Dienstag, 28. April 2015

Das Kind als Sakrament – Geheimnis, Zeichen, Werkzeug, Heil

Ein Kind ist mehr als es selbst. Wie jeder Mensch lässt es etwas ahnen von der Größe des Schöpfers und der Schönheit seiner Welt. Und am Kind treten für Gläubige (und bisweilen auch für Ungläubige) beide, wundersame Schöpfergröße und überwältigende Weltschönheit, besonders leuchtend hervor.

Weisheit an der Wand. Graffito, Rixdorf, Berlin, 2015.
Nicht zufällig wird der Gott, an den die Christen glauben, als Kind geboren und verehrt und nicht zufällig wendet dieser Gott-auf-Erden sich später voller Wertschätzung und Liebe besonders den Kindern zu (vgl. Mk 10,13-16) und preist sie selig.

Um es etwas allgemeiner mit dem dieser Tage schon mehrfach zitierten T. Halík zu sagen, der unter Hinweis auf das Eintreten Gottes in diese Welt durch die Geburt Jesu schreibt: "Die Materie dieser Welt kann sakramentale Materie sein, ein reales und wirksames Zeichen der Anwesenheit Gottes."1

Aber zugleich ist ein Kind natürlich wie jeder Mensch ein Subjekt und damit eigenständige Person (wenn auch noch nicht in voll ausgewachsenem Maße). Keine Person lässt sich auf eine Funktion als "Ahnung-von-etwas-Anderem" oder "Zeichen-von-etwas" reduzieren.

Und doch ist ein Kind eben auch das. Christlich (wenngleich nicht im engeren Sinne theologisch) gesprochen ist ein Kind ein Sakrament.

1
Im konkreten Wortsinne trifft das altgriechische Original des lateinischen "sacramentum" die Sache sogar aussagekräftiger und angemessener: "mysterion" bedeutet Geheimnis. Auf diese Weise kann die Rede vom Sakrament in Bezug auf ein Kind die Unausschöpflichkeit eines Menschen im Sinne Karl Rahners meinen, der den Menschen ein Geheimnis nennt, weil er auf seinem Grund Gott berührt. Denn sein Eigentliches, das was einen Menschen (über seine Biochemie und Psychologie etc. hinaus) zutiefst ausmacht, ist nur im Blick auf seinen Schöpfer verstehbar. Dazu schreibt Rahner: "Wenn wir alles gesagt haben, was als Übersehbares, Definierbares von uns aussagbar ist, dann haben wir noch gar nichts von uns ausgesagt, außer wir hätten in all dem Gesagten mitgesagt, dass wir die auf den unbegreiflichen Gott Verwiesenen sind."2
Dass Kinder Verwiesene sind, zeigt sich bei allen Hilfestellungen, die ihre Eltern ihnen zukommen lassen müssen. Dass sie im Letzten unauslotbare Individuen sind, immer mehr als die Summe ihrer Gene und Erziehungen, das macht ihre "Sakramentalität" oder "Geheimnishaftigkeit" aus.

2
Das Zweite Vatikanische Konzil sieht in der Kirche ein Sakrament und meint damit ein "Zeichen und Werkzeug".3 Während die Kirche letztlich ein solches Sakrament für die Einheit der ganzen Menschheit in Gott sein soll, denke ich, dass ein Kind zunächst Sakrament, also Zeichen und Werkzeug der elterlichen Liebe ist.
Kindperspektive auf Reifung und Schwingung.
Spielplatz, Rixdorf, 2015.
Der Zeichencharakter ist sicher einleuchtend – stellt ein Kind doch einen intensiven Ausdruck der elterlichen Zuneigung zueinander dar.
Weniger klar liegt die Sache beim Begriff des "Werkzeugs". Der instrumentelle Charakter, der sich hier andeutet, ist natürlich missverständlich und darum gilt hier besonders das oben im Sinne Kants über die Nichtreduzierbarkeit eines Menschen Gesagte.
Zugleich gilt in den meisten Fällen: Am Kind und durch ein Kind wächst die Liebe der Eltern – zueinander ebenso wie zum Kind.
Ein Kind wird natürlich nicht gezeugt, um einander noch mehr zu lieben, aber (im Idealfall, den ich hier vor Augen habe) bei aller Anstrengung, die ein Kind bereiten kann, ist es doch regelmäßig eine Quelle der Freude für die Eltern.
Dazu kommt, dass der Einsatz und die Hingabe, die ein Kind erfordert, zwar kräftezehrend sein mag, aber das geschenkte Herzblut zugleich die Bindung stärkt. Im Idealfall wird selbstverständlich die gegenseitige Bindung gestärkt, auf alle Fälle aber die der Eltern. In der Pubertät (und auch vorher) kann diese hingebungsvoll geschenkte Liebe dann bekanntermaßen groteske Konsequenzen zeitigen, wenn die Antwort nicht die erwartete ist...
Daran zeigt sich, dass die auf Liebes-Wachstum angelegte elterlichen Liebe, also ihr "Werkzeug-Charakter", irgendwie und mindestens unbewusst auch intendiert zu sein scheint.

3
Nicht zuletzt schenken Sakramente Heil.
Gottes Heil, Heilung und Heiligung stecken in der Anwesenheit eines neuen, geschenkten Lebens. Der Neuanfang, der das Leben der Eltern mit der Geburt (und auch schon davor) prägt, kann als göttliches Gnadengeschenk wahrgenommen werden.
Im guten wie auch im schlechten Sinn kann ein Kind heilen. Angeknackste Beziehungen sollen bisweilen ja durch Kinder zusammengekittet werden, so dass Kinder dann im schlechten Sinn ein Werkzeug (allerdings nicht mehr der Liebe) darstellen.
Aber vielleicht heilen auch Wunden und alte Verletzungen, wenn ein Kind die traute Paarsamkeit aufbricht und ein neues Licht auf alte Zeiten und Verhältnisse wirft.
Vielleicht will Gott durch die bisweilen schreiend eingeforderte Zuwendung und das geschenkte Lächeln nach dem Aufwachen unsere Herzen heilen.
Ich habe jedenfalls diesen Eindruck.

Das Kind in der Mitte. Tiefurt, Weimar, 2014.

1   T. Halík, Berühre die Wunden. Über Leid, Vertrauen und die Kunst der Verwandlung. Freiburg i.Br. 2. Aufl 2014, 197.

2   K. Rahner, Zur Theologie der Menschwerdung. In: Ders.: Schriften zur Theologie IV. Einsiedeln 1960, 137-155, hier: 140; vgl. ebd., 150f.


3   Lumen Gentium 10. In: K. Rahner, H. Vorgrimler (Hgg.), Kleines Konzilskompendium. 28. Aufl. Freiburg i.Br., Basel, Wien 2000.