Samstag, 9. November 2019

In Freude und Bitterkeit: Die Erinnerung an den 09. November 1989.

Die Erinnerung an das große Ereignis von 1989 ist in diesem Jahr von Enttäuschung durchsetzt.

Enttäuscht sind die Ossis über jahrelang fehlende Wertschätzung, enttäuscht sind die Wessis über die Undankbarkeit nach massiven Investitionen in die marode Infrastruktur. Und drei Viertel der ganzen Republik sind 2019 enttäuscht über die Wahlergebnisse im scheinbar abgerutschten Osten.

Dabei begann alles so hoffnungsfroh.
Die nach Massenfluchten und Massendemonstrationen unter größtem inneren Druck vollzogene Öffnung der Grenzen, "sofort, unverzüglich", sie gab der DDR den Todesstoß.
Freiheit konnte neu beginnen.

Tisch kopfüber.
Neukölln, Berlin, 2019.
Doch wer hatte die Freiheit geübt?
Das Erleben der sozialistischen Dikatur vor der Wende wie auch die bittere Zeit nach der Wende bildeten den Erfahrungsraum für Ältere und Jüngere.
Sah so die Freiheit so aus? Biographien wurden entwertet, Abschlüsse nicht anerkannt, jahrelange Erfahrung gegenstandslos, Arbeitslosigkeit der Normalzustand.
Diese Begleitumstände der Reise- und Meinungsfreiheit wurden für das Verständnis von Demokratie und Pluralität prägend.

Von der anderen Seite blieben die bisherigen Lebensumstände der neuen Mitbürger unverständlich. Freiheits-Übungsraum war nicht vorgesehen. Das alltägliche Leben in einem repressiven Staat war ja nun vorbei, sollten die Ossis doch so leben, wie sie es angeblich gewollt hatten. Gleichzeitig wurde abgewickelt, was das Zeug hält.

Ich persönlich erfahre auch das weitgehende Verschweigen als problematisch: Wenn ich in Zeitung oder Fernsehen auf die deutsche Geschichte, ihre Politik, ihre Kultur hingewiesen werde, höre ich selbstverständlich nur die Namen Helmut Schmidt, Ingeborg Bachmann, Franz Joseph Strauß, Frank Elstner, Günter Grass, Nina Hagen und so fort. Robert Havemann, Christa Wolf und Manfred Krug kennen schon nur noch die Eingeweihten.

Bundesdeutsche Geschichte versteht sich als der kanonische Normalfall, DDR-Geschichte wird als der absurde Sonderfall betrachtet. Interesse am ersteren wird vorausgesetzt, die zweitere hat das Nachsehen.

Das ist ein ursupatorisches Verhältnis zur Geschichte dieses untergegangenen Landes.
Meine persönliche Identifikation mit der Berliner Republik ist gewaltig. Es ist mein Land. Und ich bin glücklich, dass ich im vereinten Deutschland lebe.

Aber meine Vorgeschichte war eben nicht die Bonner Republik. Auch wenn ich die DDR nur knapp zehn Jahre erlebt habe, hat sie doch meine Kindheit entscheidend geprägt. Ich wünsche sie mir nicht zurück. Doch das Land, in dem ich aufwuchs, gibt es nicht mehr.
Theoretisch gibt es auch die Bonner Republik nicht mehr. Aber jeder Rückblick auf "unsere Geschichte", der mehr als 30 Jahre zurückgeht, bezieht sich allein auf die alte BRD.
So gern ich mich mit dieser Geschichte beschäftige, so wenig hat sie mit meiner Geschichte und der meiner Familie zu tun.

Ich finde es wichtig, dass ein Verständnis dafür wächst, dass es zwei Vorgeschichten unseres derzeitigen Landes gibt. Wird diese Einheit in der Verschiedenheit positiv anerkannt, ändert sich sicher auch der Frust mancher meiner Thüringer Landsleute. Doch dafür ist noch viel zu tun.

Damit sich in zehn Jahren nicht immer noch so viel Bitterkeit in die Freude mischen muss.

Einfahrt zum Krematorium.
Treptow, Berlin, 2018.

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