Enttäuscht sind die Ossis über
jahrelang fehlende Wertschätzung, enttäuscht sind die Wessis über
die Undankbarkeit nach massiven Investitionen in die marode
Infrastruktur. Und drei Viertel der ganzen Republik sind 2019
enttäuscht über die Wahlergebnisse im scheinbar abgerutschten
Osten.
Dabei begann alles so hoffnungsfroh.
Die nach Massenfluchten und
Massendemonstrationen unter größtem inneren Druck vollzogene
Öffnung der Grenzen, "sofort, unverzüglich", sie
gab der DDR den Todesstoß.
Freiheit konnte neu beginnen.
Tisch kopfüber. Neukölln, Berlin, 2019. |
Doch wer hatte die Freiheit geübt?
Das Erleben der sozialistischen Dikatur
vor der Wende wie auch die bittere Zeit nach der Wende bildeten den
Erfahrungsraum für Ältere und Jüngere.
Sah so die Freiheit so aus? Biographien
wurden entwertet, Abschlüsse nicht anerkannt, jahrelange Erfahrung
gegenstandslos, Arbeitslosigkeit der Normalzustand.
Diese Begleitumstände der Reise- und
Meinungsfreiheit wurden für das Verständnis von Demokratie und
Pluralität prägend.
Von der anderen Seite blieben die
bisherigen Lebensumstände der neuen Mitbürger unverständlich. Freiheits-Übungsraum war nicht vorgesehen. Das
alltägliche Leben in einem repressiven Staat war ja nun vorbei,
sollten die Ossis doch so leben, wie sie es angeblich gewollt hatten.
Gleichzeitig wurde abgewickelt, was das Zeug hält.
Ich persönlich erfahre auch das
weitgehende Verschweigen als problematisch: Wenn ich in Zeitung oder
Fernsehen auf die deutsche Geschichte, ihre Politik, ihre Kultur
hingewiesen werde, höre ich selbstverständlich nur die Namen Helmut
Schmidt, Ingeborg Bachmann, Franz Joseph Strauß, Frank Elstner,
Günter Grass, Nina Hagen und so fort. Robert Havemann, Christa Wolf
und Manfred Krug kennen schon nur noch die Eingeweihten.
Bundesdeutsche Geschichte versteht sich
als der kanonische Normalfall, DDR-Geschichte wird als der absurde
Sonderfall betrachtet. Interesse am ersteren wird vorausgesetzt, die
zweitere hat das Nachsehen.
Das ist ein ursupatorisches Verhältnis
zur Geschichte dieses untergegangenen Landes.
Meine persönliche Identifikation mit
der Berliner Republik ist gewaltig. Es ist mein Land. Und ich bin
glücklich, dass ich im vereinten Deutschland lebe.
Aber meine Vorgeschichte war eben nicht
die Bonner Republik. Auch wenn ich die DDR nur knapp zehn Jahre
erlebt habe, hat sie doch meine Kindheit entscheidend geprägt. Ich
wünsche sie mir nicht zurück. Doch das Land, in dem ich aufwuchs,
gibt es nicht mehr.
Theoretisch gibt es auch die Bonner
Republik nicht mehr. Aber jeder Rückblick auf "unsere
Geschichte", der mehr als 30 Jahre zurückgeht, bezieht sich
allein auf die alte BRD.
So gern ich mich mit dieser Geschichte
beschäftige, so wenig hat sie mit meiner Geschichte und der meiner
Familie zu tun.
Ich finde es wichtig, dass ein
Verständnis dafür wächst, dass es zwei Vorgeschichten unseres
derzeitigen Landes gibt. Wird diese Einheit in der Verschiedenheit
positiv anerkannt, ändert sich sicher auch der Frust mancher meiner
Thüringer Landsleute. Doch dafür ist noch viel zu tun.
Damit sich in zehn Jahren nicht immer
noch so viel Bitterkeit in die Freude mischen muss.
Einfahrt zum Krematorium. Treptow, Berlin, 2018. |
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