zuletzt schenken Sakramente Heil.
Gottes Heil, Heilung und Heiligung
stecken in der Anwesenheit eines neuen, geschenkten Lebens. Der
Neuanfang, der das Leben der Eltern mit der Geburt (und auch schon
davor) prägt, kann als göttliches Gnadengeschenk wahrgenommen
werden.
Im guten wie auch im schlechten Sinn
kann ein Kind heilen. Angeknackste Beziehungen sollen bisweilen ja
durch Kinder zusammengekittet werden, so dass Kinder dann im
schlechten Sinn ein Werkzeug (allerdings nicht mehr der Liebe)
darstellen.
Aber vielleicht heilen auch Wunden und
alte Verletzungen, wenn ein Kind die traute Paarsamkeit aufbricht und
ein neues Licht auf alte Zeiten und Verhältnisse wirft.
Vielleicht will Gott durch die
bisweilen schreiend eingeforderte Zuwendung und das geschenkte
Lächeln nach dem Aufwachen unsere Herzen heilen.
Ich habe jedenfalls diesen Eindruck.
Das Kind in der Mitte. Tiefurt, Weimar, 2014. |
1 T.
Halík, Berühre die Wunden. Über Leid, Vertrauen und die Kunst der
Verwandlung. Freiburg i.Br. 2. Aufl 2014, 197.
2 K.
Rahner, Zur Theologie der Menschwerdung. In: Ders.: Schriften zur
Theologie IV. Einsiedeln 1960, 137-155, hier: 140; vgl. ebd., 150f.
3 Lumen
Gentium 10. In: K. Rahner, H. Vorgrimler (Hgg.),
Kleines Konzilskompendium. 28. Aufl. Freiburg i.Br., Basel, Wien
2000.